Karl-Heinz BrunnerSPD - Aufhebung der Ersatzfreiheitsstrafe
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt einige Beiträge zu freiheitsentziehenden Maßnahmen gehört. Ich bin jetzt, um 1.15 Uhr, geneigt, zu sagen: Auch wir sind nahe dran, in diesem Hause eine freiheitsentziehende Maßnahme vollstreckt zu bekommen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nichtsdestotrotz finde ich es schon enttäuschend, dass die Diskussionen, die wir über das Schwarzfahren geführt haben – in großen Teilen waren wir uns ja einig, dass wir darüber sprechen müssen, welche Tatbestände gegebenenfalls entkriminalisiert werden können und welche nicht –, bereits nach wenigen Tagen heute in diesem Hohen Hause in diesen Gesetzentwurf, in diesen platten Vorschlag münden, die Ersatzfreiheitsstrafe vollständig abzuschaffen, ohne dass die Ausschüsse bisher in irgendeiner Form damit befasst waren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage das deshalb, weil einer der Grundsätze unseres Rechtssystems doch ist – dem habe ich mich immer verpflichtet gefühlt –, dass vor dem Gesetz jeder gleich ist: der Arme wie der Reiche. Jeder ist vor dem Gesetz gleich. Es gibt vor dem Gesetz keine Ungleichbehandlung dahin gehend, dass der Reiche verurteilt wird und der Arme nicht verurteilt wird. Wenn ein Straftatbestand vorliegt und ein Strafanspruch besteht, ist jeder diesem Strafanspruch des Staates und der Gesellschaft zu unterwerfen.
Ich sage ganz deutlich: Bei der Begründung des hier eingebrachten Gesetzentwurfs wird oberflächlich mit den 2,50 Euro für eine Fahrkarte der BVG argumentiert, aber – das hat auch die Kollegin Bayram von den Grünen gesagt – es geht um weit mehr. Denn mit einem Wegfall der Ersatzfreiheitsstrafe würden wir billigend in Kauf nehmen, dass Straftatbestände wie Körperverletzung – das will ich nicht –, Betrug – das will ich nicht –, Hausfriedensbruch – das will ich auch nicht –, Diebstahl – das will ich gleich gar nicht – und das, was auch mit Geldstrafe geahndet wird, nämlich sexuelle Belästigung – das will ich schon gar nicht –, straffrei gestellt werden. Das will ich nicht. Ich glaube, die deutsche Sozialdemokratie und die Mehrheit dieses Hauses wollen das auch nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Wir auch nicht! Das ist doch Unsinn! Darum geht es doch gar nicht in dem Gesetzentwurf!)
Werte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen, dass das Rechtssystem derzeit – abgesehen von der Möglichkeit der gemeinnützigen Arbeit statt Haft – bereits einige Möglichkeiten zur Abmilderung wie Ratenzahlung etc. hat. Jeder Richter hat bei seiner Entscheidung auch die soziale Komponente zu berücksichtigen und kann gegebenenfalls den Tagessatz auf 1 Euro festsetzen. Möglich ist auch, zum Beispiel wenn jemand Reue zeigt und einsichtig ist, eine Verwarnung mit Strafvorbehalt anstatt einer Verurteilung; da passiert dann noch gar nichts.
Ich glaube, dieses Thema ist in den Ausschüssen gut aufgehoben, und dort sollten wir versuchen, vernünftige und klare Lösungen zu finden, auch um die Länder, die personell vielleicht noch nicht so ausgestattet sind, beim Thema „Schwitzen statt Sitzen“ – also gemeinnützige Arbeit statt Haft – zu unterstützen, bessere Angebote zu unterbreiten.
Eines möchte ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, am Ende der Diskussion noch sagen: Die Ersatzfreiheitsstrafe darf nicht als ein Instrument zur Bewältigung von Löchern in den Justizhaushalten gesehen werden. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist wie die Geldstrafe ein Strafanspruch dieses Staates. Wir haben zu entscheiden, was strafbar ist und was nicht. Darüber zu diskutieren, sind wir gerne bereit, auch um 1.19 Uhr. Und wenn nicht noch ein paar Reden zu Protokoll gegeben werden müssten, würde ich sagen: Herr Präsident, geben Sie mir den Hausschlüssel, ich sperre gerne zu.
Guten Abend!
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7249436 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 42 |
Tagesordnungspunkt | Aufhebung der Ersatzfreiheitsstrafe |