08.06.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 37 / Zusatzpunkt 5

Mahmut ÖzdemirSPD - Änderung des Parteiengesetzes

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Herr Seitz, ich fasse Ihre Rede mal zusammen: Sie haben an der staatlichen Parteienfinanzierung überhaupt kein Interesse, weil die AfD aufgrund von Goldgeschäften und russischen Kofinanzierungen anscheinend zufrieden ist.

(Zurufe von der AfD: Oh!)

Als Nächstes fordern Sie wahrscheinlich auch noch die Abschaffung der Rechenschaftsberichte hier beim Bundestagspräsidium. Das ist schäbig.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der AfD – Thomas Seitz [AfD]: Zur Sache!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unsere Demokratie lebt davon, dass sich die Menschen im Land in Vereinigungen zusammenschließen und Mehrheiten hinter ihren Forderungen versammeln.

(Jürgen Braun [AfD]: Sie betreiben illegale Medien! Die SPD ist ein illegaler Medienkonzern! Nichts anderes!)

Das Grundgesetz gibt einer Vereinigung – den politischen Parteien – in seinem Artikel 21 die Aufgabe, bei der Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Es ist zuvörderst die Pflicht der Parteien, ihre Arbeitsweise und öffentlichen Verlautbarungen auf dieses Ziel auszurichten. Folglich ist eine staatliche Beobachtung bis hin zum Verbot, aber auch eine Finanzierung von Parteien durch den Staat zur Erfüllung des Verfassungsauftrages richtig und notwendig.

Zu Recht hat daher das Bundesverfassungsgericht an der hier gegenständlichen Erhöhung der absoluten Grenze hohe Begründungserfordernisse geknüpft. Parteien müssen neue gesellschaftliche Bewegungen aufnehmen.

Die Nachbarschaft, die sich gegen ein Bauvorhaben wenden möchte, braucht eine Partei, die sich ihres Anliegens annimmt. Die Bürgerinitiative, die den Erhalt des Freibades fordert, muss sich in diesem Land einer Partei versichert wissen, die sie dabei unterstützt, anschließend im Stadtrat bei der konkreten Entscheidung die Hand hebt und sich gleichsam im Bundestag für Fördergelder einsetzt, wenn es um den Erhalt der kommunalen Einrichtungen und Infrastrukturen geht. So sehen es das Grundgesetz und unser Parteiengesetz nun mal vor.

Diese vielfältigen gesellschaftlichen Interessen sind für mich und die SPD niemals zu klein oder zu unbedeutend. Jedes Anliegen verdient eine Würdigung und – viel wichtiger – eine Positionierung einer jeden Partei, damit sich die Menschen im Land bei der nächsten Wahl sicher sein können, wer sie vertritt und wer nicht und wer diesen Ort für schäbige Instrumentalisierungen missbraucht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD])

Nicht jede gesellschaftliche Bewegung oder Nachbarschaft organisiert sich heutzutage ausschließlich durch Flugblätter oder Zeitungsanzeigen. Im Gegenteil: Die Rahmenbedingungen der Öffentlichkeitsarbeit von Parteien und die Parteienlandschaft haben sich insgesamt verändert. Die Wählerinnen und Wähler erwarten ebenso wie die Mitglieder der Parteien, dass die Parteien die persönlichen Verhaltensweisen der Menschen in Bezug auf Informationsbeschaffung und Meinungsbildung spiegelbildlich in ihre Arbeitsweisen einbringen.

Das Flugblatt auf dem Wochenmarkt muss dabei genauso respektiert werden wie das Angebot der Willensbildung über Twitter, Instagram, Facebook – von WhatsApp-Gruppen, Messenger-Diensten und Apps ganz zu schweigen. Die Parteien sind daher verpflichtet, sich auf diese Begehren im Rahmen der politischen Willensbildung einzulassen. Nicht nur die Umstellung auf die digitale Welt treibt hier die Kosten, sondern auch das Vorhalten paralleler Strukturen, indem man die Druckerei im Keller genauso wie den Newsroom direkt bei der Fraktion vorhalten muss.

Zur Erfüllung dieser Anforderungen ist es unerlässlich, mit dem Anspruch voranzugehen, eine vorbildliche Einhaltung des Datenschutzes zugunsten der Betroffenen sicherzustellen. Dasselbe gilt für den Schutz von Daten vor unberechtigtem Zugriff bei den Parteien. Dies setzt eine angemessene Technik voraus, und eben deren Betrieb und Pflege dürfen keineswegs Kostenzwängen unterworfen werden.

Jüngste Hackerangriffe zeigen uns, dass sich die Feinde der Demokratie schon längst digital formiert haben. Wir müssen die Parteien schnellstens ertüchtigen, diesen Feinden Paroli zu bieten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD])

Daneben gibt es eine Fülle von direktdemokratischen Entwicklungen, die zu begrüßen ist. Parteien müssen deshalb in der Lage sein, auch bei diesen Entscheidungen mitzuwirken und sich an den Verfahren zu beteiligen, ohne die Verfahrensführung zu beanspruchen.

Das Begehren von Nichtmitgliedern, auch an der Willensbildung einer Partei teilzuhaben, ist für die Parteien eine große Chance, gleichsam das Vertrauen in die Parteien zu stärken, ohne den Wert ihrer eigenen Mitgliedschaft dabei herabzusetzen.

Alleine diese Aufgaben zu erfüllen und die neuen Schwierigkeiten und Herausforderungen zu meistern, rechtfertigen schon die staatliche Finanzierung von Parteien und folgerichtig erst recht den Mehrbedarf. Dieser Mehrbedarf ist nicht willkürlich, sondern maßvoll begründet. Seit 2011 wurden die Höchstgrenzen schließlich nicht angehoben.

Das Parteiengesetz hat eine mittelbezogene Grenze und eine parteibezogene Grenze. Keiner Partei werden mehr staatliche Mittel gewährt, als sie selber tatsächlich erwirtschaftet hat. Entsprechend dieser Grenze hätten alle Parteien bei Ausschöpfung einen gesetzlichen Anspruch von tatsächlich 188 Millionen Euro gehabt. Dem liegen – bei allen Parteien, wohlgemerkt – 300 Millionen Euro an selbst erwirtschafteten Mitteln zugrunde. Gleichzeitig steht allen Parteien – allen Parteien! – gemeinsam nicht mehr zu, als ihnen die mittelbezogene Grenze absolut gedeckelt gewährt. Diese beträgt für das Jahr 2018 im Übrigen 165 Millionen Euro.

Das heißt – verständlich für alle –: Innerhalb des gesetzlichen Aufbaus übertrifft die relative, parteibezogene Grenze, gemessen an den Beträgen, die absolute Grenze. Umgangssprachlich formuliert bedeutet das: Es ist nicht genug Geld im Topf, um die Ansprüche der Parteien zu bedienen, da sie auch Eigenmittel erwirtschaftet haben. Deshalb wurden allen Parteien in den letzten Jahren die Ansprüche gleich gerecht durch die absolute Grenze gekappt. Folglich wurden seit 2011 jährlich jeweils etwa 30 Millionen Euro nicht zur Auszahlung gebracht. In diesem Aufbau der Parteienfinanzierung sehe ich eine wechselseitige Verantwortungs- und Treuebekundung des deutschen Staates gegenüber den Parteien.

Die SPD-Bundestagsfraktion sieht es daher als verhältnismäßige Lösung an, die absolute Höchstgrenze für alle Parteien im Land vertretbar auf den tatsächlich bestehenden Bedarf von aufgerundet 190 Millionen Euro anzuheben, der den Parteien rechnerisch zusteht.

(Beifall bei der SPD)

Die Selbstfinanzierung der Parteien bleibt davon unberührt.

Parteien haben den verfassungsgemäßen Auftrag, allen Menschen im Land, analog und digital, Stadt und Land, deutscher Staatsbürger oder nicht deutscher Staatsbürger, als Verfassungsorgan und als Chance zu dienen und so Mehrheiten für die Sache zu gewinnen. Deshalb ist aus meiner Sicht jeder Cent, den wir in die Parteienfinanzierung investieren, ein Cent in die Demokratieförderung unseres Landes.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Mahmut Özdemir. – Nächster Redner: Dr. Hermann Otto Solms für die Fraktion der FDP.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7243480
Wahlperiode 19
Sitzung 37
Tagesordnungspunkt Änderung des Parteiengesetzes
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