28.06.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 42 / Tagesordnungspunkt 3

Christian LindnerFDP - Regierungserklärung: Europäischer Rat und NATO-Gipfel

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Blick in die Welt ist in diesen Tagen verstörend: die Entwicklung in der Türkei, die Handelsauseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten, der Handelskrieg zwischen den USA und China und Weiteres mehr. In dieser Lage wäre eine stabile deutsche Regierung ein Wert an sich.

(Beifall bei der FDP)

Selten aber habe ich gehört, dass die Partei- und Fraktionsvorsitzende einer Koalitionspartei, wie es die SPD ist, hier vor der deutschen Öffentlichkeit darlegt, dass in wesentlichen Fragen der Regierungspolitik der Koalitionspartner nicht eingebunden ist. Sie haben hier gesagt, dass Sie beispielsweise den Masterplan nicht kennen, Frau Nahles. Ich kann Ihnen aus der Geschichte der FDP sagen: Auch wir hatten Phasen, wo wir in zentrale Vorhaben des Regierungshandelns nicht voll eingebunden waren. Wie das endet, kann ich bezeugen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, Migration ist ein exklusives Thema, ein Thema, das Gesellschaften sprengen kann, ein Thema, das Regierungen sprengen kann, und ein Thema – das lernen wir dieser Tage –, das auch Parteien sprengen kann. Frau Bundeskanzlerin, mit den technischen Formulierungen, die Sie hier heute in dieser Frage gewählt haben, ist es Ihnen in den letzten Jahren nicht gelungen, unsere Gesellschaft zu beruhigen, und ganz offensichtlich ist es Ihnen in den letzten Wochen auch nicht gelungen, Ihre eigene Parteienfamilie zu beruhigen.

(Beifall bei der FDP)

Sie haben gesprochen über den Bin-Laden-Leibwächter. Der Fall ist doch seit Jahren bekannt. Warum haben Sie nicht persönlich die diplomatischen Zusicherungen eingeholt, dass dieser Mann abgeschoben werden kann?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Sie haben nicht gesprochen über diejenigen, die bereits hier sind, und ihre Integration.

Was Sie getan haben: Sie haben noch einmal den nicht bekannten Masterplan erwähnt. Deutschland wartet auf diesen Masterplan – auf 62 Maßnahmen warten wir –, weil eine einzige bekannte Maßnahme umstritten ist. Und dann stellen Sie sich hier vor das Parlament und fordern die Länder auf, bei den AnKER-Zentren endlich zu kooperieren. Ich darf Ihnen aus unseren Regierungsbeteiligungen in den Ländern versichern: Die wären bereit zur Kooperation, wenn sie denn wüssten, was der Innenminister will.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb: Sorgen Sie doch dafür, dass die Regierung in dieser Frage eine Position vertritt und Länder

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die haben das doch mitverhandelt! Die wissen doch, was drinsteht! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das wird doch alles auf der Innenministerkonferenz vorgestellt!)

wie beispielsweise Niedersachsen mit Herrn ­Pistorius oder Nordrhein-Westfalen mit unserem Parteifreund Stamp einbindet. Berufen Sie einen nationalen Migrationsgipfel ein, um über diese Managementfragen zu sprechen.

(Beifall bei der FDP)

Wir wollen, dass das Thema Migration, das uns noch lange beschäftigen wird, nicht alleine die politische Tagesordnung bestimmt. Digitalisierung, Bildung, die Sicherung unseres Wohlstands und anderes mehr, das sind wichtige Fragen, die nicht auf Dauer von dringlichen Fragen verdrängt werden dürfen. Deshalb wünschen wir uns Handlungsfähigkeit der Regierung in diesem Feld.

(Beifall bei der FDP)

Die Migration ist – Frau Bundeskanzlerin, Sie haben das gesagt; Frau Kollegin Nahles auch – eine europäische Herausforderung. Die Antwort auf das zu lösende Migrationsproblem beginnt mit dem Wort „Europa“; da stimmen wir vollkommen überein. Wir wollen einen Kontinent ohne Binnengrenzen. Wir wollen einen Kontinent ohne Schlagbäume.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Detlef Müller [Chemnitz] [SPD])

Damit aber Europa ein Raum der Freiheit ohne Grenzen bleibt, brauchen wir endlich Kontrolle an der Außengrenze und eine Ordnung im Inneren.

(Beifall bei der FDP)

Dafür machen wir uns stark.

Das alles ist nicht einfach. In den vergangenen Jahren – nicht nur in den vergangenen zweieinhalb Jahren seit dem Flüchtlingssommer 2015; das Problem besteht ja länger – hat es keine Durchbrüche gegeben. Das ist auch nicht leicht. Die Mittelmeeranrainerstaaten wollen nicht alleingelassen werden, und es gibt auch Mitglieder der Europäischen Union, die die Vorteile der Freizügigkeit nutzen wollen, aber selbst keine Beiträge leisten wollen, wenn es darum geht, die Flüchtlingsfrage zu lösen.

Deutschland hat die mangelnde Funktionsfähigkeit von Dublin III kompensiert. Dublin III funktioniert nicht, und Deutschland hat deshalb seit 2015 die Hauptlast getragen. Das hat unser Land, Frau Bundeskanzlerin, an alle seine Grenzen geführt. Das muss enden. Deshalb kann diese Politik jetzt nicht fortgesetzt werden; deshalb muss es jetzt eine europäische Lösung geben.

(Beifall bei der FDP)

Nötig, wünschenswert und sinnvoll ist eine europäische Lösung; aber nötigenfalls muss übergangsweise altes Recht wieder angewendet werden, um zu signalisieren, dass Deutschland die Sonderrolle der vergangenen Jahre nicht auf Dauer fortsetzen kann.

(Beifall bei der FDP – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn nun?)

Das ist das, was wir uns wünschen. Frau Merkel, Sie haben geschlossenes Auftreten der EU gefordert. Wichtig wäre, dass zunächst einmal Deutschland in der EU geschlossen auftritt. Denn richtig wäre die Position, eine europäische Lösung anzubieten und anzukündigen, notfalls altes Recht wieder anzuwenden, solange und soweit es sie nicht gibt.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was meinen Sie mit „altes Recht“?)

Aber statt dieser Verhandlungsposition erleben wir Drohungen, Ultimaten, Endzeitstimmung. Es wird davon gesprochen, es gebe ein Ende des geordneten Multilateralismus, und man weiß nicht, ob das bei Herrn Söder eine Beschreibung oder eine Forderung ist. Damit, mit dieser Uneinigkeit der Regierung, wird Deutschlands Verhandlungsposition in Europa geschwächt. Oder, um es anders zu sagen: Die CSU hat Frau Merkel und Deutschland in Europa erpressbar gemacht.

(Beifall bei der FDP)

Meine Prognose ist: Es wird jetzt keine Durchbrüche geben – die wird es nicht geben –, auch wegen der innenpolitischen Situation in Deutschland. Und dennoch wird die CSU beidrehen. Wir werden wieder öffentliche Harmoniebekundungen erleben, Interpretationsübungen, warum die vielleicht auch unvollkommenen Gipfelergebnisse doch nicht zu Ministererlassen führen müssen. Die staunende Öffentlichkeit wird das wahrnehmen und wird sich fragen: Was ist eigentlich in den letzten Wochen für ein Theater gespielt worden? Das kennen wir: aus höchsten Staatsämtern heraus mit parteipolitischen Motiven die Stimmung anheizen, um danach beizudrehen und wieder zur Vernunft kommen zu wollen. – Das ist die Methode David Cameron, und ich warne die CSU davor, sich ihn als Vorbild zu nehmen.

(Beifall bei der FDP)

Die Migration bestimmt auch diese Debatte, die innenpolitische Diskussion, und darüber nehmen wir überhaupt gar nicht wahr, was sich im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion vollzieht.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Gute Sache!)

Griechenland bekommt de facto ein viertes Paket, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU. Das, was wir an Veränderungen bei den Schulden sehen, hat den Charakter eines vierten Pakets. Es gibt auch weiter Monitoring – Sie nennen es nicht so –, und der Internationale Währungsfonds ist raus. Das ist eine Positionsverschiebung. Wir bekommen einen Euro-Zonenhaushalt, ein Investivbudget,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

möglicherweise erstmalig sogar mit einer eigenen Steuer der Europäischen Union bzw. der Euro-Zone.

(Andrea Nahles [SPD]: Nein! Das haben Sie nicht verstanden!)

Und da wird gesagt – Frau Nahles und Frau Merkel sagen das allenthalben –: Wir machen das für mehr Konvergenz, für mehr Zusammenhalt. – Das Ergebnis ist: Zwei Drittel der Finanzminister der Euro-Zone lehnen diesen Investivhaushalt ab. Sie sprechen von einem Programm, von einer Politik, um Europa zusammenzuführen. Jetzt vor diesem Gipfel haben wir erlebt: Es ist ein Programm der Spaltung, weil es keine Einigkeit in dieser Frage gibt.

(Beifall bei der FDP)

Und zum Schluss: Der Europäische Stabilitätsmechanismus, jener zeitweilig aufgespannte Rettungsschirm, wird perpetuiert zu einem Währungsfonds.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Hervorragend!)

Da sind wir dabei, aus dem ESM einen Währungsfonds zu machen. Aber er soll nun ausgestattet werden mit Möglichkeiten, dass einzelne Staaten finanziert werden bei sogenannten asymmetrischen Schocks, auch wenn die Integrität der Währungsunion insgesamt nicht gefährdet ist.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja! – Ulli Nissen [SPD]: Krisenprävention!)

Und dann wird als Beispiel genannt: Irland nach dem Brexit.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja!)

– Da sagt Carsten Schneider: Ja. – Ich hatte den irischen Außenminister vor 14 Tagen hier im Büro zu Gast,

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Buh!)

habe ihn gefragt: Wissen Sie eigentlich, dass Sie im Deutschen Bundestag als Beispiel dafür herhalten müssen, dass man sich für asymmetrische Schocks wappnen müsste? Da sagte er: Unsere Wirtschaft ist in Balance. Wir brauchen das nicht.

Sie machen es nicht für Irland und für asymmetrische Schocks;

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)

Sie tun den Beppe Grillos und Silvio Berlusconis in Europa einen Gefallen,

(Beifall des Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP])

die die fortwährende Krise ausrufen, um wieder unfinanzierbare, unhaltbare Wahlkampfversprechen zu machen.

(Beifall bei der FDP – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Peinlich!)

Das macht Europa nicht stärker.

(Anhaltender Beifall bei der FDP)

Jetzt erteile ich das Wort dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7249170
Wahlperiode 19
Sitzung 42
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung: Europäischer Rat und NATO-Gipfel
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta