15.06.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 40 / Zusatzpunkt 9

Andreas Geisel - Aktuelle Stunde zum sog. Masterplan - Flüchtlings- und Integrationspolitik

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für mich ist klar: Menschen, die zu uns kommen und des Schutzes und der Hilfe bedürfen, werden diesen Schutz und diese Hilfe bei uns auch finden. Klar ist aber auch: Diejenigen, bei denen rechtskräftig festgestellt wurde, dass sie dieses Schutzes und dieser Hilfe nicht bedürfen, müssen unser Land wieder verlassen. Dazu bekennen sich die Innenminister der SPD-geführten Länder ganz ausdrücklich. Wir müssen den Rechtsstaat handlungsfähig machen und stehen in der Verantwortung, das zu zeigen.

Vor diesem Hintergrund sind die SPD-Innenminister in der vergangenen Woche zur Innenministerkonferenz nach Quedlinburg gefahren. Wir wollten dort vom Bundesinnenminister hören, wie er mit einheitlichen Standards Rückführungen aus Deutschland verbessern möchte, wie er sich die konkrete Ausgestaltung der im Koalitionsvertrag vereinbarten AnKER-Zentren vorstellt. Wir sind mit einer gewissen Irritation aus Quedlinburg zurückgekommen, weil wir nur wenig Konkretes hören konnten. So ähnlich geht es mir übrigens auch bei der heutigen Bundestagsdebatte.

(Burkhard Lischka [SPD]: Ja!)

Wir debattieren hier über einen Plan mit 63 Punkten, von dem uns 62 Punkte offiziell noch unbekannt sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Da hat er recht! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind Sie nicht alleine!)

Die Schaffung von AnKER-Zentren, die bis zu 1 500 Asylbewerber in einem Standort beherbergen sollen, löst die Probleme, die wir zumindest sehen, nicht.

Ich will die Lage im Land Berlin schildern. Derzeit haben wir etwa 12 000 Menschen in der Stadt, die vollziehbar ausreisepflichtig sind. Davon haben 6 000 Menschen eine längerfristige Duldung, beispielsweise eine Ausbildungsduldung oder eine Duldung aus humanitären Gründen, wegen Krankheit und Ähnlichem. Weitere 4 000 Duldungen gibt es aufgrund anhängiger Verfahren beim Verwaltungsgericht oder beim Oberverwaltungsgericht. Es sind abgelehnte Asylbewerber, die gegen die Bescheide geklagt haben.

(Zuruf von der AfD: Deshalb einfach nicht reinlassen!)

Was sind also die wirklichen Probleme bei der Rückführung, die wir sehen?

(Thomas Ehrhorn [AfD]: Das ist alles ein Skandal!)

Erstens ist es die Beschaffung von Passersatzpapieren.

Zweitens ist es die mangelnde Bereitschaft der Heimatländer, ihre Staatsbürger wieder aufzunehmen. Dafür brauchen wir Rückführungsabkommen.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Drittens ist es die mangelnde Qualität der BAMF-Bescheide. Diese mangelnde Qualität der BAMF-Bescheide ist für die Vielzahl der Klagen verantwortlich und ebenso für die Dauer dieser Klageverfahren.

Viertens: die derzeit noch unzureichenden Rückführungskapazitäten.

Die Antworten des Bundesinnenministers gehen zumindest diese Probleme nicht wirklich an. Man kann auch sagen: Der Bundesinnenminister bietet uns Lösungen an für Probleme, die wir eigentlich gar nicht haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist unfassbar!)

Auf der anderen Seite gibt es für unsere ungelösten Fragen, für die Probleme, die wir wirklich haben, noch keine überzeugenden Antworten.

Meine Damen und Herren, wir müssen die Asylverfahren grundsätzlich beschleunigen; das ist richtig. Ob dies aber dadurch erreicht wird, dass man bis zu 1 500 Menschen an einem Ort unterbringt, darf man bezweifeln. Die Erfahrungen, die wir in Berlin mit Tausenden Flüchtlingen auf engstem Raum am Flughafengebäude Tempelhof gemacht haben, sind hierfür nicht vorbildhaft.

Alle mit Asylfragen befassten Behörden zusammenbringen, klingt gut. Aber den Beweis, dass das tatsächlich zu mehr Effizienz führt, müssen wir erst antreten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, dann machen Sie es doch! – Jürgen Braun [AfD]: Sie haben vier Jahre Zeit gehabt! Die SPD ist ja ewig am Regieren in Berlin!)

In einem Stadtstaat wie Berlin sind die Wege zwischen den beteiligten Stellen ohnehin kurz. Die zuständigen Behörden arbeiten hier eng zusammen. Deshalb erschließt es sich mir nicht, dass die vorgesehene Einbindung der Verwaltungsgerichte in Berlin zu einer wesentlichen Verfahrensbeschleunigung beitragen kann.

Der Aktenaustausch zwischen BAMF und Verwaltungsgerichten erfolgt hier schon in elektronischer Form. Deshalb sage ich Ihnen: Eine Verbesserung der Qualität der BAMF-Bescheide würde die Dauer der gerichtlichen Verfahren sicherlich wesentlich mehr beschleunigen als ein Umzug der Asylkammern in ein neu zu schaffendes AnKER-Zentrum.

(Beifall bei der SPD)

Also, der Bundesinnenminister muss jetzt endlich seine Vorstellung zur konkreten Ausgestaltung der ­AnKER-Zentren erläutern. Er will das in bilateralen Gesprächen mit den Ländern machen, so hat er es auf der Innenministerkonferenz angekündigt. Ich sage ganz ausdrücklich: Wir stehen dem offen gegenüber.

(Jürgen Braun [AfD]: Dann passiert ja viel in Deutschland! Das hört sich verdammt nach Handel an!)

Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass wir vor allem diejenigen abschieben müssen, die unsere Sicherheit bedrohen.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Mein Gott, nochmal! – Weiterer Zuruf von der AfD: Dann macht es doch! Sie sind doch verantwortlich!)

Das sind im Moment nicht die Schutzsuchenden aus allen Krisenregionen dieser Welt, sondern es sind vor allem islamistische Gefährder. Der Fall Amri hat gezeigt, wie mobil und länderübergreifend islamistische Gefährder agieren. Ich sehe hier dringenden Handlungsbedarf. Das geltende Aufenthaltsgesetz muss viel konsequenter angewendet werden. § 58a des Aufenthaltsgesetzes ermöglicht die Herbeiführung bzw. Durchsetzung einer Ausreisepflicht von Gefährdern auf vereinfachtem und beschleunigtem Weg. Nach der aktuellen Regelung erfolgt eine solche Anordnung grundsätzlich durch die oberste Landesbehörde. Aber auch das Bundesministerium des Innern kann eine Abschiebeverordnung erlassen, wenn ein besonderes Interesse des Bundes besteht.

Bislang sind Anordnungen nach § 58a Aufenthaltsgesetz durch mehrere Bundesländer erlassen worden, nicht jedoch durch den Bund. Die Fälle der Länder Niedersachsen und Bremen im vergangenen Jahr haben gezeigt, wie viele langwierige Gerichtsverfahren die entsprechende Anordnung nach sich zieht und wie abhängig die Landesbehörden hier von der Zuarbeit des Bundes sind. Ich bin der Meinung: Wenn die maßgeblichen Erkenntnisse beim Bund liegen, die Fälle vom Generalbundesanwalt bearbeitet werden, also Personen bundeslandübergreifend agieren, sollte zukünftig der Bund verstärkt tätig werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Alle bisherigen Verfahren haben gezeigt, dass die Arbeit des Bundes für die Durchsetzung der Abschiebungen entscheidend ist. Das Land Berlin plant deshalb eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel, den § 58 Aufenthaltsgesetz zu ändern, um die Zuständigkeiten des Bundes bei der Abschiebung von Gefährdern zu konkretisieren und auszubauen. Mit diesen gesetzlichen Änderungen können die Länder und der Bund noch effektiver zusammenarbeiten und Personen, die unsere Sicherheit gefährden, konsequenter abschieben.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich will abschließend sagen: Bei aller Wichtigkeit der heutigen Diskussion, entscheidend für den Erfolg in der Asyl- und Flüchtlingspolitik sind nicht Abschiebungen oder Zurückweisungen an den Grenzen. Entscheidend – auch unter Sicherheitsaspekten – ist gelingende Integration im Inneren unseres Landes.

(Beifall bei der SPD – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ja, das hören wir die ganzen Jahre! Das ist wieder typisch! – Jürgen Braun [AfD]: Phrasen ohne Ende! Eine Phrase nach der anderen!)

Entscheidend ist europäische Zusammenarbeit, nicht Abschottung. Europa ist nicht das Problem, Europa ist die Lösung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Damen und Herren, es kann nur eine gemeinsame europäische Lösung geben. Eine Abschottung Deutschlands löst nicht die Probleme, es ist nur eine einfache Schlussfolgerung, die bei der Aufzählung der genannten Probleme ganz klar zeigt: Es löst nicht die Probleme, und es widerspricht außerdem dem europäischen Gedanken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen gemeinsam schauen, wie wir die europäischen Außengrenzen sichern und Ländern wie Griechenland und Italien dabei unsere Unterstützung zusichern.

Ich danke Ihnen recht herzlich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Die machen es schon, die Italiener! Die können es! – Jürgen Braun [AfD]: Was die SPD in Berlin macht, zeugt von solcher Unfähigkeit! Unglaublich!)

Herzlichen Dank, Herr Senator. – Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7246031
Wahlperiode 19
Sitzung 40
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zum sog. Masterplan - Flüchtlings- und Integrationspolitik
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta