Rainer SpieringSPD - Aktuelle Stunde zur Gemeinsamen Agrarpolitik, insbesondere zum Insektenschutz
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Phil Hogan hat einen Vorschlag gemacht, wie sich die zukünftige EU-Agrarpolitik ausgestalten soll. Das war noch nicht das Wort zum Sonntag; deswegen würde ich auch einmal mit den Emotionen ein bisschen runterkommen. Das heißt, wir haben jetzt Zeit, über diese ganze Frage zu diskutieren. Diese Zeit sollten wir auch nutzen. Eine der Fragen, die er genannt hat, war: Wie wollen wir im Rahmen des Wirtschaftens mit Boden, Luft und Wasser umgehen? Ich finde, das ist eine gute Frage, und der sollten wir uns doch auch stellen wollen.
Heute Morgen war ich mit Kolleginnen und Kollegen bei der Leibniz-Gemeinschaft. Dort fand eine Veranstaltung zum Thema „Ressource Boden“ statt. Es ging – von der Leibniz-Gemeinschaft sehr gut organisiert – um die „Blackbox Boden“, und es wurde die Frage diskutiert: Was ist im Boden drin? Wir haben erfahren, dass die Mikrobiologie des Bodens deutlich vielfältiger ist als das, was darüber ist. Ich fand das ausgesprochen spannend. Es hat mich aber auch betroffen gemacht. Als ein praktizierender Landwirt sagte: „Wir müssen den Boden in Ruhe lassen“, war ich wirklich irritiert. Ich finde, dieser Frage müssen wir uns stellen, und zwar – das sage ich mit aller Betroffenheit und auch mit aller Vorsicht – jenseits eigener Betroffenheit. Geschätzte Kollegin Konrad, ich kann Ihre Emotionen an dieser Stelle verstehen, aber manchmal sind sie ein schlechter Ratgeber dafür, was man in der Politik tun sollte.
Entscheidend bei der GAP-Reform – und das sollten wir auch nicht kleinmachen – ist der Versuch von Hogan, in die Finanzierung der Fläche einzusteigen. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Belohnung von Eigentum in der Geschichte jemals etwas Sinnvolles ergeben hätte.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehen Sie das bitte einmal unter dem folgenden Aspekt: Wie kann sich etwas fortentwickeln, wenn etwas belohnt wird, was schon da ist? Das ergibt irgendwie keinen Sinn.
Im Rahmen der Direktzahlungen werden ungefähr 400 Euro pro Hektar Land gezahlt, und die sind an die Fläche gebunden. Lieber Hermann, du hast gesagt, das wäre ein Teil des Einkommens in der Landwirtschaft. Der aktiven Landwirte? Ich habe mir das bei uns zu Hause bei allen Betroffenen angeguckt. Ich kenne sie alle, und ich weiß, wer von ihnen Land pachtet und wer Landeigentum hat. Derjenige, der am meisten bekommt, pachtet am meisten. Das heißt, er führt an andere ab. Damit wird also nicht der aktive Landwirt belohnt, sondern der Landwirt, der sich zurückgezogen hat und seinen Grund und Boden als Reserve für sein Einkommen sieht. Ich finde, damit sollten wir uns einmal nüchtern auseinandersetzen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sollten das vor allen Dingen auch unter dem Aspekt betrachten, dass die EU aktive Landwirtschaft unterstützen möchte. Das tun wir definitiv nicht. Wir belohnen mit dem Geld Grund und Boden.
Wenn ich das einmal tief auf mich wirken lasse, stelle ich fest: Ich bekomme als Landwirt Geld für meinen Grund und Boden. Das ist in Ordnung so; so wollen wir das per Grundgesetz. Aber wo steht in der europäischen Gesetzgebung geschrieben, dass nicht nur die Pacht gezahlt wird, sondern dass der Staat oder eine große Leistungsgemeinschaft darauf noch eine Verzinsung zahlt. Wo soll das hinführen? Wenn ich die letzten 40 Jahre der europäischen Agrarpolitik ein bisschen Revue passieren lasse, dann kann ich nicht erkennen, dass eine große Innovation dadurch entstanden ist.
Ich finde, es lohnt sich, zu lesen, was Hogan möchte: Forschung, Technologie, Digitalisierung – Kollegin Konrad –, Klimaschutz, Ressourcenschonung – Wasser, Böden, Luft –, Biodiversität und – ganz, ganz wichtig – Beschäftigung, Wachstum, soziale Inklusion, sichere, nahrhafte, nachhaltige Lebensmittel. Bei aller strittigen Diskussion, die wir hier auch aus dem ökologischen Zentrum gehört haben, müssen wir einmal einen Schritt zurückgehen und uns das anhören: Es geht auch um soziale Inklusion und die Frage der Anerkennung von Landwirtschaft.
Wenn wir unserer Landwirtschaft eine faire Chance geben wollen, würde ich das BMEL dringend dazu auffordern, das, was an wissenschaftlichen Erkenntnissen bis jetzt geliefert worden ist, einmal aufzunehmen. Alles, wovon ich bisher gehört habe, ob das von der Leibniz-Gemeinschaft oder vom Thünen-Institut usw. kommt, muss alles durch einen Bottleneck, also einen Flaschenhals, des Ministeriums und rutscht da leider nicht durch. Das können wir uns auf Dauer mit der deutschen Wissenschaft und der deutschen Landwirtschaft nicht leisten, Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD)
Hermann hat gemerkt, dass ich da Betroffenheit empfinde. Wir sind ein starker Wissenschaftsstandort. Wir können was. Wir müssen dann aber auch mit unserem Wissen die Landwirtschaft dahin bringen, dass sie im Sinne von Boden, Luft und Wasser leistet, was sie leisten kann und auch leisten will, und im Rahmen von sozialer Inklusion wieder ihren Stellenwert in der Gesellschaft bekommt. Das gönne ich ihr von Herzen.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen herzlichen Dank, Rainer Spiering. – Nächste Rednerin: Steffi Lemke für Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7243664 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 37 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Gemeinsamen Agrarpolitik, insbesondere zum Insektenschutz |