29.06.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 43 / Tagesordnungspunkt 19

Christoph MatschieSPD - Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen

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Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuschauer! Wir diskutieren die Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat in einer Zeit, in der es gravierende Umbrüche in der internationalen Ordnung gibt, in einer Zeit, in der viele die Gretchenfrage stellen: Wie hältst du’s mit dem Multilateralismus, wie hältst du’s mit der internationalen Ordnung? Wir haben auch gestern in der Europa-Debatte darüber diskutiert. Deshalb ist es, glaube ich, ganz angemessen, noch mal die historische Perspektive einzunehmen und der Frage, was die Vereinten Nationen eigentlich bringen und was der Sicherheitsrat eigentlich kann, die Perspektive entgegenzustellen, woher diese Institution kommt: Sie war die Lehre aus einer bitteren Geschichte, sie war die Lehre aus zwei verheerenden Weltkriegen, sie war die Lehre aus dem Holocaust. Die Vereinten Nationen bieten die Möglichkeit, als Weltgemeinschaft zu versuchen – der Versuch, das stimmt, ist nicht immer gelungen –, Konflikte zu entschärfen und Zusammenleben zu ermöglichen.

Neben diesem institutionellen Rahmen hat sich die Weltgemeinschaft auch ein Wertefundament gegeben: Drei Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen, im Dezember 1948, wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet. Vielleicht muss man in den Debatten heute ab und zu mal an den Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erinnern – ich will ihn mal zitieren –:

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.

Das ist der Anspruch, den wir uns als Weltgemeinschaft selbst gesetzt haben.

Ich finde, in dieser Situation, in der sich wichtige Staaten aus der internationalen Ordnung zurückziehen, in der wichtige Staaten versuchen, das Eigeninteresse in den Vordergrund zu stellen, muss man an diese Lehren aus der Geschichte erinnern. Es waren ja eigentlich zwei amerikanische Präsidenten, die am Beginn der Vereinten Nationen standen und die entsprechende Initiative vorangetrieben haben, nämlich erst Wilson und dann, in der Umsetzung, Truman.

Ich glaube, an dieser Stelle muss man auch darauf hinweisen, dass auch die Europäische Union zu den Lehren aus unserer Geschichte gehört. Ich finde es fahrlässig, wenn sich inzwischen auch in der Bundesrepublik Deutschland Politiker mit Aussprüchen wie „Der Multilateralismus ist am Ende“ zitieren lassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP] und Stefan Liebich [DIE LINKE])

Nein, der Multilateralismus ist nicht am Ende.

Es ist ja richtig: Weder die Vereinten Nationen noch die Europäische Union sind perfekt. Aber die Frage muss doch gestattet sein: Was wäre denn die Alternative dazu? Wäre denn die Regel, dass der Starke sich das Recht nimmt, das er sich nehmen kann, dass der Starke sich durchsetzt, wirklich eine Alternative zu einer gemeinsamen Ordnung? Ich mag mir das nicht vorstellen, und wenn man in die Geschichte schaut, weiß man, dass das nicht gutgeht. Das kann und darf keine Alternative in der internationalen Ordnung sein. Die Alternative für uns muss sein: internationale Zusammenarbeit, europäische Zusammenarbeit, Konflikte frühzeitig entschärfen und dafür sorgen, dass sich alle an die Regeln halten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Frage, wie wir wichtige globale Probleme lösen können, stoßen wir doch sofort an eine Grenze. Wie sollen wir denn ein Problem wie den Klimawandel bewältigen, wenn jedes Land zuallererst nach seinen Interessen handelt,

(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

wenn jedes Land zuerst auf die nächste Wahl schaut? Es ist dann schlicht unmöglich, ein solches Problem zu lösen; denn die Lösung der großen Fragen erfordert, dass man das Eigeninteresse ein Stück weit zurückstellt, das gemeinsame Interesse in den Vordergrund stellt und gemeinsame Lösungen anstrebt, die nur möglich sind, wenn jeder einen Schritt zurück tritt, wenn jeder ein Stück von seinem Interesse abgibt, damit das gemeinsame Interesse verfolgt werden kann.

Herr Kollege Schmidt, das, was Sie eben erwähnt haben, ist nicht richtig: Deutschland hat nicht zugegeben, die Ziele von Paris nicht einzuhalten. Richtig ist: Wir haben selbstgesteckte Ziele, die wir jetzt noch nicht einhalten, weshalb der Zeitplan verlängert wird. Das ist ein wichtiger Unterschied. Die Bundesrepublik steht zu den Klimaschutzzielen von Paris. Die Bundesregierung wird alles unternehmen, diese Ziele in den kommenden Jahren zu erreichen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU])

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Zum Schluss, Herr Präsident: Ich glaube, wir stehen an einem Scheideweg. Wir müssen uns entscheiden, ob wir Teil der Lösung sein wollen, nämlich Teil der Staaten, die sich für eine internationale Ordnung, für gemeinsame Regeln einsetzen, oder – –

Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade das Wort entzogen. Ich verweise auf § 35 Absatz 3 der Geschäftsordnung. Ihre Rede ist zu Ende.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der AfD sowie des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU])

Als Nächstes erteile ich dem Kollegen Christian Schmidt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das war nur ein Halbsatz! Der Präsident darf die Sitzung leiten, aber das war erkennbar nur noch ein Halbsatz!)

– Frau Kollegin Hendricks, Sie wissen, dass die Entscheidungen des Präsidenten der Erörterung entzogen sind. Aber ich weise darauf hin, dass § 35 Absatz 3 der Geschäftsordnung folgenden Wortlaut hat: Überschreitet ein Redner die ihm zugebilligte Redezeit, so soll der Präsident nach einmaliger Mahnung ihm das Wort entziehen. – Ich verstehe das „soll“ als „ist“. Das habe ich vorhin angekündigt, und dabei wird es bleiben.

(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Aber es war klar, dass da nur ein Halbsatz folgt! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das war mehr als ein Halbsatz! – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Was das jetzt wieder an Zeit kostet! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Konsequenz ist schon gut!)

Herr Kollege Schmidt, Sie haben das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7249515
Wahlperiode 19
Sitzung 43
Tagesordnungspunkt Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
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