15.06.2018 | Deutscher Bundestag / 19. EP / Session 40 / Tagesordnungspunkt 19

Uwe WittAfD - Perspektiven für Langzeiterwerbslose

Loading Interface ...
Login or Create Account






Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste des Hohen Hauses! Bevor wir uns über die Situation der Langzeitarbeitslosen und den vorliegenden Antrag der Linken unterhalten, lassen Sie mich kurz einen Blick über den Tellerrand werfen.

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Oh! Das ist ja was ganz Neues!)

Wie sieht es in Europa aus? Eurostat vergleicht die Langzeitarbeitslosenquoten der EU-Länder quartalsweise. Da wird, wie Sie wissen, etwas anders gerechnet. Deutschland hatte danach 2017 eine Langzeitarbeitslosenquote von etwa 40 Prozent. Damit lagen wir im Mittelfeld zwischen Schweden mit 20 Prozent und Griechenland mit fast 70 Prozent. Die Langzeitarbeitslosenquote ist, wie Herr Whittaker richtig sagte, leicht gesunken. Im europäischen Vergleich gibt es für Deutschland tatsächlich einen positiven Trend.

Aber – jetzt kommt das Aber – diese Zahlen drücken nicht aus, wie es um das Wohl der Langzeitarbeitslosen bestellt ist, übrigens auch nicht, wie es um das Wohl derjenigen bestellt ist, die einen Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit in den Niedriglohnsektor gefunden haben. In Deutschland verändert sich mit der Dauer der Arbeitslosigkeit zugleich Art, Ausmaß und Qualität der sozialen Absicherung.

Transferleistungen – Grundsicherung für Arbeitsuchende nach SGB II, also Hartz IV – beziehen mittlerweile etwa zwei Drittel aller in der offiziellen Statistik erfassten Arbeitslosen. Regional, etwa im Ruhrgebiet, sind es etwas über 80 Prozent. Die inflationäre Einschränkung des durch die Arbeitslosenversicherung gewährten Schutzes war in Verbindung mit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende ein Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik. Noch mal danke, SPD, für dieses große Stück sozialer Gerechtigkeit. Man kann also kaum sagen, dass sich die Lage für die Arbeitslosen verbessert hat.

Ein Staat, der sozial verantwortlich handelt, hat die Aufgabe, Menschen vor Risiken zu schützen. Die Hartz-Reformen in Deutschland haben aber einen gegenteiligen Effekt gehabt. Es wurde der Arbeitsmarkt dereguliert, Sanktionen für arbeitslose Menschen wurden weiter verschärft, und gesetzliche Regelungen für 1-Euro-Jobs, befristete Jobs und andere atypische Beschäftigungsverhältnisse wurden geschaffen.

Heute sind bei uns so viele Menschen wie noch nie zuvor beschäftigt, und auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen konnte verringert werden. Das hört sich zuerst gut an – ich sehe einige von Ihnen freudig nicken –; doch an der Abhängigkeit von Transferleistungen der früheren Langzeitarbeitslosen hat sich nichts verändert, da mit Hartz IV der Niedriglohnsektor ausgebaut und eine neue Gruppe von arbeitenden Armen geschaffen worden ist.

Hartz IV hat in Deutschland insgesamt zu mehr Armut, sozialer Ausgrenzung und zu einem Endloshamsterrad ohne Perspektiven geführt.

(Beifall bei der AfD)

Aus armen Arbeitslosen wurden arme Erwerbstätige gemacht.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber darauf haben Sie keine Antwort!)

– Lieber Kollege, Sie haben das Recht, sich zu Wort zu melden. Sie können natürlich auch weiterhin den Unterricht stören.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nur ein Zwischenruf! – Zuruf von der LINKEN: Das machen Sie ja nie!)

– Ich mache das wirklich nicht.

Zwischen 2005 und 2015 hat sich der Anteil der Working Poor in Deutschland von 4,8 auf 9,6 Prozent verdoppelt. Der Preis für das deutsche Jobwunder und die nach außen hin glänzende Arbeitsmarktstatistik ist eine prekäre Vollerwerbsgesellschaft.

(Beifall bei der AfD)

Die betroffenen Menschen springen von der Erwerbslosigkeit in den 1-Euro-Job, von dort in die Aushilfstätigkeit und dann in eine Qualifizierungsmaßnahme und so fort, um am Ende doch wieder im Leistungsbezug zu enden. Nur sehr wenigen Menschen gelingt trotz aller Anstrengungen ein dauerhafter Aufstieg in bessere Beschäftigungsverhältnisse. Für alle anderen ist Hartz IV eine Armutsfalle.

69,1 Prozent der Arbeitslosen sind in Deutschland armutsgefährdet. Das sind 30 Prozent mehr als rund um die Einführung von Hartz IV im Jahr 2005. Nach diesem im europäischen Vergleich beispiellosen Anstieg weist Deutschland damit mit Abstand den schlechtesten Wert innerhalb der Europäischen Union auf.

Was Sie hier mit Hartz IV geschaffen haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, zeigt einmal mehr, wo Ihre soziale Kompetenz liegt. Sie können eine nach außen hin glänzende Arbeitsmarktstatistik vorweisen, was Sie ja auch immer wieder gerne tun. Aber für die Betroffenen haben Sie nichts verbessert, sondern das genaue Gegenteil bewirkt.

Wir müssen also etwas tun, um die Situation der Langzeitarbeitslosen zu verbessern. Das ist keine Frage.

Nun wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, zwei Dinge auf den Weg bringen, um etwas gegen die Langzeitarbeitslosigkeit zu tun, nämlich bundesweit 300 000 öffentlich geförderte Arbeitsplätze schaffen, und das flankiert durch vorgeschaltete qualifizierende Maßnahmen und begleitende Leistungen, wofür Sie den Kommunen 120 Milliarden Euro zur Verfügung stellen wollen.

Die Jobs wollen Sie auf drei bis fünf Jahre begrenzen. Und dann? So ganz nebenbei wollen Sie auch noch den gesetzlichen Mindestlohn für alle Beschäftigten mal wieder auf 12 Euro pro Stunde erhöhen.

(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Gegen Armut!)

Der Mindestlohn ist zum einen kein Thema, das in so einen Antrag gehört. Und zum anderen: Wie oft möchten Sie diesen Antrag auf 12 Euro Mindestlohn noch stellen?

(Beifall bei der AfD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das kann ich Ihnen sagen! So lange, bis er da ist! Ich habe 1995 damit angefangen und 20 Jahre gebraucht, bis er eingeführt wurde!)

– Das dachte ich mir.

Die Innovationen, die Sie hier vorstellen, die Intention Ihres Antrages also, haben die Österreicher versucht umzusetzen. Sie versuchten, ab Juli 2017  20 000 über 50-jährige Langzeitarbeitslose mindestens für zwei Jahre in Gemeinden, bei gemeinnützigen Organisationen und sozialen Unternehmen arbeiten zu lassen. Der größte Teil der Kosten sollte durch eingesparte Arbeitslosengelder finanziert werden. Das war ein Prestigeprojekt der SPÖ, sozusagen der österreichischen SPD. Allerdings wurde das Projekt im Januar 2018 wieder eingestellt von der neuen Sozialministerin der FPÖ, sozusagen der österreichischen AfD. Warum? Weil es in der ganzen Zeit nur möglich war, 1 326 Langzeitarbeitslosen einen Job zu verschaffen. Das ist dann das Ergebnis sozialdemokratischer Politik.

Aber, liebe Kollegen der Linken, das Beste Ihres Antrages habe ich mir bis zum Schluss aufgespart: die Finanzierung der Umsetzung Ihrer Antragsforderungen. Sie wollen durch Steuererhöhungen 180 Milliarden Euro mehr Steuern einnehmen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, von denen, die sehr viel haben!)

Sie wollen tatsächlich die Steuern noch mehr erhöhen und die Bevölkerung noch mehr wie einen Schwamm ausquetschen. Falls es Ihnen nicht bekannt sein sollte: Deutschland hat weltweit die zweithöchste Steuer- und Abgabenlast:

(Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Vermögensteuer!)

Es sind 49,7 Prozent bei einem alleinstehenden Durchschnittsverdiener.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt ja nicht!)

Möchten Sie gerne, dass Deutschland negativer Spitzenreiter wird?

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie eigentlich bei diesem Thema?)

Ich muss Ihnen wirklich sagen, dass uns die Zustimmung zur Überweisung Ihres Antrages an den Ausschuss äußerst schwerfällt; aber wir machen es trotzdem.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Konzept!)

Vielen Dank, Uwe Witt. – Nächster Redner: Dr. Martin Rosemann für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Data
Source Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Cite as Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Retrieved from http://dbtg.tv/cvid/7245975
Electoral Period 19
Session 40
Agenda Item Perspektiven für Langzeiterwerbslose
00:00
00:00
00:00
00:00
None
Automatically detected entities beta