Helge LindhSPD - Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verantwortung kommt im Wesentlichen davon, Antwort zu geben. Ich stelle mir angesichts eines der Entschließungsanträge die Frage, ob Herr Lindner – ich sehe ihn hier gerade – einigen seiner Kollegen, die ich aus dem Innenausschuss kenne und die dort immer sehr moderate Fragen stellen, die angemessene Antwort gegeben hat.
Ich frage mich auch – Sie betreffend, aber auch uns alle betreffend, auch mich ganz persönlich betreffend –, welche Antwort wir einer syrischen Mutter, Frau H., geben. Diese Frau H. erwähnte ich in meiner ersten Plenarrede vor einigen Monaten. Sie hat kein Interesse daran, dass auf ihrem Rücken wahltaktische Manöver ausgetragen werden. Sie hat einfach nur das Interesse, eine realistische Perspektive, eine Hoffnung darauf zu haben, in gewisser Zeit ihr Kind wiederzusehen. Ich habe damals in meiner Rede vor einigen Monaten den Fehler gemacht, ihren Vornamen zu nennen. Das Ergebnis war, dass rechte Parteien – –
Kollege Lindh, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung?
Selbstverständlich, gerne.
Lieber Kollege Lindh, angesichts unserer gemeinsamen Beratungen im Innenausschuss über die Frage des Familiennachzugs muss ich doch sagen: Die Scham darüber, dass es der CSU gelungen ist, die Obergrenze gegen den Willen der SPD in dieses Gesetz hineinzuschreiben,
(Burkhard Lischka [SPD]: Totaler Stuss!)
steht Ihnen und Ihrer Fraktion ins Gesicht geschrieben.
Ich frage mich: Wie können Sie das eigentlich mit dem vereinbaren, was Sie uns im Innenausschuss über den Familiennachzug erzählt haben? Was hat das mit unserem Entschließungsantrag zu tun, mit dem wir endlich zu einer regelbasierte Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik zurückkehren?
(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP ist doch auch für eine Obergrenze!)
Das hat nichts miteinander zu tun. Wir erleben hier, dass Sie sich von der CSU haben über den Tisch ziehen lassen und die Obergrenze als Wahlkampfmanöver von Ihnen mitgetragen wird. Dafür sollten Sie sich wirklich schämen.
(Beifall bei der FDP – Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten sich für Ihren Antrag schämen!)
Sehr geehrter Herr Kuhle, erst mal danke ich Ihnen für die Verlängerung meiner Redezeit; bei drei Minuten ist das angenehm. – Ich glaube eher, die Scham wäre in Ihren Reihen angebracht. Ich bin jemand, der Burkhard Hirsch und Gerhart Baum sehr schätzt. Die Art und Weise, wie sich Herr Lindner regelmäßig in Fragen der Flüchtlingspolitik äußert, ist, glaube ich, nicht die Form des Liberalismus, die diesem zur Ehre gereicht.
(Beifall bei der SPD – Konstantin Kuhle [FDP]: Das ist doch das Gleiche, was Frau Nahles gerade im Interview gesagt hat!)
Insofern sind nicht wir es, die sich schämen müssen, sondern Sie müssen Ihren Liberalismus hinterfragen.
Aber ich will in meiner Rede fortfahren. Ich erwähnte, dass man infolge dieser Rede erleben musste, wie in meiner Stadt rechte Parteien der betreffenden Person nachstellten, Anträge im städtischen Parlament stellten, ihre ganze Situation infrage stellten. Dabei hat Frau H. überhaupt kein Interesse an irgendwelchen Plänen oder großen Fragen der Integrationspolitik, sondern einfach nur den Wunsch, ihr Kind wiederzusehen.
Heute machen wir uns auf den Weg; denn sie hat nach vielen Jahren diese Perspektive.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Sie hatte sie nicht im Jahre 2015. Sie hatte sie ein paar Monate – von 2015 bis 2016 – mit dem privilegierten Nachzug, dann zweieinhalb Jahre lang nicht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Abgeordneten von Storch?
Ach, heute bin ich in Genehmigungslaune. Ich weiß ja, dass Ihre Zwischenfragen Teil einer Inszenierung sind. Ich störe diese Inszenierung gerne und akzeptiere mit Freude die weitere Verlängerung meiner Redezeit.
Einen ganz kleinen Moment aber bitte noch. – Ich bitte vorher alle anwesenden Abgeordneten, Platz zu nehmen und notwendige Gespräche außerhalb des Plenums zu führen, sodass der Geräuschpegel wieder zurückgefahren wird und es möglich ist, die Frage oder Bemerkung ebenso wie die Antwort zu hören. Das gilt auch für die diskussionsfreudigen Kolleginnen und Kollegen der CSU dort hinten.
Sie haben jetzt das Wort zur Frage oder Bemerkung.
Herr Kollege, die „Bild“-Zeitung meldet gerade, dass Herr Seehofer die Fraktionsgemeinschaft aufgekündigt hat. Hat das irgendwelche Einflüsse auf das, was Sie gerade gesagt haben?
(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Faktencheck! Blödsinn! – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Das ist eine „Titanic“-Meldung, Frau Storch! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
Frau von Storch, wir beschäftigen uns jetzt nicht mit der „Bild“-Zeitung und dieser Meldung, sondern wir beschäftigen uns hier mit der Frage des Familiennachzugs.
(Beifall bei der SPD)
Eine Reihe von Abgeordneten, auch solche, die damals mit großer Skepsis der Aussetzung zugestimmt oder sie abgelehnt oder sich enthalten haben, kamen in den letzten Tagen zu mir und sagten, dass sie ganz bewusst heute diesem Gesetzentwurf zustimmen. Warum tun sie das? Weil sie das stärkste Argument haben: Jetzt ist in dieser kontingentierten, gesteuerten Form Familiennachzug nach Jahren wieder möglich.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir leben in einer Zeit – wir erleben das dieser Tage, seit Monaten, seit Jahren –, in der viel zu viel darüber geredet wird, was nicht funktioniert, was nicht geht, in der ein Kult der Negativität gefeiert wird. Unsere Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aber nicht zu ent möglichen, sondern zu er möglichen. Genau das tun wir heute.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich erlebe in den letzten Jahren, mit welcher Verhärtung und Verbitterung die Migrationsdebatte geführt wird. Ich erlebe, insbesondere von Ihrer Fraktion, Frau von Storch, wie jede Gelegenheit genutzt wird, monoton eine Hetzsuada über alle Flüchtlinge auszukippen. Wenn es Flüchtlinge nicht gäbe, müssten Sie sie im Grunde erfinden, als Mittel, um Hass, Angst und Spaltung in dieser Gesellschaft zu säen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Unser aller Aufgabe ist – das muss man, glaube ich, heutzutage betonen –, hier konstruktiv in Verlässlichkeit und Solidität zu arbeiten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Und unsere Aufgabe ist auch, unter gegebenen Bedingungen, in einer gegebenen Gesellschaft, mit den gegebenen Verunsicherungen, die wir alle kennen, Hoffnungsüberschuss zu produzieren. Genau das versuchen wir heute. Insofern appelliere ich an Sie alle, diesem Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD zuzustimmen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Andrea Lindholz [CDU/CSU] – Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum stimmen Sie nicht unserem zu?)
Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7245964 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 40 |
Tagesordnungspunkt | Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten |