08.06.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 37 / Tagesordnungspunkt 20

Lothar MaierAfD - Zivilprozessuale Musterfeststellungsklage

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag unternimmt heute den ich weiß nicht wievielten Anlauf, um zu entscheiden, ob denn die Kollektivklage für Deutschland reif sein könnte. Diese Frucht, meine Damen und Herren, ist überreif, und sie muss jetzt gepflückt werden, bevor sie in den Zustand der Fäulnis übergeht.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Es ist kein Ruhmesblatt für den Deutschen Bundestag, dass es so viele Jahre gedauert hat, bis man zu der Erkenntnis kommt – hoffentlich kommen wir heute zu dieser Erkenntnis –, dass die Kollektivklage, so wie sie in vielen Ländern der Welt längst eingeführt ist, unausweichlich ist.

Es ist auch kein Ruhmesblatt für die Regierung, insbesondere für die vorausgegangenen, dass man mit dem Einbringen eines eigenen Gesetzentwurfes so lange gewartet hat, bis die Europäische Union ankündigte, dass sie in Kürze einen eigenen vorlegen wird und man Details dieses Entwurfs auch schon kennt.

Es ist auch nicht so, dass die Individualklage als Regelklage erst jetzt nicht mehr den veränderten Bedingungen entspricht. Wir sprechen schon seit Jahrzehnten von einer bedrohlichen Konzentration von Marktmacht, vor allem im Einzelhandel. Wir sprechen seit nicht so langer Zeit von einem boomenden Onlinehandel, von der Ausweitung der digitalen Kommunikation, von neuartigen Finanzdienstleistungen, die alle dazu tendieren, gleichartige Schäden für viele Verbraucher bis hin zu Massenschäden hervorzurufen. Es ist viel die Rede – das ist vielleicht nicht das beste Beispiel – von dem sogenannten Dieselskandal, bei dem, wenn es in Europa zu Klagen kommen sollte, Hunderttausende betroffen sein könnten.

Tatsächlich resignieren die Verbraucher viel zu oft. Man sagt sich: Wenn ich den Klageweg beschreite, dann habe ich am Ende mehr Kosten zu tragen, und zwar nicht nur an Geld, sondern auch an Zeit, an Ärger und allem, was noch damit zusammenhängt, als ich am Ende, selbst wenn ich das Verfahren gewinnen würde, wieder herausbekommen würde. Die Streitwerte – wir wissen das alle – sind ja oft auch relativ gering. Dieses Verhalten mit der schönen Bezeichnung „rationales Desinteresse“, nämlich Verzicht auf die Durchsetzung der eigenen Interessen, stellt am Ende nichts anderes dar als eine faktische Belohnung für unlautere Geschäftspraktiken.

Obendrein ist die Neigung der Verbraucher, in Gerichtsverfahren einzutreten, immer noch recht gering. Die Scheu, vor Gericht zu stehen – und sei es als Kläger im Zivilprozess –, ist bei vielen Menschen ausgebildet. Die Erfahrungen, auch die internationalen Erfahrungen, zeigen, dass das bei Kollektivklagen viel weniger der Fall ist. Obwohl viele Verbraucher darauf verzichten, auf die Durchsetzung ihrer Ansprüche zu bestehen, ist eine Entlastung der Gerichte nicht zu beobachten, ganz im Gegenteil.

Wir meinen, dass der vorgelegte Gesetzentwurf einige Forderungen erfüllen muss, wenn er wirksam sein soll. Ich möchte vier solcher Forderungen benennen.

Die erste davon – da kann ich mich kurzfassen, weil Frau Ministerin Barley bereits darüber gesprochen hat – ist, dass die Durchsetzung von Interessen wirksam sein und rasch gelingen muss. Es kann nicht sein, dass man bei einer Klage mit geringem Streitwert jahrelang auf die Entscheidung warten muss.

(Beifall bei der AfD)

Es muss – zweitens – eine Entlastung der Gerichte geben, die durch solche Massenschäden schon längst überfordert sind.

Drittens muss man darauf hoffen – das ist vielleicht der schwierigste Aspekt –, dass die Kollektivklage eine disziplinierende Wirkung auf das Anbieterverhalten entwickelt und durch ihr bloßes Vorhandensein abschreckt, unlautere Geschäftspraktiken anzuwenden.

Viertens, meine ich, muss unter allen Umständen verhindert werden – da sehe ich keine großen Meinungsverschiedenheiten hier im Haus –, dass eine Klageindustrie nach amerikanischem Muster bei uns entsteht, die ein Milliardengeschäft darstellt, das viele Unternehmen in existenzielle Schwierigkeiten geführt hat und dessen Kosten die Unternehmen ja gar nicht selber, sondern die Verbraucher über die Preise tragen. Die Klageindustrie ist ein im vollen Sinne sozialschädliches Geschäftsmodell.

(Beifall bei der AfD)

Der vorgelegte Gesetzentwurf scheint uns im Prinzip geeignet, diese Forderungen zu erfüllen. Sie werden vielleicht schockiert sein, das von mir zu hören. Wenn die AfD dem Gesetzentwurf zustimmt, haben Sie ja die Möglichkeit, ihn wieder zurückzuziehen.

(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Dazu ist er doch viel zu gut! – Dr. Jürgen Martens [FDP]: So wichtig sind die doch auch nicht!)

Dann wäre die Frucht vom Reifezustand tatsächlich in die Fäulnis übergegangen.

Aber um seine Wirkung voll zu entfalten – und das ist nicht nur an die Adresse des Hohen Hauses, sondern auch an die Ministerin gerichtet –, bedarf es nach unserer Auffassung noch einiger Korrekturen.

Wir halten die Parallelität von Individualklagen und Musterklagen nicht für wünschenswert. Hier sollte verfahren werden wie beim Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz. Wenn eine Kollektivklage auf dem Weg ist, sollten keine Individualklagen mehr angenommen werden. Das setzt natürlich voraus, dass auch nach Beginn des Verfahrens noch Klagen angenommen werden können. Es sollte ein Wettlauf der Kläger vermieden werden. Diese Forderung erfüllt das Gesetz ganz offensichtlich; denn das zuständige Gericht entscheidet, welcher von den bereitstehenden Klägern derjenige sein soll, der ausgewählt wird.

Für die Feststellung der Klageberechtigung braucht man sich auch nicht viel Neues einfallen zu lassen. Da gibt es die bewährte Liste nach dem Unterlassungsklagengesetz, die auch hier angewendet werden kann. Die Eintragung ins Klageregister ist eine schwieriger zu erfüllende Voraussetzung. Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung als früherer Geschäftsführer einer Verbraucherzentrale, dass sehr viele Verbraucher sich sehr schwertun, präzise zu benennen, was eigentlich ihr rechtliches Anliegen ist, und insbesondere, wie hoch der Schadensersatzanspruch ist, den sie anzumelden hätten. Hier sollte das Bundesministerium entsprechende Hilfen bereitstellen in Form von Formularen mit den entsprechenden Erläuterungen, wie das auszufüllen ist. Es kann nicht dahin kommen, dass man, um diese Formulare auszufüllen, am Ende wieder einen Rechtsanwalt braucht.

(Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der dafür noch nicht einmal vergütet wird!)

Und schließlich und endlich: Die Meldefristen, die das Gesetz vorsieht, nämlich für die Bekanntmachung der Einleitung einer Musterfeststellungsklage und für die Bekanntmachung von Terminen, sind grotesk gering. 14 Tage für die Bekanntmachung der Klage und eine Woche für die Ansetzung eines Termins: Das sieht ein bisschen so aus, als ob man verhindern wollte, dass zu diesem Termin überhaupt jemand kommt.

Das Fazit insgesamt:

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Das kann ein bedeutender Fortschritt im Interesse der Verbraucher und der Bürger sein, und deswegen werden wir das sehr positiv im Ausschuss behandeln.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Professor Maier. – Als ­Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-­Becker.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7243556
Wahlperiode 19
Sitzung 37
Tagesordnungspunkt Zivilprozessuale Musterfeststellungsklage
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