14.06.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 39 / Zusatzpunkt 6

Johannes VogelFDP - Renten von Vertriebenen und Spät-/Aussiedlern

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich im Ergebnis dem Kollegen Weiß anschließen: Ihr Antrag, liebe Kollegen von der AfD, ist nicht überzeugend.

Erstens. Sie scheinen ein Grundprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland nicht verstanden zu haben, nämlich dass die Rente darauf beruht, was jemand individuell geleistet hat, und nicht darauf, ob er zu einer vermeintlichen oder tatsächlichen Gruppe gehört. Das scheinen Sie nicht verstanden zu haben.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens – es geht fachlich weiter –: Wie kommen Sie eigentlich darauf, irgendwelche Rentenwerte in Ihrem Antrag –

(Dr. Anton Friesen [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– ich lasse keine Zwischenfragen zu – auf der Grundlage von Statistiken zur Erwerbstätigkeit zu berechnen? In der gesetzlichen Rente ist nicht Erwerbstätigkeit entscheidend, sondern sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Das zweite Grundmissverständnis der Systematik unserer Rentenpolitik!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Ihr Vorschlag – das kann man im Antrag klar nachlesen –, die Renten der Aussiedler anhand durchschnittlicher Beitragszahlung zu berechnen, zeigt wiederum ein klares Unverständnis der Rechengrundlagen, weil es den Einzelfall völlig außer Acht lässt.

Das sind drei grobe fachliche Schnitzer in Ihrem Antrag. Wir können in der Sache streiten; aber legen Sie bitte wenigstens substanzielle Anträge vor, wenn Sie darüber streiten wollen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD] und Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Besonders bemerkenswert fand ich einen Satz in der Begründung in diesem wirklich zusammengeschusterten Antrag. Sie insinuieren nämlich in der Begründung, dass Ihr Anliegen gerechtfertigt sei, weil ja die betroffene Gruppe einen besonders niedrigen Altersdurchschnitt hätte. Wollen wir das mal zu Ende denken? Was heißt das denn bezogen auf andere Gruppen? Was heißt das denn – wenn Sie schon versuchen, das Rentensystem in Abstammungsgruppen zu denken – bezogen auf andere Deutsche mit ausländischen Wurzeln, mit Herkunft aus einer bestimmten Region, aus einem bestimmten Land, die vielleicht auch einen sehr niedrigen Altersdurchschnitt haben, weil sie viele Kinder haben? Sollen die dann auch höhere Renten bekommen, oder nicht, liebe Kollegen von der AfD, weil das dann nicht in Ihr Weltbild passt,

(Karsten Hilse [AfD]: Der Unterschied ist, dass sie nicht einzahlen, weil sie keine sozialversicherungspflichtigen Jobs haben!)

weil es vielleicht Menschen aus Regionen sind, die Sie hier nicht haben wollen?

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Karsten ­Hilse [AfD]: Sie pauschalisieren hier!)

Das zeigt Ihr Denken, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, aber, ich glaube, es ist nicht der Ansatz der weit überwiegenden Mehrheit in diesem Haus.

Wir wollen weiterhin ein Rentensystem, das auf die individuelle Biografie schaut. Ich finde ja richtig, dass Sie in Ihrem Antrag auch ansprechen, dass es für die Finanzierung unserer Sozialsysteme nötig ist, dass wir Menschen aus dem Ausland hierherholen, dass wir Einwanderung brauchen.

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Brauchen wir nicht!)

Ja, wir wollen ein modernes Einwanderungsgesetz,

(Karsten Hilse [AfD]: Die wollen ja nicht kommen! Die wollen ja nicht zu uns kommen!)

das Deutschland endlich besser macht im Wettbewerb um die klugen Köpfe auf der ganzen Welt. Aber dann müssen Sie sich von Ihrem Weltbild verabschieden, dass hier die Abstammung oder die Religion irgendeine Rolle spielt. Dann darf nämlich nur Qualifikation eine Rolle spielen.

(Karsten Hilse [AfD]: Die Steuern in Deutschland sind so hoch, dass sie gar nicht zu uns kommen wollen!)

Wir wollen eine Gesellschaft, in der nicht zählt, woher jemand kommt oder woran er glaubt, sondern in der zählt, was er leistet, was er tun will, wie qualifiziert er ist. Ein solches System müssen wir schaffen, wenn wir vernünftige Einwanderungspolitik und auch eine vernünftige Rentenpolitik machen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis will ich die letzten 30 Sekunden meiner Redezeit dafür nutzen, Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, eines nicht zu ersparen, weil ich mir vorgenommen habe, es Ihnen in keiner rentenpolitischen Debatte zu ersparen.

Wir reden heute über einen absurden, einen schlechten Antrag der AfD. Aber wir werden in den nächsten Wochen noch häufig über Rentenpolitik reden. Was Sie in der Rentenpolitik vorhaben, ist unbezahlbar, und deshalb ist es unverantwortlich. Wenn Sie es ernst meinen und eine Rente wollen, die für Großeltern, Kinder und Enkel richtig ist,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was Sie machen, Herr Kollege, ist noch viel schlechter als das, was die Koalition machen will!)

dann lassen Sie uns erst darüber reden, wo wir mit der gesetzlichen Rentenversicherung hinwollen, warten Sie erst die Ergebnisse Ihrer eigenen Rentenkommission ab, bevor Sie in den nächsten Wochen teure Leistungsausweitungen durchs Parlament peitschen, –

Kollege Vogel, Ihr letzter Satz, bitte.

– die Zusatzausgaben für Jahrzehnte bedeuten und deshalb ein Hohn gegenüber der Generationengerechtigkeit sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war jetzt nicht sonderlich viel! – Gegenruf des Abg. Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Doch!)

Glück gehabt. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Kapschack.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7245853
Wahlperiode 19
Sitzung 39
Tagesordnungspunkt Renten von Vertriebenen und Spät-/Aussiedlern
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