Dennis RohdeSPD - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen heute einen Tag vor Abschluss des Bundeshaushaltes 2018. Man muss ehrlich sagen: Es wird Zeit, dass wir die vorläufige Haushaltsführung dann auch mal beenden. Es hat alles aufgrund der schwierigen Regierungsbildung etwas länger gedauert.
Obwohl wir in den letzten Tagen und Wochen intensiv und zuweilen auch kontrovers über den Haushalt diskutiert haben, obwohl wir in nächtelangen Sitzungen vieles noch verändert, verbessert haben, muss man doch ehrlich zugestehen: Diese Debatte stand in den letzten Tagen und Wochen nicht wirklich im Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Wenn ich mir die Debattenbeiträge links und rechts neben der Haushaltsdebatte der vergangenen Wochen so ansehe, dann wundere ich mich schon, was man für einen kurzfristigen Erfolg alles aufs Spiel zu setzen bereit ist, und ich meine dabei nicht ausschließlich die Stabilität einer Regierung.
(Beifall bei der SPD)
Ich war bisher immer der Überzeugung, dass die Einheit Europas für alle demokratischen Parteien ein Wert an sich ist,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
ein Wert, für den es sich zu kämpfen lohnt und den es auf jeden Fall zu bewahren gilt.
Generationen von europäischen Politikern haben doch teils visionär, teils durch stundenlange Überzeugungsarbeit vor allem eins erschaffen: einen Kontinent, auf dem die Völker friedlich zusammenleben, einen Kontinent, auf dem das Miteinander vor dem Gegeneinander kommt. Es waren Politikerinnen und Politiker wie Konrad Adenauer oder Willy Brandt, die vor allem eins sicherstellen wollten: Die Menschen in Europa sollten nie wieder Opfer eines Krieges werden.
(Beifall bei der SPD)
Ich sage: Die Verständigung der Staaten Europas ist und bleibt der größte und wichtigste Garant für Frieden in unserem Land und damit auch der größte und wichtigste Garant für Freiheit und Wohlstand.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Nun gibt es Generationen, die der große Nutznießer der damaligen Vision eines geeinten und eines friedlichen Europas sind. Es gibt Mitglieder des Deutschen Bundestages, die in ihrem Leben keinen Krieg auf diesem Kontinent erlebt haben werden. Denen ist das größte Geschenk überhaupt zuteilgeworden, nämlich ein Leben in Frieden. Es ist ein Geschenk, dass man sich selbst nie die Fragen stellen musste, die sich viele Schutzsuchende aus Kriegsgebieten zwangsweise stellen mussten: Verlasse ich meine Heimat, und riskiere ich dabei auch noch mein Leben, oder sehe ich vor Ort zu, wie sich all das in Trümmer verwandelt, was ich in meinem Leben aufgebaut habe, und riskiere ich dabei auch noch, dasselbige zu verlieren? – Man kann nur sagen: Welch Glück, wenn man sich in seinem Leben diese Fragen nicht stellen musste.
(Beifall bei der SPD)
Ich spreche hier und heute auch für viele der noch jüngeren Generation in unserem Land; denn ich will sagen: Es macht mich zunehmend sprachlos, wie dieses höchste Gut der europäischen Einheit und des europäischen Friedens zum Spielball von machtpolitischen Interessen geworden ist. Wo sind wir eigentlich angekommen, wenn man Europa laufend und immer wieder für innerpolitische Debatten zur Disposition stellt und es einigen offenkundig egal ist, ob das europäische Bündnis am Ende daran zerbricht? Was sagen diejenigen, die das tun und die ihr Leben lang von den Vorzügen Europas profitiert haben, eigentlich ihren Kindern und Enkelkindern?
(Beifall bei der SPD)
Auch die kommenden Generationen haben ein Recht, in einem geeinten und in einem friedlichen Europa zu leben. Wer die Axt an Europa anlegt, der legt sie auch an die Zukunft der jungen Generation an. Ich sage deutlich: Wir sind nicht bereit, dabei zuzusehen, wie geschichtsvergessene und an der Zukunft nicht interessierte Politikerinnen und Politiker dieses Friedensbollwerk aus reinem Machtkalkül aufs Spiel setzen.
(Beifall bei der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch an der Art der politischen Auseinandersetzung erkennt man die beängstigenden Veränderungen der letzten Monate. Vielen geht es nur noch um Überschriften, um Schlagworte, um Zuspitzungen. Es geht für viele nicht mehr um Inhalte, sondern nur noch darum, den politischen Gegner herabzusetzen. Vermeintlich einfache Wahrheiten sind mancherorts an die Stelle echter komplexer politischer Auseinandersetzungen gerückt. Wir wissen doch: Wer der Verrohung der Sprache nicht entgegenwirkt, darf sich über die Verrohung des Handelns am Ende auch nicht wundern.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Michaela Noll [CDU/CSU] und Johannes Selle [CDU/CSU])
Wenn ich bei Facebook Kommentare lese, die voller Hass, voller Missgunst und voller Beleidigungen sind, wenn ich Überschriften lese, die vorverurteilen und einseitig sind, wenn ich Tweets lese, die offen hetzen, wenn ich auf YouTube agitatorische Reden mit offenen Drohungen sehe, dann wird mir aufs Neue klar: Das genau ist nicht unsere Art, zu leben. Genau das ist nicht Teil der Errungenschaften unserer Gesellschaft. Genau das ist kein Charakterzug eines modernen Landes.
(Beifall bei der SPD)
Und daher möchte ich noch einmal wiederholen, was ich vor fast zwei Jahren in der Generaldebatte zum Haushalt hier gesagt habe: Es tut mir leid um diejenigen, deren Ängste und Zweifel missbraucht und instrumentalisiert werden. Anstatt ihnen Mut zu machen, Perspektiven zu eröffnen, will man sie mitnehmen auf die eine Seite der Gesellschaft, um sie dann gegen die andere Seite der Gesellschaft auszuspielen. Für mich, für uns ist klar: Wir wollen in einem Deutschland leben, in dem man nicht wieder nach seinem Aussehen oder seiner Herkunft bewertet wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir wollen in einem Deutschland leben, in dem religiöse Orientierung, Sprache, Homosexualität oder sozialer Status nicht Grundlage für Stigmatisierung sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Wir möchten auch in Zukunft in einem Deutschland und in einem Europa leben, in dem das Miteinander weiter vor dem Gegeneinander kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD)
Ich bin überzeugt davon, dass dieses Land es schaffen wird, den Versuchungen der Demagogen und der Europafeinde zu widerstehen. Ich bin überzeugt davon, dass wir dem widerstehen, wenn wir uns auf das besinnen, was uns ausmacht: ein starkes Deutschland in einem starken und solidarischen Europa.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Herzlichen Dank, Herr Kollege Rohde. – Als Nächstes für die AfD-Fraktion der Kollege Dr. Marc Jongen.
(Beifall bei der AfD)
Herr Kollege Kahrs, darf ich Sie ansprechen? – Wir wissen im Präsidium, dass wir die Nutzung von Handys und Smartphones im Plenarsaal nicht unterbinden können. Aber die Bitte, das Fotografieren zu unterlassen, wiederhole ich jetzt, und die gilt für alle.
(Volker Kauder [CDU/CSU], an den Abg. Johannes Kahrs [SPD] gewandt: Löschen!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7251347 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 45 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt |