08.06.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 37 / Tagesordnungspunkt 23

Martin NeumannFDP - Ausbaumengen für Windenergie an Land und Solarenergie

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Verlinden, kommen wir zur Realität zurück. Ich will an verschiedenen Beispielen darstellen, was ich damit meine.

Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf für 2018 eine Sonderausschreibung für 1 500 MW Onshorewind und 800 MW Photovoltaik vorgesehen. Ich will das einmal praktisch beleuchten. Wenn Sie also davon ausgehen, dass wir durchschnittlich 900 Sonnenstunden und circa 1 700 Windstunden im Jahr haben, dann käme mathematisch eine Strommenge zustande, mit der man circa 900 000 Haushalte versorgen könnte. Mathematisch! Aber – und das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich – Strom kann man leider nicht auf Halde parken. Das ist das Problem.

Sie haben auch einen Antrag vorgelegt, der dem sogenannten Stromstau den Kampf ansagt. Leider bezeichnen Sie in diesem Antrag den schleppenden Ausbau der Stromnetze als „schlechte Ausrede“, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu bremsen. Nein, meine Damen und Herren, wir brauchen dringend und aktuell vor allen Dingen eine technische und wirtschaftliche Integration der heutigen regenerativen Stromspitzen und bis dahin deutlich ein Moratorium für den weiteren Windausbau.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Jens Koeppen [CDU/CSU] – Zuruf der Abg. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]

– Sicher.

(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie unserem Antrag sicherlich zu!)

Wenn Sie die fehlenden Netze, Speicher, aber auch intelligente Netze und die notwendige wirtschaftliche Integration nicht als das wahrnehmen, was sie sind, nämlich ein zentrales Hindernis für das Gelingen der Energiewende, dann werden Sie in Sachen Realitätsverweigerung kaum noch zu übertreffen sein.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Die Realität der Energiewende ist nach jetzigem Stand vor allem eines: unnötig teuer. Der Grund ist der fehlende Netzausbau,

(Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie unseren Antrag gelesen?)

den Sie ja auch als schlechte Ausrede abtun. Fakt ist aber: Fehlende Leitungen treiben die Kosten für die Sicherung der Systemstabilität immer weiter in die Höhe. Für 2017 rechnet die Bundesnetzagentur wiederum mit neuen Rekorden bei den Kosten von weit mehr als 1 Milliarde Euro. Diese Kosten tragen in letzter Konsequenz Verbraucher und Unternehmen, von deren Akzeptanz aber das Gelingen der Energiewende abhängt.

(Beifall bei der FDP)

Um sich die Last einmal auf der Zunge zergehen zu lassen: Wenn Sie den Betrag von 1 Milliarde Euro in 10-Euro-Noten aufteilen, dann kommt man auf ein Gewicht von 72 Tonnen. 72 Tonnen! Das entspricht in Deutschland dem Gewicht von zwei Sattelzugmaschinen mit je zwei Doppelachsen. Diese gewaltige Summe verschlingt allein das Management von Netzengpässen, von Redispatch und Abregeln von Alternative-Energie-Anlagen, Tendenz steigend.

Liebe Frau Verlinden, Sie haben sicherlich von der Umfrage im letzten Monat in der „FAZ“ gehört. Jeder fünfte Bundesbürger – das müsste Ihnen zu denken geben – ist bereit, für günstigen Strom das Festhalten an der Atomkraft zu befürworten. Das ist interessant.

(Timon Gremmels [SPD]: 80 Prozent dagegen!)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte schön.

Vielen Dank, Herr Neumann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sprechen hier von Umfragen. Sie haben eine Umfrage aus dem letzten Monat zitiert.

Ja, vom Mai.

Ich kenne auch eine Umfrage vom letzten Monat, die von Emnid durchgeführt wurde. Es wurde gefragt, ob die Menschen in Deutschland bereit wären, die Atomkraftwerke früher abzuschalten, selbst wenn das zu Entschädigungszahlungen führt, die dann natürlich vom Steuerzahler übernommen werden müssen. Und siehe da: Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland ist dafür.

Ja, aber Sie haben den Kommentar dazu nicht gelesen. Hinterher war nämlich angeführt, dass die Menschen nur dazu bereit sind, wenn sie die Kosten nicht tragen müssen, nach dem Motto: Der andere kann es bezahlen.

(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß nicht, was für einen Kommentar Sie jetzt meinen!)

Frau Kollegin, Sie haben Ihre Frage gestellt.

Laut Eurostat hat Deutschland Dänemark nun überholt, und wir sind jetzt bei den Strompreisen – und das kurz vor der Fußball-WM – Europameister.

Herr Kollege, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?

Ja, bitte.

Herr Kollege Neumann, ich war in den 2000er-Jahren in der Tschechischen Republik beschäftigt. Damals versprach man den Bürgerinnen und Bürgern in der Tschechischen Republik: Wenn Temelin erweitert wird, würde der Strompreis um 30 Prozent sinken. Daraufhin war eine Mehrheit dafür. Als dann das Kraftwerk in Betrieb ging, wurden die Strompreise um 25 bis 40 Prozent erhöht mit der Begründung: Weil es so hohe Sicherheitsanforderungen an das Atomkraftwerk gegeben hat, wäre jetzt der Atomstrom teurer. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.

Nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, dass das Atomkraftwerk Hinkley Point C mit 12,6 Cent garantierter Einspeisevergütung für 35 Jahre inklusive Inflationsausgleich bezuschusst werden soll. Das ist ein wesentlich höherer Beitrag als für Windstrom, der zurzeit mit 5 Cent für 20 Jahre ohne Inflationsausgleich auf den Markt kommt. Nehmen Sie also zur Kenntnis: Schon die Fragestellung „Seid ihr dafür, wenn es billiger wird?“ ist falsch, weil Atomstrom gar nicht billiger sein kann. Er ist immer teurer.

Deswegen die Frage an Sie: Weshalb zitieren Sie Aussagen zu Umfragen, die definitiv einen falschen Hintergrund haben?

(Beifall bei der LINKEN)

Sie beschreiben nur eines, lieber Herr Kollege: dass die Dinge sehr komplex sind und dass es sicherlich darauf ankommt, im Detail hinzusehen. Aber es geht darum – diese Frage bleibt bestehen –, was das für den Bürger letztendlich an Kosten ausmacht. Das ist die Frage, die wir beantworten müssen. Wir haben sie noch nicht zu Ende beantwortet. Ich komme im weiteren Verlauf dann noch auf einige Punkte, die Sie gerade angesprochen haben.

Ich habe vorhin festgestellt, dass wir Europameister bei den Preisen sind, was den Strom betrifft. Ich habe über 20 Jahre beim Verbraucherzentrale Bundesverband gearbeitet, und ich habe in Gesprächen immer wieder mitbekommen, dass es den Leuten tatsächlich darauf ankommt: Was kostet das Ganze?

(Timon Gremmels [SPD]: Was ist mit den Folgekosten der Atomenergie?)

Ich frage die Antragsteller ganz besorgt, ob es Ihnen tatsächlich um das Gelingen der Energiewende geht. Geht es wirklich darum, dass Sie die Energiewende erfolgreich durchführen wollen, ober geht es um das potenzielle Zusammenbrechen von Träumen? Meiner Ansicht nach muss es um eine bezahlbare, versorgungssichere und ökologische Energieversorgung gehen,

(Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das wollen wir!)

die in der Summe die Akzeptanz der Menschen in diesem Land findet.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Timon Gremmels [SPD]: Darum geht es! Da haben Sie recht!)

Die Akzeptanz der Menschen bekommen Sie aber nur, wenn die Energiewende schlicht darauf ausgelegt ist, dass sie funktioniert – nichts anderes. Laut Experten brauchen Sie, was Ihren Koalitionsvertrag und die Sonderausschreibungen, die Sie nun vehement einfordern, angeht, zwei zusätzliche Nord-Süd-Trassen bis 2030. Ich hoffe, das wissen Sie, und ich hoffe, Sie wissen auch, was das bedeutet.

Ich versuche es einmal mit einem anderen Beispiel: Stellen Sie sich bitte vor, Sie wollen mit Ihrer Familie in eine andere Stadt ziehen, finden aber dort partout keinen bezahlbaren Wohnraum. Jemand baut dann für sehr viel Geld sehr schöne, moderne Wohnungen auf einer grünen Wiese, vielleicht auch im Wald. Die Wohnungen sind bezahlbar, aber das Ganze hat einen Haken: Sie haben keine Straße. Sie kommen also nicht zu dieser Wohnung. Was nutzt das dann? Diese Politik können Sie den Menschen nicht erklären.

(Beifall bei der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Beer hat da eine Antwort drauf!)

Ökologisch verantwortungsbewusst ist eben nicht nur der Klimaschutz, für den Ihnen offensichtlich alle Mittel heilig sind. Es geht meiner Ansicht nach auch darum, Flora und Fauna vor dem Eingriff des Menschen zu schützen. Auch das ist eine Frage ökologischer Verantwortung.

(Beifall bei der FDP – Lisa Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind die Umweltpartei! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die FDP für Flora und Fauna ist, dann wird es immer komisch! – Timon Gremmels [SPD]: Wollen Sie die auf den Autobahnen denn auch schützen?)

So wie die Netzengpässe für Sie nur schlechte Ausreden sind, begreifen Sie möglicherweise analog hierzu die Natur- und Tierschützer als Wutbürger, die gegen Windräder demonstrieren, welche ganze Landstriche zerstören.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen denen doch sogar die Gemeinnützigkeit aberkennen!)

Doch offenbar treten Sie nicht nur Ihre eigenen Überzeugungen mit Füßen, sondern auch die Gesetze der Marktwirtschaft und sämtliche Naturgesetze. Wie bewerten Sie denn die in dieser Woche veröffentlichte Leitstudie der dena, die besagt, dass die Energiewende ohne Netz- und Speicherausbau niemals gelingen wird? Frage: Auch eine schlechte Ausrede? Nein. Denn einfach blind die alternativen Energien auszubauen, reicht eben nicht, wenn der Ausbau von intelligenten Leitungen und Netzen nicht hinterherkommt.

(Beifall bei der FDP)

Unrealistische und ideologiegetriebene Forderungen sind insgesamt nicht nur wenig zielführend, sondern sie lähmen auch die gesamte politische Debatte. Wenn generell ein Einbruch der Zubauzahlen ab 2019 befürchtet wird, so ist dies lediglich das Ergebnis einer verfehlten Korrektur des EEG; Sie haben die Bürgergesellschaften ja vorhin schon erwähnt. Dass der Einbruch in der Realität tatsächlich erfolgt, ist noch nicht gesichert. Wir müssen uns das sicherlich noch einmal genau ansehen. Ich sage zusammenfassend – auch mit Blick auf die Uhr –: Augenmaß ist hier gefordert, nicht Ideologie. Für eine funktionierende Energiewende müssen wir den Wettlauf der Lobbyisten um den besten Platz an der Freibiertheke unterbinden.

(Beifall bei der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Das ist doch jetzt eine Unverschämtheit!)

Noch ein Satz zu den Ausschreibungen, um das einmal praktisch zu machen. Die letzte Ausschreibung für Windenergie an Land war erstmalig deutlich unterzeichnet. Das heißt, es gab zu wenige Punkte. Eine starke Ausweitung der Ausschreibungsmengen würde aber dazu führen, dass alle Betreiber nur noch Höchstgebote abgeben würden. Das schadet letztendlich auch dem Gesamtsystem.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der AfD)

Ich fasse zusammen: Bei der Gestaltung der Energiewende müssen die Ziele lauten: Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit, Ökologie und Akzeptanz. Mein schnelles Vehikel ist dabei die Marktwirtschaft, während Sie zu Fuß durch die Planwirtschaft irren.

(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lassen Sie die doch investieren, die investieren wollen!)

Wir werden der Überweisung zustimmen, weil wir immer noch hoffen, dass die Überzeugung von der Marktverantwortung gewinnen wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Der nächste Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Lorenz Beutin.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7243583
Wahlperiode 19
Sitzung 37
Tagesordnungspunkt Ausbaumengen für Windenergie an Land und Solarenergie
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