Johannes VogelFDP - Aktuelle Stunde zur Arbeitsmarktlage
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist die Lage am deutschen Arbeitsmarkt sehr erfreulich. Ich glaube, wir alle freuen uns darüber, weil es ganz konkret um Einstiegs- und Aufstiegschancen für viele Menschen geht.
Aber man kann sich natürlich trotzdem die Frage stellen, warum die Koalition gerade in dieser Woche, nachdem es viele Monate erfreulicherweise immer wieder Rekordzahlen zur Lage am Arbeitsmarkt gab, eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, lieber Peter Weiß, Stichwort „Probleme als Thema von Aktuellen Stunden“. Es könnte damit zu tun haben, dass Sie vielleicht über das Thema „Fahrverbote in deutschen Städten“ nicht diskutieren wollten und so dafür gesorgt haben, dass es zu einer Aktuellen Stunde zu diesem Thema in dieser Woche nicht kommt.
(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das passt sogar ganz gut, weil das Thema Fahrverbote zeigt: Wenn man zu kurzfristig denkt und nicht rechtzeitig handelt, dann gibt es irgendwann ein böses Erwachen. Ein Beispiel: Menschen, die sich darauf verlassen haben, dass sie ihr Auto weiterhin benutzen können, dürfen nicht mehr in jede Straße in der Innenstadt fahren. Das charakterisiert leider ein Stück weit Teile der Sozialpolitik dieser Koalition.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Was?)
Wer zu kurzfristig denkt, dem droht ein böses Erwachen.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die Vollbeschäftigung!)
Ich weiß, dass Sie es nicht mehr hören können. Aber wir werden es Ihnen in dieser Legislaturperiode in keiner sozialpolitischen Debatte ersparen: Was Sie in der Rentenpolitik vorhaben, ist unverantwortlich; denn alle Generationen – Großväter, Kinder und Enkel – müssen sich darauf verlassen können, dass Sie in der Rentenpolitik in Jahrzehnten denken, nicht in Legislaturperioden. Das tun Sie nicht. Da gehen Sie den ganz falschen Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Deshalb haben wir die Kommission eingesetzt! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Leider völlig falsch, was Sie sagen! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Eure Rentenpolitik muss man erst mal überleben!)
– Das ist zumindest ein mich schmunzeln machender Zwischenruf.
(Heiterkeit)
Kommen wir – erster Punkt – zum Arbeitsmarkt, lieber Kollege Matthias Zimmer. In der Tat, die Lage am Arbeitsmarkt ist gut. Die Frage ist: Was tun Sie eigentlich, damit das so bleibt? Lieber Peter Weiß, du hast eben so schön gesagt, es sei auch wichtig, die richtige Balance zwischen Flexibilität und Sicherheit zu finden. Das ist richtig. Man kann mit einem Blick auf internationale Arbeitsmärkte sehen: Es geht darum, das richtige Maß zu finden.
Allerdings muss man schon sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen und auch sehr verehrter Herr Bundesminister: Wenn Sie jetzt in dieser Legislaturperiode, nachdem Sie in der letzten Legislaturperiode schon die Zeitarbeit über Gebühr reguliert haben,
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über 1 Million! Steigend! Wo leben Sie denn?)
auch noch das Thema Befristungen angehen wollen, anstatt die echten Probleme zu lösen, nämlich zum Beispiel den Anteil der befristet Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung, insbesondere bei Ihnen in der Bundesregierung, zu reduzieren, und ausgerechnet ein erfolgreiches Flexibilitätsinstrument weiter kaputtmachen wollen, dann tragen Sie Verantwortung dafür, wenn die Situation am Arbeitsmarkt in der nächsten Krise nicht mehr so gut ist. Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Der zweite Punkt, auf den ich gerne eingehen möchte, ist die Frage: Tun wir in dieser Legislaturperiode genug, um den Arbeitsmarkt für die Entwicklung fit zu machen, die wir in den nächsten 15 oder 20 Jahren vor uns haben? Zu Recht hast du, lieber Hubertus Heil, haben Sie, verehrter Herr Minister, das Thema Digitalisierung angesprochen. Ja, uns eint zumindest größtenteils die Auffassung, dass Weiterbildung und Qualifikation hier eine zentrale Rolle spielen. Wir müssen in der Tat allen Menschen in diesem Land das Versprechen geben, dass sie im digitalen Wandel mithalten können. Nur, ehrlich gesagt, erwarte ich dann von der Bundesregierung etwas mehr als das, was uns in der letzten Woche vorgelegt wurde. Erstens haben Sie, Herr Minister, ein Paket vorgelegt, das im Rahmen eines Potpourris von Maßnahmen – typisch SPD – wieder die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes vorsieht. Immer wenn Sie sich Gedanken über Weiterbildung und Qualifikation machen, landen Sie am Ende bei Vorschlägen zur Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Man muss sie auch einmal loben!)
Insgesamt handelt es sich um Vorschläge, die sich eher als Detailfrickelei in Paragrafen bezeichnen lassen. Ich hatte von einer Bundesregierung, die eine Weiterbildungsstrategie angekündigt hat, schon erwartet, dass wir eine echte Strategie bekommen und nicht Vorschläge eines Bundesministers in der monatlichen Arbeitslosenkonferenz, die dann am Tag danach vom Koalitionspartner gegenüber dpa zerpflückt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, bei diesem zentralen Thema für die nächste Dekade muss mehr kommen. Da erwarten wir eine echte Strategie für digitales Lernen im heutigen Zeitalter.
(Beifall bei der FDP – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Strategie hat denn die FDP? – Kerstin Tack [SPD]: Haben Sie eine?)
– Wir legen gerne eigene Vorschläge vor. Wir können dann schauen, ob Sie denen dann folgen.
(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)
Das Letzte, was ich gerne ansprechen möchte, ist: Machen Sie sich ausreichend Gedanken darüber, welche Veränderungen die Digitalisierung auch in der Arbeitswelt und im Arbeitsalltag auslöst. Da besteht eine riesige Chance für mehr Selbstbestimmung. Aber dazu finden wir im Koalitionsvertrag leider wenig. Da kündigen Sie Experimentierräume an, als ob die Zukunft etwas besonders Giftiges wäre, wofür man Schutzräume einrichten müsste, anstatt konkret und mutig zu handeln. Vorschläge zum Beispiel für eine Modernisierung des Arbeitszeitgesetzes liegen auf dem Tisch. Sie können die nächsten Wochen nutzen, um diesen zuzustimmen und bei der Gestaltung der Digitalisierung ernsthaft voranzukommen. Das würde uns mehr bringen, als in einer Aktuellen Stunde Meinungen auszutauschen. Wir würden uns freuen, wenn wir diesen Weg gehen könnten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Zu ihrer ersten Rede bitte ich ans Rednerpult die Kollegin Jessica Tatti.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7243107 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 35 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Arbeitsmarktlage |