Karl LauterbachSPD - Gesundheit
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur zwei ganz kurze Korrekturen, sodass das nicht so stehen bleibt.
Die Techniker Krankenkasse kann wie jede andere gesetzliche Krankenkasse keine Gewinne machen, sondern nur Überschüsse.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Gewinne können nur private Krankenversicherungen machen. Zu deren Abschaffung habe ich von Ihnen noch nie etwas gehört.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der zweite Punkt ist: In Deutschland – das ist ein Unterschied zu jedem anderen europäischen Land – kann kein Krebsmedikament vom Markt genommen werden, auch nicht vom Gesundheitsminister und nicht von uns; es sei denn, es schadet mehr, als es nutzt. Wir sind das einzige Land, das jedes neue Krebsmedikament automatisch erstattet. Über den Preis kann verhandelt werden, aber wir haben kein System, das Krebsmedikamente vom Markt drängt. Darauf können wir stolz sein.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir sind das einzige Land, welches sich dies leistet, und ich finde das richtig. Von daher ist das, was Sie gesagt haben, schlicht falsch.
Wir haben hier Schwerpunkte zu setzen. Die Schwerpunkte sind: Pflege, Finanzierung und Qualität.
In der Altenpflege, der Pflege älterer Menschen, haben wir die Situation, dass die Beitragssätze steigen werden, weil wir die Pflegeversicherung verbessert haben. Wir werden die Demenzkranken besser versorgen, als wir es bisher gemacht haben. Aber das ist nur ein Zwischenschritt. Es fehlen uns in der Altenpflege wahrscheinlich zwischen 50 000 und 100 000 Pflegekräfte – bereits jetzt und bei steigendem Bedarf. Das heißt, unsere Aufgabe muss es sein, hier einen Neustart zu machen: Wie bekommen wir die Menschen in die Pflege, die wir benötigen? Denn wenn wir es nicht schaffen, dann wird eine ganze Generation – das ist die Generation, die das Land nach dem Krieg aufgebaut hat – im Alter von uns alleingelassen sein, und die Kinder dieser Generation auch. Das können wir uns nicht leisten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Die Investition in die Pflege muss ein Schwerpunkt dieser Koalition sein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben dazu ganz konkrete Vorschläge. Minister Spahn hat einige angesprochen. Ich will das ergänzen und ein bisschen konkretisieren.
Wir werden in der Pflege auch entbürokratisieren. Pflegepläne, die nie ernsthaft kontrolliert und umgesetzt werden, aber eine wahnsinnige Dokumentation am Pflegebett bedeuten, gehören entschlackt, ja dort womöglich sogar abgeschafft. Das ist eine Riesenbürokratie. Es ist eine Misstrauenskultur, die wir uns nicht länger leisten können. Das demotiviert Menschen, die in der Pflege arbeiten. Die Entbürokratisierung in der Altenpflege muss eine Priorität in dieser Legislaturperiode sein.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Der nächste Punkt ist: Aus der Pflege sind viele Menschen ausgestiegen. Wir brauchen eine Initiative zur Rückkehr in die Pflege und auch zur Rückkehr in Vollzeit aus Teilzeit. Daher habe ich es gerne gehört, dass Minister Spahn diesen Punkt aufgegriffen hat. Ich hoffe, dass wir dann auch am gleichen Strang ziehen, wenn die Blockaden, die es derzeit in unseren Regierungsverhandlungen noch gibt, aufgelöst werden, und das Rückkehrrecht in Vollzeit aus Teilzeit endlich umgesetzt werden kann.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen es schaffen, dass wir diejenigen, die ausgestiegen sind, wieder gewinnen. Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung hat den Vorschlag gemacht, dass wir dort auch Prämien nutzen. Ich finde diesen Vorschlag innovativ und richtig. Wir sollten tatsächlich darüber nachdenken, wie wir für diejenigen, die in der Pflege bleiben, und diejenigen, die in die Pflege zurückkehren, Anreize setzen können. Das dürfen aber keine Einmalanreize allein sein.
Wir müssen die Bezahlung nach Tarif umsetzen. Da gibt es großen Bedarf. Die Hälfte der Pflegeeinrichtungen ist derzeit nicht tarifgebunden. Das ist eine unhaltbare Situation. Daher müssen die Tarifbindung und die Bezahlung nach Tarif einschließlich Anreizen für die Rückkehr in die Pflege ebenfalls sofort erreicht werden.
In der Krankenpflege ist das Kernproblem, dass die Fallpauschalen dazu beigetragen haben, dass die Krankenpflege – ich entschuldige mich für meine Ausdrucksweise beim Präsidenten; aber es ist tatsächlich so – kaputtgespart wurde. Wir haben in einer Zeit, in der wir eigentlich mehr Krankenpflegekräfte benötigt hätten, 30 000 abgebaut. Das Geld ist in die Investitionen geflossen, die eigentlich die Länder hätten bezahlen müssen, und ist an Ärzte gegangen, die zum Teil eingestellt wurden mit dem Ziel, mehr Fälle abzurechnen und Gewinne – diese können dort tatsächlich entstehen – zu machen. Das ist falsch. Daher benötigen wir eine Totaloperation an der Fallpauschale. Wir werden die Krankenpflege aus dem System der Fallpauschalen komplett herausnehmen. Wir werden zu einem System zurückkommen, wo die nachgewiesenen Krankenpflegekosten den Krankenhäusern eins zu eins erstattet werden; dort muss es eine Kostendeckung geben. Dann wird jedes Krankenhaus, welches in die Pflege investiert, keine Verluste machen und die Qualität seiner Versorgung verbessern können. Das schulden wir den Pflegekräften; das schulden wir den Patienten; das schulden wir dem System.
(Beifall des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])
Eine Rückkehr zur Kostendeckung in der Pflege – weg von den Fallpauschalen – erfordert eine Totaloperation; diese müssen wir dringend vornehmen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sage ganz klar: Das wird Geld kosten. Dafür benötigen wir die Parität. Die Parität werden wir umsetzen. Es kann nicht sein, dass diese massive Investition allein von den Arbeitnehmern durch Zusatzbeiträge getragen wird. Daher werden wir die Parität für den gesamten Krankenkassenbeitrag einführen. Ich muss auch offen sagen: Ich sehe keinen Spielraum für Beitragssatzsenkungen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])
Sonst haben wir demnächst in der Krankenpflege das gleiche Problem wie in der Altenpflege. Wenn wir jetzt per Gesetz die Rücklagen der Krankenkassen tatsächlich reduzieren, werden wir im nächsten Jahr genau das machen müssen, was wir jetzt in der Altenpflege machen, nämlich die Beitragssätze wieder erhöhen. Das macht keinen Sinn. Das gibt auch keine Planungssicherheit. Wir können doch dankbar sein, dass wir 30 Milliarden Euro als Rücklage haben. Das wird die Beitragssatzentwicklung in den nächsten Jahren etwas abfedern. Aber langfristig werden die Beitragssätze steigen. Daher sind wir grundsätzlich der Meinung, dass die Art und Weise, wie die Krankenkassen wirtschaften, überarbeitet werden muss. Wir brauchen auch eine Veränderung im Finanzausgleich der Kassen. Aber ein Ausschütten der 30 Milliarden Euro – hier sprechen wir über maximal zwei Monatsausgaben bei einigen Kassen – macht keinen Sinn. Das gibt das falsche Signal. Wir müssen investieren und dürfen nicht absenken. Dafür müssen wir stehen – gemeinsam.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Michael Theurer.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7228377 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 34 |
Tagesordnungspunkt | Gesundheit |