Ralf KapschackSPD - Renten von Vertriebenen und Spät-/Aussiedlern
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuschauer sind nicht mehr da. Herr Präsident – natürlich!
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist schon da! Den sehe ich!)
– Er ist da; das stimmt. – Der Kollege Vogel hat sich ein Beispiel an dem alten Cato genommen und wird jetzt bei jeder Rede „ceterum censeo“ sagen.
(Stephan Thomae [FDP]: Genau! Ceterum censeo!)
Wir werden das aushalten, und wir werden Ihnen auch hoffentlich noch beibringen, dass Sie falsch liegen.
Aber heute reden wir über den Antrag der AfD. Ich nehme Sie einmal mit in das Jahr 1992. Damals war ich als journalistischer Begleiter mit dem damaligen nordrhein-westfälischen Sozialminister Hermann Heinemann in Staaten der ehemaligen Sowjetunion unterwegs. Der Grund für die damalige Reise lag auf der Hand. Es gab die Prognose, dass ungefähr 2 Millionen deutschstämmige Menschen auf gepackten Koffern sitzen und in die Bundesrepublik ausreisen wollen. Bei vielen, mit denen wir damals gesprochen haben, war das Hauptargument für die Ausreise nicht Diskriminierung oder Ähnliches. Das Hauptargument war: Unseren Kindern soll es einmal besser gehen. – Sie waren bereit, alles, was sie sich aufgebaut hatten, aufzugeben und in eine neue ungewisse Zukunft zu starten. Die Aussicht, monatelang in Übergangsheimen oder Turnhallen zu leben, hat sie nicht abgeschreckt. Viele sind dann tatsächlich gekommen; einige sind auch wieder zurückgekehrt. Über die Rente haben sich damals wahrscheinlich die wenigsten Gedanken gemacht. Sicher gibt es eine Reihe von ihnen, die jetzt eine geringe Rente bekommen; das ist keine Frage. Dabei allerdings von Diskriminierung zu reden, ist schlichtweg falsch.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Johannes Vogel [Olpe] [FDP])
Ganz im Gegenteil – es ist schon gesagt worden –: Die Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler wird vielmehr im Vergleich zu gebürtigen Deutschen und zu allen anderen zugewanderten Personen rentenrechtlich besser behandelt; denn grundsätzlich werden Renten bei uns nur gezahlt, wenn auch Beiträge in die Rentenversicherung entrichtet worden sind. Als einziger Gruppe wird Vertriebenen und Aussiedlern eine gesetzliche Rente ermöglicht, obwohl dieser Rente keine eigenen Beiträge gegenüberstehen. Das ist das Gegenteil von Diskriminierung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Seit 1959 erhalten Vertriebene und Spätaussiedler über das Fremdrentengesetz eine gesetzliche Rente. Damit sollten im Herkunftsland verlorengegangene Rentenansprüche ausgeglichen werden. Diese Sonderstellung war aufgrund der historischen Verantwortung Deutschlands für die Folgen des Zweiten Weltkriegs und der Verbindung zu im Ausland lebenden deutschen Volksgruppen politisch gewollt, und das stellt hier auch niemand ernsthaft infrage.
Vertriebene und Aussiedler – auch das ist schon geschildert worden – wurden rentenrechtlich so gestellt, als hätten sie ihr gesamtes Erwerbsleben in der Bundesrepublik verbracht. Ihre Versicherungszeiten im Ausland wurden dabei mit einem Verdienst bei einer vergleichbaren Beschäftigung in der Bundesrepublik berücksichtigt. Der tatsächliche Verdienst spielte keine Rolle. Die so berechneten Renten befanden sich lange auf einem hohen Niveau.
Peter Weiß hat es schon angesprochen: Mit der Überwindung der deutschen und der europäischen Teilung hat sich die Ausgangssituation grundlegend verändert. Mit der deutschen Wiedervereinigung stand die Rentenversicherung zudem vor neuen Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund hat die Regierung Kohl damals Abschläge auf Renten nach dem Fremdrentengesetz beschlossen. Damit sollte unter anderem die Besserstellung gegenüber Beziehern von kleinen Renten vor allem in strukturschwachen Regionen verhindert werden.
Um das noch einmal deutlich zu machen: Der Versuch, Gerechtigkeit herzustellen zwischen Beitragszahlern und Rentnern nach dem Fremdrentengesetz, ist heute genauso wichtig wie damals;
(Beifall bei der SPD)
denn die Leistungen für die Spätaussiedler beruhen nicht auf geleisteten Beiträgen, sondern auf der Solidarität der Versichertengemeinschaft. Jede Erweiterung dieser Leistung muss deshalb gegenüber den Beitragszahlern gerechtfertigt werden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])
Wenn im Antrag mit durchschnittlichen Zahlbeträgen argumentiert wird, ist das nur die halbe Wahrheit. Die Altersrente für weibliche Spätaussiedler ist deutlich höher als die Altersrente für Frauen in den alten Bundesländern.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dafür können aber die Spätaussiedler nichts!)
Aber keine Frage: Es gibt viele Frauen und Männer, die von niedrigen Renten leben müssen. Das trifft allerdings nicht nur Spätaussiedler. Deshalb sehen wir es als zentrale Aufgabe an, alle Versicherten gegen Altersarmut abzusichern und angemessene Renten zu zahlen.
(Beifall bei der SPD)
Da ist in den vergangenen Jahren ja auch schon einiges umgesetzt worden: Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren, die bessere Anerkennung von Erziehungszeiten in der Mütterrente. Das reicht uns noch nicht, aber wir haben ja auch noch einiges vor:
(Beifall bei der SPD)
die weitere Verbesserung der Erwerbsminderungsrente, weitere Verbesserung bei der Mütterrente, die verpflichtende Altersabsicherung von Selbstständigen, vor allem aber die Einführung einer Grundrente.
(Beifall der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD] – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Grundrente!)
– Darüber reden wir dann, wenn es so weit ist, Kollege Strengmann-Kuhn. – Sie soll denen, die lange gearbeitet haben, einen Rentenanspruch deutlich oberhalb der Grundsicherung ermöglichen. Das ist ein ganz konkreter und wichtiger Schritt zur Vermeidung von Altersarmut. Und wir stabilisieren Beiträge und das Rentenniveau. Das löst nicht alle Probleme – stimmt –, aber die Stabilisierung des Rentenniveaus ist wichtig, um Renten und Löhne nicht weiter auseinanderdriften zu lassen, und das ist ein wichtiger Schritt – das kann man nicht oft genug sagen, finde ich –, um die Legitimation der gesetzlichen Rente und des Sozialstaats insgesamt zu erhalten.
(Beifall bei der SPD)
Das ist das Gegenteil von dem, was Sie wollen. Sie operieren mit Katastrophenszenarien, um Menschen zu verunsichern und um daraus politisch Kapital zu schlagen. Die vermeintliche demografische Katastrophe, von der Sie in Ihrem Antrag sprechen, passt Ihnen da gut ins Konzept.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die findet auch gar nicht statt!)
– Die findet auch gar nicht statt. – Ganz abgesehen davon, dass die demografische Entwicklung nicht das Ende der Zeit bedeutet: Sie erfordert politische Konzepte und Antworten. So etwas sucht man bei Ihnen allerdings nach wie vor vergebens.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Bis auf die unsäglichen Vorschläge Ihres Parteifreundes Höcke gibt es da nur: Fehlanzeige.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Jetzt kommen Sie mit einer Argumentation, die einer ziemlich schrägen Logik folgt; das ist hier auch schon angesprochen worden. Sie schreiben, die jungen Aussiedler seien erwerbstätig und würden die Rente für ihre Eltern erwirtschaften. Deshalb stehe den Spätaussiedlern auch die volle Rente zu, nicht nur ein Teil davon. Nach dieser Logik müsste ja die Rente der Eltern jeweils nach der Erwerbstätigkeit ihrer Kinder erhöht oder auch gekürzt werden. Das kann ja nicht Ihr Ernst sein.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben die Idee der umlagefinanzierten Rente nicht verstanden, oder Sie wollen sie bewusst missverstehen. Da zahlen eben nicht Volksgruppen oder Nationalitäten ein, sondern Beitragszahler,
(Karsten Hilse [AfD]: Das haben wir schon gehört!)
in einen Topf, für alle nach gleichen Regeln.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb sind wir dafür, die gesetzliche Rente insgesamt zu stärken. Das hilft grundsätzlich auch den Spätaussiedlern. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herzlichen Dank, Herr Kollege Kapschack. – Als Nächstes für die Fraktion Die Linke der Kollege Matthias Birkwald.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7245854 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 39 |
Tagesordnungspunkt | Renten von Vertriebenen und Spät-/Aussiedlern |