18.05.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 34 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 11

Johannes VogelFDP - Arbeit und Soziales

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beide Redner der Koalition sind leider erst ganz am Ende ihrer Ausführungen – dann aber doch – auf das Thema Rente zu sprechen gekommen. Ich will und muss dazu in Reaktion etwas sagen.

In der Tat: Mehr als ein Viertel des Bundeshaushalts fließt schon heute in den Steuerzuschuss zur Rentenversicherung. Wir geben mehr als viermal so viel für die Rente aus wie zum Beispiel für die Bildung.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was soll denn das heißen?)

Eines ist doch klar: Daraus entsteht eine besondere Verantwortung für uns Sozialpolitiker, nämlich erstens eine Stabilität der Rentenpolitik, auf die sich alle Bürgerinnen und Bürger verlassen können, sicherzustellen und zweitens eine Politik zu machen, die von einer besonderen Weitsicht geprägt ist.

(Beifall bei der FDP)

Ja, in der Tat – es wurde gesagt –: Alle Generationen – Großeltern, Kinder und Enkel – müssen sich auf die Rentenpolitik verlassen können. Allerdings muss ich sagen: Das, was Sie ausgeführt haben, lieber Herr Minister und lieber Hermann Gröhe, ist ein krasses Beispiel dafür, wie weit Worte und Taten in der Politik auseinanderklaffen können.

(Zuruf von der FDP: So ist es!)

Wir müssen im Hinblick auf die Rente in Jahrzehnten denken, nicht in Legislaturperioden. Leider tun Sie aber das Gegenteil.

(Beifall bei der FDP)

Ich will erklären, was ich damit meine. Sie haben ausweislich Ihres Koalitionsvertrages ein Rentenpaket vorgelegt, dessen Maßnahmen sich in Summe allein bis 2030 auf Ausgaben in Höhe von 130 bis 170 Milliarden Euro addieren.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ja, in einem Jahrzehnt!)

Der Großteil dieses Geldes wird nicht zielgerichtet zur Vermeidung von Altersarmut verwendet; das ist ja gerade das Problem. Als wäre das nicht schlimm genug, haben Sie auch noch vor, die Rentenformel zu manipulieren; das muss man so deutlich sagen. Sie wollen den Nachhaltigkeitsfaktor, den die SPD einmal selber eingeführt hat und der Einzahler und Auszahler ins Verhältnis setzt, in den nächsten Jahren aussetzen. Das führt dazu, dass dieser Faktor, der in den letzten Jahren wegen der guten Beschäftigungslage sogar rentensteigernd gewirkt hat, künftige Rentensteigerungen nicht mildern wird, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, das ist so, als würden Sie beim Auto die Bremse ausbauen. Wenn Sie im Auto aber nur noch Gaspedal und keine Bremse mehr haben, dann landen Sie krachend vorm Baum,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Völliger Quatsch!)

und das ist unverantwortlich in der Rentenpolitik.

(Beifall bei der FDP)

Sie werden jetzt möglicherweise sagen: Ja, das trägt hier die Opposition vor. – Professor Börsch-Supan,

(Zurufe von der SPD: Oh!)

einer der anerkanntesten Rentenexperten dieses Landes – offensichtlich ja auch in den Augen der Koalition; denn Sie haben ihn zum Mitglied Ihrer Rentenkommission gemacht –,

(Otto Fricke [FDP]: Aha!)

hat mal ausgerechnet, was alleine diese eine Maßnahme kosten würde:

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Holen Sie doch mal eine zweite Meinung ein!)

11 Milliarden Euro alleine im Jahr 2025, 45 Milliarden Euro zusätzlich im Jahre 2030, 80 Milliarden Euro zusätzlich im Jahre 2035. Jedes Jahr!

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viel wird denn 2035 für das Militär ausgegeben?)

Wie wollen Sie das bezahlen? Soll der Rentenbeitragssatz explodieren, was gerade die Jüngeren und insbesondere auch die Menschen mit kleinem Einkommen überfordern würde? Werden alle Bürgerinnen und Bürger bis über 70 arbeiten? Setzen Sie auf wundersame Brotvermehrung im Steuertopf? Oder wollen Sie die Steuern erhöhen?

Um das mal zu quantifizieren: Sie müssten die Mehrwertsteuer 2030 um 3 Prozentpunkte und im Jahre 2035 um 6 Prozentpunkte erhöhen. Das sagen nicht wir; das sagt Professor Börsch-Supan. Wie wollen Sie das machen? Diese Frage müssen Sie beantworten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.

(Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das macht es nicht besser, dass er es sagt!)

Ich ahne schon, was gleich kommen wird, aber kommen Sie jetzt bitte nicht mit der Aussage: Das bearbeitet ja dann die Rentenkommission, die wir eingesetzt haben. – Ich muss ehrlich sagen: Die rentenpolitische Reihenfolge ist leider ein schlechter Witz. Zunächst wollen Sie dieses Jahr Leistungsausweitungen, die weit über diese Legislaturperiode hinausreichen, verbindlich ins Gesetz schreiben, und dann darf sich die Rentenkommission Gedanken darüber machen, wie das künftig bezahlt werden soll, und zukünftigen Regierungen ein Handlungskonzept aufschreiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU/CSU, das ist so, als würden Sie sich in ein Restaurant setzen, ein Menü bestellen und sich beim Dessert Gedanken darüber machen, wie Sie das überhaupt bezahlen wollen. Das ist in der Rentenpolitik unverantwortlich.

(Beifall bei der FDP)

Lieber Hubertus Heil, sehr verehrter Herr Minister, ich spreche dich ganz direkt an, weil die personelle Besetzung der Rentenkommission den Eindruck zulässt, dass du dir dieser Probleme sehr genau bewusst bist. Deshalb wäre es neues Denken und mutige Politik, die Reihenfolge zu ändern. Niemand zwingt Sie – auch nicht Ihr eigener Koalitionsvertrag – zu dieser rentenpolitischen Reihenfolge. Lassen Sie doch die Kommission erst beraten, entscheiden Sie danach über die Maßnahmen, und peitschen Sie sie dieses Jahr nicht durch das Gesetzgebungsverfahren. Das wäre verantwortungsvolle Politik.

(Beifall bei der FDP)

Oder ändern Sie gleich die ganze Überschrift Ihrer Sozialpolitik! Die gute Lage am Arbeitsmarkt und auch der digitale Wandel der Arbeitswelt geben Ihnen doch die Chance, diese Legislaturperiode zu beweisen, dass sich gute Sozialpolitik eben nicht einfach nur durch hohe Ausgaben, sondern durch die Schaffung moderner Rahmenbedingungen auszeichnet. Schaffen Sie einen flexiblen Renteneintritt! Sorgen Sie für die Gestaltung der digitalen Arbeitswelt! Das sagen nicht nur wir; das empfehlen Ihnen zum Beispiel auch der IWF und die OECD. Konzentrieren Sie sich auf diese Maßnahmen! Das wäre eine moderne Politik.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben in dieser Haushaltswoche an vielen Stellen viel dazu gehört – auch zu Recht –, dass die Große Koalition das Geld mit der Gießkanne ausgeben würde. Leider muss man konstatieren: In der Rentenpolitik nehmen Sie gleich den Gartenschlauch. Das wollen wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7228351
Wahlperiode 19
Sitzung 34
Tagesordnungspunkt Arbeit und Soziales
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