28.06.2018 | Deutscher Bundestag / 19. EP / Session 42 / Zusatzpunkt 7

Jürgen MartensFDP - Aufhebung der Ersatzfreiheitsstrafe

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, rechtspolitisch ist Geisterstunde, und in der Tat begeben wir uns jetzt mit den Linken zusammen auf eine rechtspolitische Geisterbahnfahrt.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Also in Schweden herrschen Geister, oder wie?)

Die Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB tritt an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe. Punkt! Sie ist keine eigenständige Sanktion. Sie dient auch nicht, wie Sie sagen, der „Diskriminierung“ einer einkommensschwachen Person, so heißt es in dem Gesetzentwurf. Das ist Unfug.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: So wirkt sie sich aus!)

Hier schimmert allenfalls die altkommunistische Diffamierung der Strafjustiz als Zentraleinrichtung des kapitalistischen Repressionsapparates hervor.

(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, Herr Kollege! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Jetzt sind Sie auf einer Argumentationslinie mit der AfD, das wissen Sie aber?)

Das begegnet uns dort wieder.

Genauso simpel wird das dann durchdekliniert am Beispiel einer Frau, die einmal schwarz fährt, schwanger ist und vom Kind wegen der Ersatzfreiheitsstrafe getrennt wird. Das ist dummes Zeug.

(Beifall bei der FDP und der AfD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Niema ­Movassat [DIE LINKE]: Ich schicke Ihnen das Beispiel zu!)

Zeigen Sie mir diesen Fall, bringen Sie ihn, schreiben Sie es uns! Wir fragen nach, und schauen es uns an. Wegen einmal Schwarzfahren wird keine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Es wird nicht einmal eine Geldstrafe verhängt. In der Regel wird das Verfahren eingestellt gegen Zahlung einer Geldauflage, und das auch nur im Wiederholungsfalle. So sieht die Rechtspraxis aus. Was Sie hier erzählen, sind ganz einfach Märchen, meine Damen und Herren.

(Beifall des Abg. Jürgen Braun [AfD] – Niema Movassat [DIE LINKE]: Ich schicke Ihnen den Beitrag!)

Wenn Sie erzählen, dass die Geldstrafe dann nicht entrichtet werden kann, dann fragt sich wirklich: Wie bemisst sich eine Geldstrafe? Eine Geldstrafe wird nach den wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten festgesetzt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Genau! Nicht nur 5 Euro!)

– Nein, lieber Wolfgang, da verwechselst du die Anzahl der Tagessätze, die mindestens fünf beträgt.

Zur Höhe der Geldstrafe – aufpassen! –: Nach § 40 Absatz 2 Satz 3 Strafgesetzbuch beträgt die Mindesthöhe eines Tagessatzes 1 Euro.

(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Und noch einen!)

So. Und das ist schon zu viel für Leute, die Straftaten begangen haben und die der Richter dann nach mehrfachen Wiederholungstaten verurteilt? Glauben Sie das im Ernst?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Er hat noch nie was mit Strafrecht zu tun gehabt!)

Ist es im Ernst Ihre Meinung, dass sich die Leute das nicht leisten können, dass sie deswegen Ersatzfreiheitsstrafe kriegen, dass Mütter und Kinder in Haftanstalten getrennt werden? Als ehemaliger Justizminister weiß ich: Wir haben sogar Haftplätze für Mutter und Kind eingerichtet, um diese Sachen zu verhindern, und zwar für längerfristige Freiheitsstrafen, gewiss nicht bei Ersatzfreiheitsstrafen. Dort gibt es nämlich die Härtefallregelung, dass von so etwas im Regelfall abgesehen wird.

Sie wollen die Ersatzfreiheitsstrafe abschaffen, aber die Konsequenzen deklinieren Sie nicht durch. Es gibt nämlich nicht nur Leute, die nicht zahlen können, sondern es gibt auch – das weiß ich leider aus Erfahrung – verdammt viele, die nicht zahlen wollen.

(Axel Müller [CDU/CSU]: So ist es!)

Welche Sanktionen haben Sie denn dann, um den Strafanspruch des Staates zu realisieren? Oder meinen Sie, der Staat hätte in bestimmten Fällen überhaupt keinen Strafanspruch? Dann müssen Sie das sagen. Aber wenn Sie den ernst nehmen wollen, dann müssen Sie anstelle einer Geldstrafe eine andere Sanktion machen. Selbst wenn das nicht beibringbar ist: Es gibt nach Artikel 239 EGStGB das Programm „Schwitzen statt Sitzen“, die Möglichkeit, soziale Arbeit zu leisten. Das ist eine Ausweichmöglichkeit, mit der Ersatzfreiheitsstrafe verhindert werden kann und auch in vielen Fällen verhindert wird. Warum sollte man davon nicht Gebrauch machen?

Meine Damen und Herren, Ihr Vorschlag, die Ersatzfreiheitsstrafe zu streichen, führt in letzter Konsequenz dazu, dass nur noch eine Strafart bleibt: Das ist die unbedingte Freiheitsstrafe bzw. die Freiheitsstrafe auf Bewährung. Und das hat nun mit einer vernünftigen Strafrechtspolitik nicht das Geringste zu tun, meine Damen und Herren.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Dann gibt es aber noch die Grenze!)

Kurzum: Wir treffen hier zu später Stunde wieder einmal auf die altbekannten sozialistischen Gespenster einer – lassen Sie es mich mal so sagen – umgekehrten Klassenjustiz.

(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt nicht schon wieder!)

Diejenigen, die strafrechtliche Privilegierungen in Anspruch nehmen sollen, sind nach Ihrer Auffassung diejenigen, die nicht das Geld haben für einen Straßenbahnticket oder irgendetwas anderes. In anderen Fällen sehen Sie das ganz anders; da sind Sie für zünftige Sanktionierungen durchaus zu haben. Aber diesen Vorschlag einer, ich sage mal: zutiefst ideologischen und an der Wirklichkeit nicht im Geringsten orientierten Strafrechtspolitik werden wir mit Sicherheit nicht unterstützen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Canan Bayram, Bündnis 90/Die Grünen

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Electoral Period 19
Session 42
Agenda Item Aufhebung der Ersatzfreiheitsstrafe
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