Ulrike Schielke-ZiesingAfD - Arbeit und Soziales
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Heil! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Bürger! In der ersten Lesung diskutieren wir heute über den umfangreichsten Einzelplan des Haushaltsentwurfes 2018. Der Einzelplan für den Bereich Arbeit und Soziales ist straff geregelt und bietet eigentlich keinen großen Spielraum für Veränderungen: Renten müssen gezahlt werden, Arbeitslosengeld auch, und es eröffnen sich in diesem Bereich nicht viele Variationsmöglichkeiten.
Unser Sozialstaat wird in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen gestellt. Den Statistiken zur Arbeitsmarktquote nach zu urteilen, ist die Arbeitsmarktsituation derzeit gut – gut geschönt. Immer noch werden viele Arbeitslose in diversen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen versteckt und tauchen in der Arbeitslosenstatistik nicht auf. Knapp 1 Million Menschen sind in den Arbeitslosenstatistiken nicht ausgewiesen. Sie waren in Weiterbildungsmaßnahmen und Eingliederungsmaßnahmen, in geförderten Arbeitsverhältnissen oder 1-Euro-Jobber, gingen zwar einer Beschäftigung nach, für die aber im Endeffekt der Staat aufkommen musste, oder sie waren schlicht zu alt für die Statistik: Ist man älter als 58 Jahre, zählt man dort nicht mehr dazu.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Das stimmt nicht!)
Diese 1 Million Menschen fallen nur statistisch gesehen aus der Arbeitslosenquote raus, entlasten den Sozialstaat leider nicht und vermitteln ein falsches Bild der Arbeitsmarktsituation in Deutschland.
(Beifall bei der AfD)
Auch werden ältere Arbeitsuchende frühzeitig in Rente geschickt und verschwinden ebenfalls aus der Statistik. Hinzu kommen über 7 Millionen Bürger, die in Minijobs beschäftigt sind – eine Armutsfalle; denn die Rente, die sie später bekommen werden, reicht zum Leben nicht aus.
(Beifall bei der AfD)
Beschämend, meine Damen und Herren, ist auch die Tatsache, dass sich viele Angestellte von ihrem Verdienst immer weniger leisten können und lediglich überleben, anstatt im Deutschland von heute gut und gerne leben zu können. Ein Krankenpfleger verdient in Mecklenburg-Vorpommern im Durchschnitt zwischen 1 700 und 3 400 Euro brutto im Monat, ein Altenpfleger muss sich mit noch weniger zufriedengeben, mit 1 700 bis 2 600 Euro. Und dann wundern Sie sich, warum wir einen Fachkräftemangel im Bereich der Pflege haben. Schätzungsweise 25 000 bis 30 000 offene Stellen werden in Deutschland nicht besetzt. Das Einkommensproblem der Pfleger ist mindestens seit 2014 bekannt. Was hat die Union, was hat die SPD dagegen getan?
(Beifall bei der AfD – Dr. Alice Weidel [AfD]: Nichts!)
Sie sind stolz auf die tolle Wirtschaftsleistung, die angeblich durch Ihre Politik zustande gekommen ist. Da leben Sie in einer Parallelwelt, liebe Vertreter der Regierungsparteien. Die Realität ist, dass viele Menschen in Arbeitsverhältnissen unser Land in so eine gute Situation gebracht haben und dafür sorgen, dass dies auch so bleibt. Und diese Menschen lassen Sie im Stich. Die Realität ist, dass Friseure in der Regel beim Amt aufstocken müssen, weil der gezahlte Lohn nicht einmal für das Nötigste reicht.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Da gibt’s einen Tarifvertrag!)
Die Realität ist, dass ein 30-jähriger Polizeibeamter der Besoldungsgruppe A 4 in Berlin als Alleinverdiener über weniger Nettogehalt verfügt, als ihm mit seiner Familie an Hartz IV zustehen würde. Ist das die Kontinuität, von der Sie am Dienstag sprachen, Herr Rehberg, dass die Polizei kontinuierlich kaputtgespart wird? Mit diesen geringen Einkommen heute wird die Altersarmut von morgen produziert. Wie sollen Menschen mit so einem niedrigen Verdienst in unserem Drei-Säulen-System für ihre Rente vorsorgen?
(Beifall bei der AfD)
Im Koalitionsvertrag wurde beim Thema Rente so einiges geplant, nur findet sich davon nichts bei den mit Prio eins schon in diesem Jahr umzusetzenden Maßnahmen wieder: die Erhöhung der Grundsicherung im Alter, der Härtefallfonds für Ostrentner, die Mütterrente II. Wobei: Bei der Mütterrente II könnte das natürlich auch die Ursache haben, dass man sich hier wieder einmal aus dem Topf der Rentenversicherung bedient. Dann taucht die Mütterrente II natürlich auch nicht im Haushalt des BMAS auf, sondern die Rentenversicherung muss sehen, wie sie das finanziert.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Durch Steuerzuschüsse!)
Womit wir bei der Rentenversicherung wären:
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja interessant! Haben Sie ein Konzept?)
94 Milliarden Euro sind im Haushalt als Leistungen an die Rentenversicherung angesetzt, unter anderem 24,9 Milliarden Euro zusätzlicher Zuschuss für die Zahlung versicherungsfremder Leistungen. Das hört sich erst einmal gewaltig an. Dieser zusätzliche Zuschuss wird aber laut § 213 Absatz 3 ff. SGB VI mit einer Formel errechnet, die nichts, aber auch gar nichts mit den Zahlungen zu tun hat, die damit geleistet werden.
Was sind versicherungsfremde Leistungen? Das sind Leistungen, die die Rentenversicherung zahlt, für die sie aber keine Versicherungsbeiträge eingenommen hat,
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie denn eigentlich inzwischen ein Konzept?)
die also von der Allgemeinheit aus Steuermitteln zu finanzieren wären. Es wird geschätzt, dass 4 von 10 Euro, die die Rentenversicherung ausgibt, eigentlich nicht zu ihren Leistungen gehören. Das ist unter anderem bei der Mütterrente I und zukünftig wahrscheinlich auch bei der Mütterrente II der Fall. Als versicherungsfremde Leistungen sind diese von der Allgemeinheit zu tragen. Daher muss genau diese Position, der zusätzliche Zuschuss, im Haushalt entsprechend erhöht werden. Dazu muss die Bundesregierung aber zunächst einmal feststellen, wie hoch die versicherungsfremden Leistungen überhaupt sind. Auf meine Kleine Anfrage dazu hat die Bundesregierung bisher keine Antwort liefern können.
Die Wahlkampfgeschenke sind gemacht und in den Koalitionsvertrag aufgenommen: doppelte Haltelinie, Grundrente über Grundsicherungsniveau, Anhebung der Zurechnungszeiten für Erwerbsunfähigkeitsrente und Mütterrente II.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Was ist Ihr Konzept?)
Nun wird überlegt, wie das Ganze zu finanzieren ist. Sollte es nicht andersherum sein: Wenn Geld da ist, wird es verteilt?
Die Rente soll zukunftsfähig gemacht werden. Das Gespenst des Geburtenknicks und des unbezahlbaren Generationenvertrages schwebt über allem. Nun soll es eine Rentenkommission richten, die sich mit der nachhaltigen Sicherung und Fortentwicklung der gesetzlichen Rente beschäftigt.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht haben Sie bis dahin auch mal ein Konzept zur Rente!)
Um einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu erreichen, stünde es dem Ministerium, Herr Minister, sehr gut an, auch die Oppositionsparteien zur Mitarbeit in dieser Kommission einzuladen.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Konstruktiv können Sie nicht!)
Rund 42 Prozent des Bundeshaushalts sind mit Renten- und Sozialleistungen verbucht. Teilweise enthalten sind die schier unübersichtlichen Kosten der Flüchtlingskrise, beginnend mit dem Herbst 2015.
(Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat ja heute lange gedauert!)
Milton Friedman sagte einmal, man könne einen Sozialstaat haben, man könne auch offene Grenzen haben, aber niemals beides zusammen.
(Beifall bei der AfD)
Diesen Spagat zwischen offenen Grenzen und Sozialstaat versucht die Bundesregierung seit 2015.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Na endlich sind Sie beim Thema! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst mal ein Rentenkonzept vorlegen!)
Das Ergebnis haben wir unter anderem im Einzelplan 11 vorliegen. Aber nicht nur auf Bundesebene werden Mittel ausgegeben; auch die Länder und Kommunen werden zusätzlich erheblich belastet.
Liebe Kollegen der Regierungsparteien, haben Sie den Mut und weisen Sie die Kosten der Flüchtlingsaufnahme klar und deutlich in allen Posten aus, statt sie hinter unzähligen verschiedenen Titeln im Haushalt zu verstecken.
(Beifall bei der AfD)
Laut Ihren Aussagen in diversen Landtagen und bei Wahlkampfveranstaltungen wurde niemandem durch die Flüchtlingskrise in Deutschland etwas weggenommen, weil Sie so gut gewirtschaftet haben. Also können Sie doch ruhig die Höhe der Kosten bekannt geben.
Wie viel bleibt in diesem Haushalt für zukunftsgerichtete Investitionen im Bereich der Digitalisierung übrig? Um es mit den Worten von Frank Thelen auszudrücken: Wann reden wir endlich über die wichtigste Fremdsprache dieser Welt, das Programmieren? Wissen Sie, was Google, Facebook, Twitter und YouTube gemeinsam haben? Vielleicht kommen Sie drauf. – Ganz genau, diese zukunftsorientierten Unternehmen wurden nicht in Deutschland gegründet. Die deutsche Wirtschaft ist dank Ihrer Politik drauf und dran, den Anschluss an die Wirtschaft von morgen komplett zu verpassen, und damit droht auch unser Sozialstaat zu scheitern.
(Beifall bei der AfD)
Die Gestaltung des digitalen Wandels in der Arbeitswelt, die sogenannte Arbeit 4.0, ist der Bundesregierung gerade einmal 1,3 Prozent des Einzelplans Arbeit und Soziales wert. Liebe Regierungsparteien, das ist, gelinde gesagt, ein Witz. Den Wandel können Sie nicht einfach mit ein paar Messen und Kampagnen in den sozialen Medien bewältigen. Dafür müssen Sie eine Kommunikationsinfrastruktur bereitstellen, mit der die Unternehmen und unser Sozialstaat den digitalen Wandel reell umsetzen können. Es wäre auch hilfreich, wenn die Bundesregierung die Verwaltungssoftware, deren Entwicklung sie in Auftrag gegeben und mit Steuergeldern finanziert hat, auch der Allgemeinheit zur Verfügung stellen würde. Auf diese Weise würden Sie vielen mittelständischen Unternehmen den Verwaltungsdruck nehmen und sie schrittweise in die Digitalisierung führen.
Wir bleiben gespannt, wie das BMAS die Finanzmittel einsetzen wird und welchen Nutzen Deutschland davon trägt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der AfD)
Nächster Redner ist der Kollege Hermann Gröhe, CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7228348 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 34 |
Tagesordnungspunkt | Arbeit und Soziales |