Christian DürrFDP - Finanzhilfen zugunsten Griechenlands
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Rehberg, Sie sagen: Wir sind im dritten Programm, nicht im vierten. – Das ist ja keine Fernsehsendung hier. In der Nacht vom 21. Juni auf den 22. Juni haben die Finanzminister der Euro-Gruppe ein umfangreiches Paket vereinbart, ein Paket aus Schuldenerleichterungen, zusätzlichen Bedingungen, einer erweiterten Überwachung und einem weiteren Cashpuffer in Höhe von 15 Milliarden Euro. Meine Damen und Herren, wir müssen uns an dieser Stelle ehrlich machen: Was ist das anderes
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Als ein viertes Programm?)
als ein viertes Griechenland-Paket, meine Damen und Herren? Alles andere wäre Augenwischerei.
(Beifall bei der FDP und der AfD – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Aber die CDU will sich nicht ehrlich machen! – Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD])
Herr Kollege Rehberg, das ist ein Paket vor allen Dingen auch aus Schuldenerleichterungen. Es gibt eine zusätzliche Zinsersparnis, nämlich eine Senkung der ursprünglich vereinbarten Verzinsung. Die Buchgewinne aus dem Erwerb griechischer Staatsanleihen sollen an Griechenland ausgezahlt werden. Das sind keine echten Gewinne, nebenbei gesagt, sondern: Die EZB hat in einer Phase angekauft, als niemand griechische Staatsanleihen eingekauft hat,
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: War doch ein gutes Geschäft!)
zu einem besonders niedrigen Zins, meine Damen und Herren. Und: Der Beginn der Tilgung und die Zinszahlung werden um weitere zehn Jahre von 2022 auf 2032 verschoben – plus eine Laufzeitverlängerung dieser Kredite um weitere zehn Jahre.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch an dieser Stelle müssen wir uns ehrlich machen. Sie haben gesagt: Der IWF wollte einen Schuldenschnitt, den wir nicht wollten. – Das, meine Damen und Herren, ist ein faktischer Schuldenschnitt für Griechenland, um das auch in aller Klarheit zu sagen.
(Beifall bei der FDP und der AfD)
Herr Kollege Dürr, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hagedorn, SPD?
Ja, bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Sehr verehrter Herr Kollege Dürr, wir hatten in den letzten Wochen schon häufig Gelegenheit, über dieses Thema im Haushaltsausschuss zu diskutieren, und darum muss ich Ihnen schon sagen, dass ich es ein bisschen befremdlich finde, dass Sie uns im Haus hier jetzt schon zum zweiten Mal ermahnt haben, dass wir uns ehrlich machen sollen.
(Dr. Roland Hartwig [AfD]: Ja!)
Denn das, was Sie hier gerade gesagt haben, entbehrt jeder Form der Ehrlichkeit.
(Beifall bei der SPD – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Jetzt bitte eine Frage! – Jürgen Braun [AfD]: Das ist eine plumpe Behauptung, aber keine Frage!)
Sie bedienen hier wirklich Ressentiments, möglicherweise auch die „Bild“-Zeitung,
(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Fragen!)
indem Sie behaupten, es sei ein viertes Paket,
(Zurufe von der FDP: Frage!)
obwohl Sie ganz genau wissen, dass es das dritte Paket ist und dass in diesem dritten Paket vor vielen Jahren knapp 86 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt worden sind, von denen jetzt ungefähr 25 Milliarden Euro gar nicht gebraucht werden,
(Beifall bei der SPD)
und das ist eine gute Botschaft.
(Zurufe von der FDP: Frage!)
Das ist eine Botschaft des Erfolgs für Europa und für Deutschland. Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie hier in diesem Hohen Hause
(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Frage!)
solche, entschuldigen Sie bitte, Dinge verbreiten, die schlicht nicht wahr sind. Das ist Diffamierung.
(Beifall bei der SPD – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wo war denn die Frage? – Weitere Zurufe: Frage!)
Frau Kollegin Hagedorn, ich will das nur in aller Klarheit sagen – ich werde auch gleich noch mal aus den Debatten genau zu diesem Thema zitieren, die hier 2015 geführt wurden, als die FDP nicht im Deutschen Bundestag war; dann können wir über Ehrlichkeit reden an der Stelle –: Wenn man nachträglich Bedingungen eines festgelegten Pakets ändert, wenn man nachträglich der Auffassung ist, dass mehr Liquidität rein muss, als ursprünglich vereinbart war, wenn man nachträglich Zinsen senkt, dann sind das faktische Schuldenerleichterungen, und dann ist das ein neues Paket. Alles andere, Frau Kollegin, ist irrational.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Jetzt will ich Ihnen sagen, wie das Hohe Haus 2015 hier diskutiert hat, und den damaligen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zitieren. Im Rahmen der Debatten über das dritte Hilfspaket für Griechenland hat Schäuble klar gesagt:
Wiederum ist auch klar, dass ein Schuldenschnitt nicht möglich ist.
Und weiter – Stichwort „IWF“ –:
Für die Bundesregierung ist unabdingbar, dass der Internationale Währungsfonds mit seiner besonderen Expertise bezüglich Staatsschuldenkrisen weiter an Bord bleibt.
Und zum Schluss:
Die Euro-Gruppe ihrerseits hat entsprechend der Position der Bundesregierung klar gesagt, dass eine weitere Beteiligung des Internationalen Währungsfonds an diesem Programm auch finanziell unverzichtbar ist.
(Beifall bei Abgeordneten der AfD)
Herr Rehberg, Sie haben gerade von „regelbasiert“ gesprochen. Das sind die Regeln, die der Deutsche Bundestag selbst aufgestellt hat. An die wird sich jetzt nicht gehalten, und das ist es, was die Menschen in Deutschland stört, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP und der AfD – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist lächerlich!)
Frau Hagedorn, Sie haben auch auf die Entwicklung in Griechenland Bezug genommen und gesagt, nicht alles, was im Rahmen des ESM möglich gewesen wäre, sei ausgeschöpft worden; das war ja gerade Ihre These. Ich will in aller Klarheit sagen: Die Entscheidung, die hier die Finanzminister der Euro-Gruppe getroffen haben, ist auch aus einem anderen Grunde nicht gerechtfertigt. Gemessen an den Erwartungen im Zusammenhang mit den bisherigen drei Rettungspaketen steht Griechenland tatsächlich besser da, als ursprünglich erwartet, meine Damen und Herren. Es gibt bessere Wachstumsprognosen. Der Haushaltsüberschuss ist höher als erwartet. Wenn man jetzt aber, nach drei Paketen, feststellt, dass Griechenland heute besser dasteht, als ursprünglich erwartet, vor welchem Hintergrund kann man dann noch weitere Schuldenerleichterungen zulassen? Das ist eine Logik, die die Menschen in Deutschland nicht verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP und der AfD – Andrea Nahles [SPD]: Unterirdisch! – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Die AfD klatscht mehr Beifall als die FDP! Das sollte Ihnen zu denken geben!)
Wenn man die Bedingungen hinsichtlich der nach dem ESM-Vertrag zwingend erforderlichen Schuldentragfähigkeit beim dritten Paket jetzt nachträglich ändert, meine Damen und Herren, dann war die Schuldentragfähigkeit offensichtlich schon damals, 2015, nicht gegeben. Das ist übrigens die Kontinuität bei den Freien Demokraten an dieser Stelle: Wir haben schon 2015, nachdem wir die ersten beiden Rettungspakete hier im Deutschen Bundestag mit verabschiedet haben, gesagt, dass der Verzicht auf eine entsprechende Regelung ein Fehler ist. Es war damals ein Fehler, und es ist heute ein Fehler. Dabei bleibt es, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP und der AfD – Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD])
Entscheidend ist doch – das ist mir wichtig –, welchen Kurs Griechenland langfristig einschlägt; denn es ist, wie hier alle Kollegen zu Recht gesagt haben, ein sehr langfristiges Paket, über das wir hier reden. Wird Griechenland langfristig einen Weg wie Irland einschlagen, mit marktwirtschaftlichen Reformen, oder wird man in Athen angesichts der Erleichterungen eher bei den Reformbemühungen nachlassen? Meine Damen und Herren, ich will in diesem Zusammenhang an die Situation der Bundesrepublik Deutschland Anfang des vergangenen Jahrzehnts erinnern: Deutschland war damals der kranke Mann Europas. Es waren mutige Reformen einer rot-grünen Bundesregierung mit weitgehender Unterstützung der damaligen schwarz-gelben Opposition, die Deutschland in Europa aus eigener Kraft wieder haben wirtschaftlich erstarken lassen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wilhelm von Gottberg [AfD])
Ich glaube, dass mutige Reformen, die – unabhängig von Konjunkturzyklen – ein Land langfristig erfolgreich machen, aus eigenem Willen geschehen müssen. Die Agenda 2010 wäre so in Deutschland nie gekommen, wenn sie aus Brüssel, London oder Berlin aufoktroyiert worden wäre.
(Beifall bei der FDP)
Deswegen muss es Griechenland aus eigener Stärke schaffen – das ist die Botschaft –, und da bin ich durchaus zuversichtlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Durch dieses finanziell großzügige und gleichzeitig politisch sehr enge – Stichwort „Bedingungen“ – und langwierige Schlusspaket nehmen wir Griechenland aus meiner Sicht die Chance, eine eigene Reformpolitik zu entwickeln. Es ist ein Paket der dauerhaften Fremdbestimmung. Diese Fremdbestimmung ist genau das, was falsch läuft. Wir haben immer gesagt: Wir stehen bereit, wenn die gesamte Währungszone in Gefahr ist; ich glaube, dann kommt auch die Solidarität der deutschen Steuerzahler zum Tragen.
(Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Aber wenn es nur darum geht, einem einzelnen Land von europäischer Seite seine Reformbemühungen zu diktieren, dann wird das langfristig keine erfolgreiche Euro-Rettungspolitik sein, meine Damen und Herren. Das muss sich ändern, auch in der Bundesregierung, um das in aller Klarheit zu sagen.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hansjörg Müller [AfD])
Wir stellen fest: Finanziell ist der Internationale Währungsfonds bei diesem Schlusspaket nicht mehr an Bord. Faktisch ist es ein Schuldenschnitt, tatsächlich ist es ein viertes Griechenland-Programm.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Sie haben es nicht verstanden! Was wollen Sie jetzt eigentlich noch mal? – Ulli Nissen [SPD]: Ist es nicht das fünfte? – Andrea Nahles [SPD]: Was ist die Alternative?)
Ich will in Richtung der Kolleginnen und Kollegen der Union sagen: Das ist das Gegenteil dessen, was die Union ihren Wählerinnen und Wählern – und übrigens auch ihren eigenen Mitgliedern – versprochen hat. Ich glaube, es gibt die Bereitschaft der Menschen, in der Währungszone zu helfen, aber nur dann, wenn man sich am Anfang und am Ende an die Regeln hält.
Ich komme zum Ende. Ich frage mich, ob dieses Ergebnis statt unter einem Bundesfinanzminister Scholz auch unter einem Bundesfinanzminister Schäuble so zustande gekommen wäre? Ich weiß es nicht.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Jetzt etwas Konstruktives zum Ende!)
Aber war es klug, sich in einer entscheidenden Phase der Zukunft der europäischen Finanz- und Währungspolitik durch innerkoalitionäre Streitereien auch auf europäischer Ebene erpressbar zu machen? Nein, meine Damen und Herren, liebe Kollegen der Union, dieses Verhalten der letzten Wochen war im Hinblick auf die Finanzstabilität und die Währungsstabilität in Europa selten dämlich, um das in aller Klarheit zu sagen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)
Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Fabio De Masi, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7249466 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 43 |
Tagesordnungspunkt | Finanzhilfen zugunsten Griechenlands |