Rainer SpieringSPD - Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorab: Die SPD-Fraktion hält sich an Verträge. Verträge sind einzuhalten. Wir werden folglich dem Gesetzentwurf der Grünen nicht zustimmen. Die Beratung ist jedoch sehr angebracht.
Die Tabakverordnung war auch Thema der Koalitionsverhandlungen. Auch hier war festzustellen, dass sich die SPD mit einer Neuregelung des Gesetzes über Tabakerzeugnisse nicht durchsetzen konnte. Die Anerkennung dieses Zustandes kann mich persönlich, aber auch die SPD-Fraktion nicht daran hindern, Kritik zu üben, vor allen Dingen weil wir wissen, lieber Herr Thies, dass wir aus den Reihen der CDU aus den Bereichen Ernährung, Landwirtschaft und Gesundheit tatkräftige Unterstützung gehabt haben. Wenn Sie sich die Pressemitteilungen der Kollegin Mortler der letzten Monate ansehen, dann werden Sie feststellen, dass das mit dem, was Sie hier vorgetragen haben, nichts bis gar nichts zu tun hat.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich glaube, es ist an diesem Zeitpunkt gar nicht schlecht, Rückschau zu halten. Wir haben die Gesetzgebung zur Tabakverordnung in der letzten Legislatur sehr intensiv betrieben. Auf Wunsch unseres Koalitionspartners ist die angedachte Verordnung in zwei Teile geteilt worden. Für mich ist das ein Lehrstück dafür gewesen, wie industrielle Interessen versuchen, Zugriff auf parlamentarische Entscheidungen zu nehmen; das habe ich hautnah erlebt.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] – Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Das sagt der größte Raucher von allen!)
Wir haben es mit drei Punkten zu tun gehabt. Ein Punkt war von der EU klar vorgeschrieben, nämlich dass die Verpackungen neu zu strukturieren seien. Das ist ein derartig beinhartes EU-Recht gewesen, dass ein Verstoß dagegen uns eine Klage eingehandelt hätte. Also ist gesagt worden: Wir trennen das Gesetzesvorhaben auf in zwei Partien: zum einen die Verpackungen und zum Zweiten die Außenwerbung. Dann gibt es auch noch die Zusatz- und Inhaltsstoffe. Auf die werde ich gleich kommen, und zwar ganz bewusst.
Bei der Verpackung ist argumentiert worden: Wir bekommen das nicht hin. – Dann stellte sich aber heraus, dass einer der Marktteilnehmer sehr wohl in der Lage war, das hinzubekommen. Ich will ihn auch gerne hier nennen: Das war Philip Morris. Philip Morris hat allen Beteiligten gesagt: Wenn ihr euch jetzt nicht an das EU-Recht haltet, dann klagen wir.
Die Folge davon ist gewesen, dass wir hier im Bundestag gesagt haben: Wir machen das mit den Verpackungen doch. – Die Lehre daraus ist gewesen: Es haben alle die Verpackungen rechtzeitig hinbekommen, der Verbraucher hat gewonnen, und, so würde ich sagen, im Kampf um Anteile auf dem Markt Philip Morris.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das nützt nichts!)
Jetzt sind wir an der Stelle, wo nach Kabinettsbeschluss vom Juli 2016 eigentlich der zweite Gesetzentwurf hätte in Kraft treten sollen. Das Kabinett hatte es beschlossen. Jetzt ist aber dieses Gesetz im Bundestag nie zur Abstimmung gekommen.
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Skandal!)
Die Kolleginnen und Kollegen – der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft war federführend – haben nach einer Vorlage von Bundesminister Schmidt einen wirklich tollen Gesetzentwurf vorgelegt,
(Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])
einen richtig guten. Er beinhaltete vor allem Außenwerbung. Und das, was die Grünen leider vergessen haben und was mir bitter leidtut, ist die Frage der Zusatz- und Inhaltsstoffe.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das haben wir nicht vergessen!)
Genau an der Stelle wird es megaspannend, was die Zigarettenproduktion in Deutschland angeht.
Wer sich ein bisschen sachlich damit auseinandersetzt und nicht aus dem Ordnungsrecht kommt, sondern von der Frage ausgeht, was da eigentlich passiert, wird feststellen, dass die Zusatz- und Inhaltsstoffe für Zigaretten von elementarer Bedeutung sind.
(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Sehr wahr!)
Ich will jetzt keinen Vortrag darüber halten. Sie müssen zwischen Virginia Blend und American Blend unterscheiden, und den American Blend können Sie so überhaupt nicht konsumieren. Also brauchen Sie Zusatz- und Inhaltsstoffe, um die überhaupt konsumfähig zu machen, und Sie schaffen es nur dadurch, dass sich die Marlboro von der Camel und der Pall Mall unterscheidet.
(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Alles raus! – Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Das war jetzt aber Werbung!)
– Genau. – Jetzt hat Bundesminister Schmidt Folgendes gemacht – das war wirklich in dem Entwurf enthalten –: Er hat Zugriff auf die Zusatzstoffe und auf die Inhaltsstoffe genommen. Jetzt fing die Hütte für die Kollegen von der Zigarettenindustrie wirklich an zu brennen. Denn wenn sie diese Zusatz- und Inhaltsstoffe nicht mehr frei nach Bedarf hätten einsetzen können, dann hätten sie die Marlboro von der Pall Mall und von der Camel gar nicht mehr unterscheiden können. Und dann haben die ihren Apparat in Bewegung gesetzt, aber wirklich kräftig, und das ist ihnen ja auch leider gelungen.
(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Gauloises haben Sie vergessen!)
Jetzt setzen wir uns mal damit auseinander, mit welchen Stoffen wir es eigentlich zu tun haben und was Bundesminister Schmidt verändern wollte. Die Außenwerbung hat die Kollegin von den Grünen schon dargestellt. Ich finde es schon sehr fraglich, ob es richtig ist, Kinder und Jugendliche jeden Tag auf dem Schulweg an Produkten vorbeizuführen, von denen wir sicher wissen – das bestreitet doch heute keiner mehr –, dass sie krebserregend sind. Und auf jeder Zigarettenpackung steht – ich rauche ja –: Rauchen ist tödlich.
(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Und wie Sie rauchen!)
Ob wir uns das wirklich leisten können, unsere Kinder jeden Tag an diesen Produkten vorbeizuführen, wage ich trefflich zu bezweifeln.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Niema Movassat [DIE LINKE])
Deswegen bin ich auch der Meinung, dass die Außenwerbung wegmuss.
Welche Bedeutung hat dieser ganze Bereich für die Wirtschaft? Die Werbung – das ist eben genannt worden – setzt circa 150 Millionen bis 200 Millionen Euro in dem Bereich um und die Zigarettenindustrie x Milliarden, und das mit einem Produkt, das so schnell in Rauch aufgeht und derartig verheerende Folgen hat. Die Frage stellt sich: Können wir das verantworten?
Lassen Sie mich noch Zugriff auf die Stoffe nehmen, die wir haben. Am bekanntesten ist Nikotin, ein bekanntes Nervengift. Wir haben uns übrigens im Ernährungsausschuss sehr trefflich damit auseinandergesetzt, und zwar mit den sogenannten Neoniks, den Neonikotinoiden. Was haben wir gemacht? Wir haben sie in der Schädlingsbekämpfung verboten, weil wir wissen: Es gibt ein großes Bienensterben. Aber hier finden wir: Dolle Sache, das lass uns mal weitermachen. Ich glaube, das können wir nicht allen Ernstes tun. Wir können nicht weiter Stoffe so ungehindert in den Markt lassen, die wir nicht einmal in der Schädlingsbekämpfung zulassen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Aber es ist im Moment so, wie es ist.
(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Ist das Ihre Meinung, oder ist das einfach nur so gesagt?)
– Wenn Sie sich damit genauso auseinandersetzen wollen wie ich, dann dürfen Sie das tun.
(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Sie können doch sagen, wie es ist!)
Herr Präsident, will Herr Hocker eine Frage stellen?
Lieber Herr Spiering, wenn der Kollege Dr. Hocker eine Frage stellen wollte, würde er seine Hand heben. Das, was er gemacht hat, ist ein Zwischenruf.
(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Das ist durchaus legitim im Parlamentarismus!)
Ich würde eine Frage außerdem gar nicht zulassen.
Alles klar. Danke.
Ich kann für uns nur hoffen, dass wir gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU aus den Ausschüssen für Ernährung und Gesundheit dieses Thema weiterhin anpacken und begleiten. Wir werden das auf jeden Fall tun. Ich hoffe, dass die CDU/CSU im Ganzen zu der Einsicht kommt, dass es ein Thema ist, das für unsere Kinder und Jugendlichen wichtig ist. Ich bedaure sehr, dass ausgerechnet jemand wie Volker Kauder, den ich für sehr seriös halte, das im Alleingang aufgehalten hat. Ich würde mich freuen, wenn wir ihn dazu bringen könnten, da seine starre Haltung aufzugeben und für unsere Kinder und Jugendlichen etwas zu tun. Das wäre, glaube ich, etwas ganz Wichtiges für Deutschland und vor allen Dingen für die deutschen Kinder und Jugendlichen.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege Spiering. – Nun hat der Kollege Dr. Hocker für die Freien Demokraten das Wort und die Gelegenheit zur Stellungnahme.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7243439 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 36 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes |