29.06.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 43 / Zusatzpunkt 11

Fabio Valeriano Lanfranco De MasiDIE LINKE - Finanzhilfen zugunsten Griechenlands

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Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Griechenland soll nach Jahren der Entbehrungen an den Finanzmarkt zurückkehren. Zeit, sich ehrlich zu machen! 95 Prozent der Griechenland-Kredite in Höhe von 274 Milliarden Euro flossen in den Schuldendienst, auch an deutsche und französische Banken, nicht an griechische Krankenschwestern oder Rentner.

(Beifall bei der LINKEN)

Wahr ist auch: Deutsche Finanzminister erzielten mit diesen Krediten Zinserlöse in Höhe von 3 Milliarden Euro.

Griechenland wurde das härteste Kürzungspaket einer Industrienation seit dem Zweiten Weltkrieg auferlegt. Die öffentliche Schuldenquote stieg jedoch von etwa 120 Prozent der Wirtschaftskraft auf 180 Prozent, weil Kürzungspakete die Depression vertieften. Auch Ökonomen des Internationalen Währungsfonds haben diese extreme Kürzungspolitik als falsch bezeichnet.

Die Griechenlandrettung funktionierte so, als würde ich zu einem Freund gehen, der eine Taverne betreibt und bei mir Schulden hat, und diesem Freund meine Kreditkarte leihen, um damit seine Schulden bei mir zu bezahlen,

(Peter Boehringer [AfD]: Nur mit 160 Milliarden!)

würde ihn aber zwingen, mir seine Tische und Stühle zu schenken und den Koch zu entlassen, sodass er kein Einkommen mehr erwirtschaftet, und dennoch darauf bestehen, dass er Monat für Monat die Rate für die neuen Kredite überweist. Eine solche Politik ist völlig verrückt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Der „Spiegel“ ließ nach der Sitzung der Euro-Gruppe einen 76-jährigen griechischen Rentner zu Wort kommen. Ich zitiere:

„Meine einzige Sorge ist …, wie ich genug Geld für meine Beerdigung sparen kann.“

Griechische Renten wurden bereits um 60 Prozent gekürzt; sie werden 2019 erneut gekürzt. Die Einkommen der Griechen sind auf den Stand von 2003 gefallen; über 300 000 junge Griechen sind ausgewandert.

Im Krankenhaus von Nikea gab es fast eine Stunde Stromausfall. Das Notstromaggregat sprang nicht an. Krankenschwestern liefen mit Verlängerungskabeln über die Flure, um den operierenden Chirurgen Strom zu bringen. Intensivpatienten war minutenlang der Strom abgedreht; denn die Infrastruktur in Griechenland verlottert.

Doch Athen soll weiter kürzen und privatisieren, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Die hessische Landesregierung intervenierte bei der Troika, damit die profitablen Regionalflughäfen zu Schleuderpreisen an die Fraport AG verkauft wurden – in einem Verfahren mit nur einem Bieter. Sie nennen das Marktwirtschaft, ich nenne das nackte Erpressung.

(Beifall bei der LINKEN)

Deutschland verkauft immer mehr und billiger ins Ausland, als es von dort einkauft, weil unsere Löhne wegen Hartz IV, Leiharbeit und Befristungen zu niedrig sind. Auch die griechischen Löhne sind seit der Krise um 25 Prozent gefallen. Aber Griechenland exportiert kaum etwas; denn Griechenland wurde durch den Cocktail aus deutschen Exportüberschüssen und Kürzungspolitik deindustrialisiert.

Es ist Zeit für eine unbequeme Wahrheit: Griechenland wird die Kredite niemals komplett zurückzahlen können.

(Beifall des Abg. Karsten Hilse [AfD])

Sie haben Deutsche Bank und Co Zeit gekauft, damit die Rettungsschirme das Risiko einer griechischen Pleite übernehmen. Die Bundesregierung sollte jedoch die deutsche Geschichte, die Geschichte von Versailles, kennen. Wir sollten nicht vergessen, dass Deutschland 1953 zig Milliarden Euro Schulden durch das Londoner Abkommen erlassen wurden. Aber Sie verweigern weiter eine zukunftsfeste Lösung für die griechischen Schulden, obwohl der IWF klipp und klar sagt, dass Griechenland überschuldet ist. Daran ändern auch die geringfügigen Schuldenerleichterungen nichts. Sie verschieben den Offenbarungseid nur hinter die nächste Bundestagswahl.

Griechenland soll noch bis 2060 Haushaltsüberschüsse vor Zinsen erwirtschaften. Dies ist noch keinem Land der Welt gelungen. Ein heute geborenes griechisches Baby wäre bis dahin 42 Jahre alt. Und die Nachprogrammüberwachung soll noch 30 Jahre andauern, bis 75 Prozent der Schulden getilgt sind. Das ist mehr als das Doppelte einer Kanzlerschaft von Frau Merkel. Das Geld, das in den Schuldendienst fließt, fehlt für Investitionen. Nur mit Investitionen kann jedoch ein Strukturwandel in Griechenland gelingen und einer verlorenen Generation wieder Hoffnung gegeben werden.

Wir haben den 5. Juli 2015 nicht vergessen. Damals sagte die Mehrheit der Griechen „Oxi“ – Nein – zur Kürzungspolitik. Aber die EZB drehte Griechenland den Euro ab und zwang die Regierung, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, über die Wolfgang Schäuble einmal gesagt haben soll, er hätte so etwas für Deutschland niemals unterschrieben. An diesem Tag starb in Griechenland, der Wiege der Demokratie, auch ein Stück Europa.

Mein Freund, der 96-jährige griechische Widerstandskämpfer und Poet Manolis Glezios, der als junger Mann die Naziflagge von der Akropolis holte, dessen Bruder Nikos von deutschen Besatzern hingerichtet wurde, antwortete einmal in meiner Heimatstadt Hamburg auf die Frage, ob er angesichts der Kriegsschulden Deutschlands nicht die Konfiszierung der Goethe-Institute befürworte:

Ich liebe Goethe und die deutsche Literatur. Die Deutschen sind unsere Brüder und Schwestern und tragen keine Schuld für ihre Regierung. Niemals würde ich ihre Bücher beschlagnahmen.

Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion bei den Griechinnen und Griechen für die Politik der Bundesregierung entschuldigen, die so viel unnötiges Leid verursacht hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Den Griechen wünsche ich, dass sie ihr Land nach der Finanzkrise und den Verwüstungen der Troika wieder aufbauen können.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Sven-­Christian Kindler, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7249468
Wahlperiode 19
Sitzung 43
Tagesordnungspunkt Finanzhilfen zugunsten Griechenlands
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