Johannes FechnerSPD - Zivilprozessuale Musterfeststellungsklage
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wer recht hat, muss recht bekommen, und das schnell und kostengünstig. Weil dieser Gesetzentwurf – herzlichen Dank an das Bundesjustizministerium und an Frau Ministerin Barley – genau dies vorsieht, ist das heute ein sehr guter Tag für den Verbraucherschutz in Deutschland.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Nach jahrelangen Diskussionen – Kollege Steineke, aus rechtshistorischen Gründen möchte ich anfügen: aufgrund der Dauerblockade der Union –
(Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Das ist doch Blödsinn! – Gegenruf der Abg. Andrea Nahles [SPD]: Das ist kein Blödsinn! Das ist die Wahrheit!)
starten wir heute endlich in die Beratung der Einführung einer Musterfeststellungsklage, und das ist gut so; denn Tausende Autokäufer sind in Deutschland von Autokonzernen betrogen worden. Wir als Gesetzgeber stehen hier in der Pflicht, alles dafür zu tun, dass die Opfer von Abgasmanipulationen ihre Schäden ersetzt bekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und zwar vom Verursacher.
(Beifall bei der SPD)
Wir können jetzt nicht gesetzlich anordnen, dass Nachrüstungen vorzunehmen sind, und wir können jetzt kein Gesetz verabschieden, das vorsieht, dass die Preise der gekauften Fahrzeuge zwingend zurückzubezahlen sind. Aber wir können dafür sorgen – und das tun wir mit dieser „Einer-für-alle-Klage“ –, dass Autokäufer schnell und ohne Kostenrisiko ihre Schadensersatzansprüche geltend machen können. Damit gilt eben, dass derjenige, der recht hat, auch recht bekommt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es geht bei diesem Gesetz nicht nur um den Verbraucherschutz – das will ich ausdrücklich sagen –, sondern es geht auch um die Frage, ob unser Rechtsstaat alles dafür tut, dass Bürgerinnen und Bürger zu ihrem Recht kommen. Auch deswegen müssen wir den kollektiven Rechtsschutz in Deutschland, wie wir es hier vorschlagen, ausbauen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Nach unserem Konzept der „Einer-für-alle-Klage“ kann sich ein Verbraucher ganz einfach und vor allem kostenlos ins Register eintragen lassen und so über eine Musterklage klären lassen, ob die Voraussetzungen für seinen Anspruch gegeben sind. Das ist der große Vorteil der Musterfeststellungsklage. Ohne Kostenrisiko kann etwa ein getäuschter Autokäufer kostenlos über einen Musterprozess klären lassen, ob die Voraussetzungen für seinen Schadensersatzanspruch gegeben sind, ob also die Abgaswerte seines Autos manipuliert wurden. Wenn das feststeht, dann kann er selber klagen – wobei ich davon ausgehe, dass es gar nicht immer zum Klageverfahren kommen muss, weil ein ökonomisch vernünftiges Unternehmen, das den Musterprozess verloren hat, von sich aus akzeptable Vergleiche schließen wird.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Rottmann?
Ja, na logo.
Frau Dr. Rottmann, Sie haben das Wort.
Sie sind ein bisschen im Vorteil; denn Sie sind Jurist. Ich würde es lieber mit der Herangehensweise eines Laien probieren.
Wie würden Sie als Laie zum Beispiel die geforderte Angabe der Forderungshöhe bei einem durchschnittlich manipulierten Diesel von VW beziffern? Wie ist die Forderungshöhe? Ist es derselbe Lebenssachverhalt? Wie machen Sie das?
Wir haben das Ministerium gefragt, ob es Informationen dazu geben wird, wie man diese Anmeldungen vornimmt. Das Ministerium hat gestern unsere Kleine Anfrage beantwortet und hat gesagt: Das ist Sache der Verbände. Das hat mit uns nichts zu tun. – Also, wie soll der Laie diese Anmeldung ordnungsgemäß ohne Anwalt über die Bühne bringen?
Da sollten wir mehr Vertrauen in unsere Bürgerinnen und Bürger haben, dass sie durchaus in der Lage sind, den Schaden zu beziffern.
(Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie hoch? – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal eine Zahl!)
Es gibt den Kaufvertrag. Das wird alles darstellbar sein.
Frau Kollegin Rottmann, wenn ich dazu ergänzend antworten darf: Dass Sie dieses Gesetz als „Zombie“ und „Totalschaden für den Rechtsstaat“ bezeichnet haben,
(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie beantworten die Frage nicht!)
obwohl Leute wie Herr Billen, grünes Parteibuch, oder Herr Müller mit einem grünen Parteibuch mitgewirkt haben, obwohl es seit dem Ende der rot-grünen Koalition kaum ein Gesetz gab, auf das so viele Menschen mit grünem Parteibuch Einfluss genommen haben,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wär’s, wenn Sie einfach mal die Frage beantworten!)
vor allem, obwohl Sie selber die Einführung einer Musterfeststellungsklage im Jamaika-Sondierungspapier, Zeile 986, vorgesehen haben, dass Sie in diesen heftigen und völlig überzogenen Tönen darauf eingehen – „Zombie“ und „Totalschaden“ –, dafür habe ich überhaupt kein Verständnis, Frau Kollegin.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Aber die Antwort auf die Frage hätte mich wirklich interessiert!)
Der entscheidende Vorteil besteht darin, dass ein Richter nicht in einem Verfahren Tausende von Ansprüchen klären muss, nicht tausendmal individuell klären muss: „Wie hoch ist die Anspruchshöhe?“, sondern dass in einem Verfahren geklärt wird, ob der Anspruch an sich besteht. Dann kann der Verbraucher, wenn er kein vernünftiges Angebot bekommt, ohne Kostenrisiko – denn er weiß ja, dass er gewinnen wird – das Verfahren selber für sich führen. Es ist also eine absolut vernünftige Lösung, die wir hier gefunden haben.
Ich möchte hier auch mit einigen Märchen aufräumen: Wer eine Musterfeststellungsklage führen darf, das ist ganz transparent und nach objektiven Kriterien geregelt. Es ist garantiert, dass nur vertrauenswürdige und dem Verbraucherschutz verpflichtete Einrichtungen klagebefugt sind. Die Einrichtung muss eine gewisse Größe haben: mindestens 10 Mitgliedsverbände oder 350 Mitglieder. Es muss sie seit vier Jahren geben, und zwar eingetragen in eine seit langem beim Bundesamt für Justiz bestehende Liste zum Unterlassungsklagegesetz. Und: Wenn ein Skandal auftaucht, dann kann nicht sofort eine Einrichtung gegründet werden und Musterfeststellungsklagen eingeleitet werden. Schließlich muss die qualifizierte Einrichtung von Unternehmensfinanzierungen unabhängig sein. Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt, den wir hier geregelt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir haben also objektive, klare, transparente Kriterien geschaffen, wer klagen darf. Zu sagen, eine handverlesene, industriefreundliche Schar von Einrichtungen dürfe nur klagen, ist also Unsinn. Davon kann überhaupt keine Rede sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Schon gar nicht werden die immer wieder genannten ausländischen Großkanzleien befugt sein. Immer wieder wird ja gesagt: Dann gibt es Klagen wie in den USA. – Ich finde, allzu oft wird das böse Wort der „Klageindustrie“ dazu missbraucht, um Möglichkeiten zur Durchsetzung des Verbraucherschutzes und der Verbraucherrechte kleinzuhalten. Deswegen schließe ich mich dem ausdrücklich nicht an.
Schließlich wird ja auch den Anwaltskanzleien nichts weggenommen. Wir haben in Deutschland gute, spezialisierte Kanzleien, die auch in den VW-Fällen erfolgreich und effektiv tätig waren. Denen nehmen wir nichts weg. Wer es sich leisten kann und will, der soll ruhig gerne weiterhin zu diesen spezialisierten Kanzleien gehen. Aber das führt zu Gerichtskosten und Anwaltsgebühren, und nicht jeder hat eine Rechtsschutzversicherung oder ist prozesskostenhilfeberechtigt. Genau um diese normalen Verbraucher geht es uns. Sie können sich nach diesem Gesetz kostenlos ins Register eintragen lassen, und im Musterverfahren wird dann rechtsverbindlich geklärt, ob ihr Anspruch gegeben ist, und das ist das Ziel. Es ist eine sehr gute Lösung, die wir hier präsentieren.
Und es geht uns um eine zweite Gruppe, nämlich die Verbraucher, die nur geringe Schäden erlitten haben. Diese Schäden sind aber oft besonders ärgerlich, weil sie zum Beispiel durch eine besonders dreiste Täuschung oder durch offensichtlich unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingungen entstanden sind. Wegen einer kleinen Summe wird aber in der Regel nicht geklagt – rationales Desinteresse ist hier der entsprechende Fachbegriff. Wenn es aber dann die Möglichkeit gibt, sich kostenlos in ein Register eintragen zu lassen und dann so über eine Einrichtung die Ansprüche verfolgen zu lassen, dann ist das eine einfache Möglichkeit, auch geringere Ansprüche zeitsparend – ohne großen Zeitaufwand – geltend zu machen. Deshalb ist auch für solche Fälle, in denen es nicht um viel Geld geht, die Musterfeststellungsklage ein sehr geeignetes Mittel des Rechtsschutzes, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich danke dem Justizministerium für die schnelle Erstellung dieses Gesetzentwurfs. Wir sollten ihn gründlich, aber auch zügig diskutieren, damit er verjährungsunterbrechend zum 1. November 2018 in Kraft treten kann. Er ist gut. Dennoch werden wir uns sicherlich noch einige Punkte in der Diskussion vornehmen, etwa die Frage des Windhundprinzips, Haftungsfragen oder in der Tat auch die Frage, ob denn nicht auch Unternehmen an diesem Instrument teilnehmen sollten.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.
Alles in allem – ich komme zum Schluss – ist es ein guter Tag für den Verbraucherschutz, weil wir hier eine sehr effektive Rechtsschutzmöglichkeit für die Bürger präsentieren.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sebastian Steineke [CDU/CSU])
Vielen Dank, Herr Kollege Fechner. – Als Nächstes erteile ich dem fraktionslosen Abgeordneten Mario Mieruch das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7243569 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 37 |
Tagesordnungspunkt | Zivilprozessuale Musterfeststellungsklage |