Bernhard DaldrupSPD - Gewerbesteuerliche Hinzurechnung - Urlaubssteuer
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Klinge, auch ich gratuliere Ihnen natürlich zu Ihrer ersten Rede, will aber zumindest sagen: Die ersten 100 Tage, die wir regieren und in denen wir etwas zustande gebracht haben, das ist ungefähr die Zeitspanne, die Sie sozusagen in touristischer Manier auf dem Balkon verbracht haben und in der Sie nichts Vernünftiges hinbekommen haben.
(Beifall bei der SPD – Christian Dürr [FDP]: Lassen Sie mich kurz überlegen: Wann hat die Große Koalition angefangen? 2005? 2005! Ich rechne noch an den Tagen!)
Herr Brehm hat den Sachverhalt hier sehr schön steuerrechtlich eingeordnet. Ich will mal ein bisschen politisch zur Sache Stellung nehmen.
Wenn die AfD über Steuerrecht redet, hat sie meist in petto, eine Steuer abzuschaffen. Dieses Mal will sie sogar eine Steuer abschaffen, die es gar nicht gibt, allenfalls im Jargon der Lobbyisten: die Urlaubssteuer. Es geht aber natürlich – die Urlaubszeit steht vor der Tür – nicht darum, über marktbeherrschende Unternehmen und über die Frage zu sprechen, ob sie Preissprünge in der Hochsaison nicht reduzieren sollten, damit sich Familien mit Kindern einen Urlaub leisten können. Vielmehr liegt alles angeblich am Staat, und das ist etwas, was kaum glaubhaft ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Worum geht es eigentlich in der Diskussion? Herr Brehm hat darauf hingewiesen: Es geht um Steuern. Konkret geht es um die Gewerbesteuer. Noch präziser: Es geht um Gleichbehandlung bei der Veranlagung zu dieser Steuer. Ich will daran erinnern, wie das eigentlich zum damaligen Zeitpunkt war: 2008 haben SPD und Union eine sehr große Steuerreform für Unternehmen durchgeführt. Wir haben die Körperschaftsteuer von 25 Prozent auf 15 Prozent gesenkt. Wir haben die Gewerbesteuermesszahl von 5 Prozent auf 3,5 Prozent abgesenkt. Dadurch haben wir die Unternehmen in Deutschland um rund 5 Milliarden Euro pro Jahr entlastet.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Selbstverständlich profitiert davon auch die Tourismusbranche jedes Jahr. Sollen wir diese Steuersenkung eigentlich jetzt zurücknehmen? Das ist ja die Frage, die sich stellt, wenn man die Anträge von AfD und FDP liest. Rosinenpickerei reicht ja wohl nicht aus; denn gleichzeitig mit den Steuersenkungen im Jahr 2008 haben wir die Regeln für die gewerbesteuerliche Hinzurechnung systematisiert, aktualisiert. Wie alt sie ist, hat Herr Brehm eben gesagt. Damit haben wir erreicht, dass alle Unternehmen gewerbesteuerlich gleichbehandelt werden, egal ob sie betriebsnotwendiges Aktivvermögen fremd- oder eigenkapitalfinanzieren, ob sie es anmieten oder im Eigentum nutzen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Es kann doch nicht wahr sein, dass ein Reiseveranstalter, der ein Hotel im Eigentum hat, schlechtergestellt wird als ein Reiseveranstalter, der die Zimmer nur anmietet. Das ist doch wohl nicht gerecht.
(Beifall bei der SPD)
Vor dem Hintergrund muss man sagen: Die massive Steuersenkung bei gleichzeitiger Hinzurechnung einzelner Tatbestände dient dazu, Gleichbehandlung zu erreichen. Wer die Hinzurechnung nicht will, der kann auch die Steuersenkung nicht haben. Das war und das bleibt auch gerecht.
Schauen wir mal anhand eines praktischen Beispiels, worum es eigentlich geht. Die Tourismusbranche selber sagt, dass eine Reise wegen der gewerbesteuerlichen Gleichbehandlung um 2,3 Prozent teurer wird; das sind bei einer Pauschalreise im Wert von 1 000 Euro also immerhin 23 Euro. Das ist das Ergebnis einer lobbygetriebenen Berechnung. Es gibt andere Berechnungen – auch unsere eigene –, die zu dem Ergebnis kommen, dass es – weil nur Teilbereiche der Kosten wie beispielsweise unstreitig die Übernachtungskosten in die gewerbesteuerliche Hinzurechnung einbezogen werden – gerade mal 0,6 Prozent, also 6 Euro bei einer 1 000 Euro teuren Reise, sind. Diese Summe müssen übrigens dann nur Unternehmen zahlen, die über den ebenfalls 2008 eingeführten Freibetrag von 100 000 Euro kommen; darüber ist eben gesprochen worden. Dass man bei der Berechnung differenzieren kann, wissen wir, weil die FDP seinerzeit die Mövenpick-Steuer eingeführt hat. Da war das mit der Auseinanderrechnung auch kein Problem.
(Beifall bei der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Da war es ganz leicht auseinanderzurechnen!)
Also: Die Behauptung, wegen der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung würden Urlaubsreisen zu teuer, hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Die Forderung der AfD ist also erwartungsgemäß Unsinn.
(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Haben Sie das in der Fraktion abgesprochen? Sehen das alle so?)
Das gilt erst recht für die Anwendung auf einzelne Branchen. Würde man den Sachverhalt so regeln, kämen andere Branchen an und würden sagen: Gleiches Recht für alle! – Die Messebauer beispielsweise würden darauf hinweisen, dass ihnen die Messehallen auch nicht gehören. Die Logistiker würden selbstverständlich entsprechend darauf hinweisen. Es wäre ein Einfallstor, um die Axt an die Gewerbesteuer zu legen. Das will die FDP. Das ist traurig, muss man sagen.
Es geht um Steuerrecht; es geht aber auch darum, was eigentlich mit der Gewerbesteuer finanziert wird. Wer, wenn nicht die Kommunen, produziert denn die Standorte für die Tourismusindustrie? Die Kommunen produzieren die Standorte; das kann kein anderer. Und ich sage Ihnen: Die von ihnen geschaffene touristische Infrastruktur ist die Voraussetzung dafür, dass touristische Unternehmen überhaupt ihre Angebote realisieren können.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich komme gleich zum Schluss. Ich will aber noch ganz kurz sagen: Ich bin nicht so ganz sicher, ob dieser penetrante Lobbyismus seit vielen Jahren der Tourismusindustrie wirklich nützt, wenn man sich mal überlegt, wer eigentlich diese Interessen hier vertritt.
(Sebastian Münzenmaier [AfD]: Können Sie da genauer werden?)
Darüber sollte man tatsächlich mal nachdenken.
Eine letzte Bemerkung zum Antrag der FDP, der im Grunde genommen darauf zielt, die Gewerbesteuer abzuschaffen.
(Christian Dürr [FDP]: Nein, steht da nicht, aber das wollen wir, ja!)
Ich sage Ihnen: Es geht hier um ein besonderes Thema, aber Ihr Modell führt zu einer Verschärfung der Gegensätze zwischen wohlhabenden und strukturschwachen Gemeinden in Deutschland; Ihr Modell führt nicht zu gleichwertigen, sondern zu gegensätzlichen Lebensverhältnissen in Deutschland.
(Beifall bei der SPD – Dr. Marcel Klinge [FDP]: So ein Quatsch! Das ist falsch, Herr Kollege!)
Das wollen wir auf gar keinen Fall. Ich kann Ihnen in einer Extradebatte mal zeigen: Was Sie da wollen, ist so kommunalfeindlich, wie es überhaupt nur sein kann. Das ist mit uns nicht zu machen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Nächste Rednerin: die Kollegin Kerstin Kassner von der Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7249575 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 43 |
Tagesordnungspunkt | Gewerbesteuerliche Hinzurechnung - Urlaubssteuer |