07.06.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 36 / Tagesordnungspunkt 11

Niels Annen - Bundeswehreinsatz in Kosovo (KFOR)

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Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erst kürzlich hat der Reiseführer „Lonely Planet“, den ich noch aus der Zeit kenne, als ich jung war

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist aber sehr lange her!)

– das ist sehr lange her, ja –,

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: So lange ist das ja noch nicht her! – Marianne Schieder [SPD]: Als die Haare noch mehr waren!)

die Republik Kosovo als eines der Topreiseziele für das Jahr 2018 ausgewählt. Seien wir ehrlich: Wer hätte das vor ein paar Jahren für möglich gehalten?

Wir kommen nun zum ernsten Kern dieser Debatte. Wenn wir auf die letzten 20 Jahre, auf die Zeit nach dem Ende des blutigen Krieges auf dem Balkan zurückblicken, müssen wir feststellen: Auf dem westlichen Balkan wächst die Demokratie wieder. Die Wirtschaft gewinnt an Stabilität, und die Region wächst langsam, aber sie wächst wieder zusammen. Zu Recht schaut die Welt inzwischen mit gesteigertem Interesse auf die Region, beispielsweise als Reiseziel, wie erwähnt. Das ist eigentlich ein gutes Zeichen. Gleichwohl ist uns allen klar: Der Krieg ist weiterhin in den Köpfen. Nicht alles ist aufgearbeitet. Deswegen müssen wir weiter hart arbeiten. Wir haben ein vitales Interesse daran, den westlichen Balkan fest in Europa zu verankern.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ist klar! Das ist auch Europa!)

Das gilt für Serbien und Montenegro, ebenso für Albanien und die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien.

Auch Kosovo hat sich in den vergangenen Jahren allmählich konsolidiert, und Kosovo hat wichtige Fortschritte gemacht. Wahlen laufen inzwischen geordnet ab. Die Kosovo Police Force nimmt inzwischen umfassend Polizeiaufgaben wahr. Die kosovo-serbischen Gerichte und Staatsanwälte sind vollständig in die kosovarische Justiz integriert.

Dass dies alles innerhalb von weniger als 20 Jahren gelungen ist, das ist das Ergebnis der Bemühungen vieler: der Vereinten Nationen, der Europäischen Union, der NATO und ganz besonders wichtiger Partner wie beispielsweise der Vereinigten Staaten von Amerika. Und es ist auch das Verdienst unserer Soldatinnen und Soldaten, die im Rahmen von KFOR seit 1999 ihren Dienst tun. Dafür, denke ich, gebührt ihnen unser Dank und unser aller Anerkennung.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber zur Wahrheit gehört auch: Die staatlichen Strukturen in Kosovo funktionieren noch nicht so, wie wir uns das wünschen.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Weil es kein Staat ist!)

In der Geschichte der zweitjüngsten Republik der Welt gibt es nach wie vor Defizite im Aufbau des Staates, gibt es nach wie vor Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit – das ist allgemein bekannt –, bei der Bekämpfung von Korruption und, uns ganz besonders wichtig, bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Ja, auch die wirtschaftliche Situation ist bei allen Fortschritten nicht ideal. Insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit ist ein großes Problem, eine Bewährungsprobe für das junge Land.

Aber auch das Verhältnis zu Serbien bleibt schwierig, naturgemäß schwierig. Die kosovarisch-serbischen Beziehungen haben sich – allerdings dank der Vermittlung vor allem der Europäischen Union –

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Des Drucks!)

langsam normalisiert. Es gibt einen Normalisierungsdialog, und die Lage hat sich in den letzten Jahren verbessert. Aber bis wir zu einer dauerhaften Entspannung des Verhältnisses kommen, bleibt dieses Zusammenleben eben schwierig, und das Verhältnis bleibt spannungsgeladen. Das ist letztlich auch der Grund, weshalb die internationale Truppenpräsenz KFOR im Moment jedenfalls noch erforderlich ist.

Insgesamt gesehen ist die Lage im Kosovo ruhig und stabil. Darüber sind wir froh, und wir sind dankbar, dass das so erreicht werden konnte. Aber wir wissen, dass eine Eskalation ganz schnell die Lage verändern kann. Das haben wir in diesem Jahr bereits zweimal erlebt. Das letzte größere Ereignis, das uns beschäftigt hat – ich würde eher sagen: beschäftigen musste –, war die zwischenzeitliche Festnahme von Herrn Djuric, dem Beauftragten von Präsident Vucic für die Verhandlungen mit dem Kosovo.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Er wurde verprügelt!)

Ein Eingreifen von KFOR war in dieser Situation dankenswerterweise nicht nötig, weil es am Ende doch zu einer Deeskalation und dann auch zu einem verantwortungsvollen Handeln der beteiligten politischen Akteure gekommen ist.

Aber – das ist mein Punkt hier –: Dass es KFOR quasi als stabilisierende Rückversicherung im Hintergrund gegeben hat, war auch ein Element, das dazu beigetragen hat, auch Druck ausgeübt hat, dass wir diese Krise wie auch vorhergegangene Krisen am Ende politisch lösen konnten. Das ist eben genau der Punkt: Wir können nicht ausschließen, dass sich die Sicherheitslage durch einen unerwarteten Zwischenfall kurzfristig verschlechtert; denn dieser Normalisierungsdialog wird von beiden Seiten auch noch schmerzhafte Kompromisse erfordern. Daher muss es bis auf Weiteres möglich bleiben, dass KFOR ergänzend – das will ich hier betonen; der Charakter von KFOR hat sich in den letzten Jahren ja verändert – zu den kosovarischen Polizeikräften und zur EU-Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX weiterhin eingebunden wird.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: EULEX ist tot!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den kommenden zwölf Monaten wird die Präsenz deutscher Truppen im Kosovo weiter abnehmen. In den vergangenen Monaten waren durchschnittlich 440 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Die Mandatsobergrenze – sie beträgt 800 Personen – soll allerdings beibehalten werden – das ist unsere Bitte –, um bei einer Verschlechterung der Sicherheitslage notfalls schnell und flexibel reagieren zu können. Ich denke, das ist ein pragmatisches Herangehen und gibt den Verantwortlichen vor Ort die notwendige Flexibilität.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, KFOR ist der älteste noch andauernde Auslandseinsatz der Bundeswehr. Und KFOR ist ganz ohne Zweifel eine Erfolgsgeschichte. Ich habe darauf hingewiesen, wie sehr sich der Charakter dieses Einsatzes über die letzten Jahre verändert hat. Auch die Tatsache, dass wir unsere Truppenpräsenz so weit reduzieren konnten, zeigt ja, dass es in die richtige Richtung geht. Wenn ich die vorhergegangene Debatte einmal aufgreifen darf, dann zeigt KFOR eben auch, dass der Weg nach der Entscheidung für einen solchen Auslandseinsatz nicht schnell zu Ende geht. Aber wir sehen, dass wir Fortschritte machen, und wir haben die Ziellinie im Blick. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, den man hier auch nennen muss.

Auch wenn die Hoffnung besteht – ich habe das gesagt –, dass sich die Sicherheitslage in den nächsten Jahren und hoffentlich auch Monaten weiter stabilisieren kann, sind wir überzeugt: Der Einsatz bleibt ein wichtiges Element unseres Engagements für den Frieden und für die Sicherheit auf dem westlichen Balkan. Dieses Engagement ist in erster Linie ein politisches Engagement und ein wirtschaftliches Engagement mit dem Ziel, dass diese wichtige Region als eine gemeinsame Region denkt und handelt.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: War’s doch mal!)

Innerhalb dieses Kontextes ist es wichtig, dass wir dieses kleine Instrument KFOR weiterhin zur Verfügung haben. Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte ich Sie auch im Namen der Bundesregierung, Ihre Zustimmung zur Verlängerung dieses Mandates in Erwägung zu ziehen. Ich bin sicher, wir werden hier vernünftig miteinander über Details beraten, wie wir es gewohnt sind.

Ich danke für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die Debatte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für die AfD-Fraktion spricht der Kollege Jens ­Kestner.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7243324
Wahlperiode 19
Sitzung 36
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz in Kosovo (KFOR)
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