05.07.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 46 / Tagesordnungspunkt I.16

Otto FrickeFDP - Arbeit und Soziales

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Geschätzter Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede etwas zu der Frage des Zusammenhalts unserer Gesellschaft gesagt. Da waren viele wahre Worte dabei. Die essenziellste Säule des Zusammenhalts ist Vertrauen. Vertrauen ist aber ein sehr kostbares Gut. Nicht umsonst gibt es ein niederländisches Sprichwort, das sagt: Vertrauen verschwindet auf dem Rücken eines Pferdes und kommt zu Fuß zurück.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wie die FDP! – Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

– Sehr schön! Ja, wir kommen immer wieder zurück, weil wir gut sind – danke.

(Beifall bei der FDP – Michael Theurer [FDP]: Notfalls auch barfuß!)

Was Sie versuchen, ist – jetzt will ich einmal einige grundlegende Fragen ansprechen –, durch immer mehr staatliche bzw. sozialstaatliche Leistungen Vertrauen beim Bürger zu erzeugen. Nur – das ist das Komische; ich finde, das sollten wir alle auch bemerken –: Wir sind zwar beliebt, wenn wir mehr geben. Wir sind zwar beliebt, wenn wir jeder Forderung nach weiteren staatlichen Leistungen nachgeben. Aber Vertrauen schafft das nicht. Denn obwohl die Staatsausgaben seit Jahren stärker steigen als das nominelle Wachstum, obwohl die Sozialausgaben exponentiell steigen und obwohl die Sozialquote einen Höchststand erreicht hat, steigt das Vertrauen in den Sozialstaat komischerweise nicht.

(Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Das sollte uns zu denken geben.

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Ja, gerne.

(Pascal Kober [FDP]: Oh, Matthias! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Hat der Kollege denn heute gar keine Redezeit gekriegt?)

Herr Kollege Fricke, herzlichen Dank, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade behauptet, die Sozialausgaben seien eklatant gestiegen. Ich habe eine schriftliche Frage an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und an das Finanzministerium gerichtet und mir in der Antwort aufzeigen lassen, wie sich denn die Sozialausgaben entwickelt haben, und zwar in Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Man kann feststellen, dass es vor 21 Jahren, 1997, 28,3 Prozent des BIP waren, im Jahr 2012  28,7 Prozent und 2017  29,8 Prozent.

Ja, stimmt.

Von einer Explosion, Herr Kollege, kann ich da nichts erkennen.

Nur nebenbei bemerkt, weil auch Herr Theurer wieder eine Märchenstunde gemacht hat,

(Zuruf von der FDP: Was?)

will ich Ihnen sagen, dass die Ausgaben für Alters- und Hinterbliebenenrenten in Prozent des Bruttoinlandsproduktes von 11,3 Prozent 1997 auf 11,0 Prozent 2017 gesunken sind. Es ist also erstens ein Märchen, zu behaupten, wir hätten explodierende Sozialausgaben, und zweitens ist es ein Märchen, zu behaupten, wir könnten uns die gesetzliche Rente nicht leisten.

Deswegen frage ich Sie: Ziehen Sie Ihre Aussage, die Sozialausgaben seien explodiert, zurück?

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Geschätzter Herr Kollege, das ist interessant: Ich sage, dass die Sozialausgaben im Haushalt exponentiell gestiegen sind, und Sie nehmen die Sozialausgaben gemessen am BIP. Wir verhandeln doch heute hier über den Bundeshaushalt. Ich glaube, wir sind uns beide einig, dass das der Fall ist. Dann würde ich doch die Bundesregierung nach den Dingen fragen, die diesen Bundeshaushalt betreffen. Ich habe nicht von den Kommunen und den Ländern gesprochen.

Mir geht es um diesen Haushalt, den wir nachher beschließen. Der Minister lässt sich wahrscheinlich gerade noch einmal die Zahlen geben. Ich nenne Ihnen einfach einmal die Zahlen, die diesen Bundeshaushalt betreffen. Wir hatten im Jahr 2000 eine Sozialquote von 41,2 Prozent im Haushalt – unter Rot-Grün. Wir hatten im Jahr 2010, um den höchsten Stand zu nehmen, den wir hatten – unter Schwarz-Gelb – 53,8 Prozent, weil wir da in einer Krise waren

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die Krise: Schwarz-Gelb!)

und eine schwarz-gelbe Koalition in der Lage war, die Quote hochzufahren. Dies ist immer dann notwendig, wenn die Bedrohung für die Bürger, was Gefühl und Vertrauen angeht, am höchsten ist.

Dann ist die Quote 2013 auf 47 Prozent heruntergegangen. Seitdem steigt die Quote und wird jetzt – der Kollege Rehberg hat es in der Einführungsdebatte schon gesagt – auf 52 Prozent steigen.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen mehr Mathematik und Ökonomie würde helfen!)

Herr Kollege, das ist eine exponentielle Steigerung. Ich werde Ihnen das gerne, weil ich jetzt nicht überziehen will, an einer anderen Stelle noch einmal darstellen. Ich danke Ihnen aber sehr für die Frage, die zur Verdeutlichung beiträgt.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir merken also: Mit immer mehr Ausgaben schafft man nicht mehr Vertrauen. Dennoch sagt die Bundesregierung: Wir machen das. – Bei der Rente lag der Zuschuss aus Steuermitteln im Jahr 2014 bei 82 Milliarden Euro. Er ist jetzt bei 94 Milliarden Euro.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nur Zahlen! Sagen Sie doch mal was dazu!)

– Ich beziehe mich auf den Bundeshaushalt, Herr Kollege. Sie müssen sich daran gewöhnen. Sie sitzen hier im Bundestag, im Parlament eines föderalen Staates. Das ist die Aufgabe, an der wir uns hier zu orientieren haben. Den Rest können Sie sehr gerne auf den Marktplätzen machen.

(Beifall bei der FDP)

Der Kollege Peter Weiß würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Sehr gerne.

Herr Kollege Fricke, Haushälter müssen Zahlen vortragen. Das ist ja okay.

Rentenpolitiker auch.

Ja, das ist vollkommen richtig. – Weil Sie gerade den föderalen Staat erwähnt haben: Würden Sie mir wenigstens zustimmen, dass natürlich die Sozialausgaben im Bundeshaushalt auch deswegen steigen, weil wir eine ganze Reihe von Sozialleistungen, die früher nicht in Bundeszuständigkeit waren, übernommen haben, um damit Länder und Kommunen zu entlasten?

Ich erinnere an die Grundsicherung im Alter: mittlerweile zu 100 Prozent bundesfinanziert. Ich erinnere an den steigenden Prozentsatz bei Kosten der Unterkunft für Arbeitslosengeld-II-Bezieher: früher wesentlich weniger. Ich erinnere an die Reform der Eingliederungshilfe, also der Hilfe für Menschen mit Behinderungen, in deren Zusammenhang wir noch einmal eine deutliche finanzielle Entlastung für die Bundesländer vorgenommen haben.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht bei der Eingliederungshilfe!)

Daraus ergeben sich natürlich zusätzliche Sozialausgaben beim Bund, die bei den Ländern und Kommunen entfallen.

Wir hätten es auch umgekehrt machen können. Wir hätten zum Beispiel den ganzen kommunalen Wegebau oder den Landesstraßenbau in Bundeszuständigkeit übernehmen und die Soziallasten bei den Ländern erhalten können. Dann würden Sie jetzt eine andere Rede halten.

Deswegen meine Frage, ob wir uns nicht auf Folgendes einigen können: Wir haben die Bundesländer und die Kommunen bei den Sozialleistungen massiv entlastet, und deswegen schlägt sich das im Bundeshaushalt so nieder.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Weiß, ich könnte eine Kurzantwort geben: Ja.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das reicht!)

– Reicht Ihnen das?

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja! Das Ja reicht mir! Danke!)

– Das Ja reicht. Gut. – Leider haben Sie mir nicht zugehört: Es geht nämlich auch um den Rentenzuschuss, und an der Stelle haben wir nicht geholfen.

Jetzt will ich Ihnen einfach mathematisch klarmachen, was das für den Bundeshaushalt bedeutet. Gerade Sie als Sozialpolitiker, Herr Weiß, reden immer über diesen einen Haushalt. Wenn Sie aber den anderen Debatten einmal folgen würden, wo es stets um Mangel und darum geht, was fehlt, dann wüssten Sie, dass das daran liegt, dass wir in diesem Haushalt inzwischen stetig so viel Geld ausgeben. Also führen wir uns die Zahlen noch einmal kurz vor Augen, damit es für diejenigen, die uns draußen zuhören oder auf der Tribüne sitzen, ins Verhältnis gesetzt wird. Dann kann jeder entscheiden, was politisch richtig ist.

Das Volumen des gesamten Einzelplans 11 – Arbeit und Soziales – im Jahr 2018 beträgt 139 Milliarden Euro. Das ist sicherlich für einen Sozialstaat wichtiges und gutes Geld. Im Jahre 2022 – das wird der Finanzminister noch vortragen – beläuft sich die Summe auf 161,5 Milliarden Euro. Um es ins Verhältnis zu setzen: Der Gesamtanstieg des Bundeshaushalts bis 2022 beträgt insgesamt 30 Milliarden Euro.

(Kerstin Tack [SPD]: Sie müssen es politisch bewerten und nicht mathematisch! Das ist furchtbar!)

Zwei Drittel des Haushaltsaufwuchses, Herr Weiß, gehen allein auf das Konto des Bundesministers für Arbeit und Soziales.

(Kerstin Tack [SPD]: Toll!)

Um Ihnen das einmal bildlich darzulegen: Sie müssten sich nur vorstellen, dass die ersten zwei Reihen des Bundeskabinetts leer wären, während sich der Rest des Kabinetts quasi hinten auf der letzten Sprosse um ein Drittel der Mehreinnahmen kümmern kann.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie denn kürzen?)

Das ist genau der Punkt, auf den ich hinweise. Denn: Was fehlt? Es fehlt Geld für Investitionen. Es fehlt Geld für Bildung. Es fehlt Geld für den Rechtsstaat. Überlegen Sie einmal, was Sie mit 1 Milliarde Euro mehr tun könnten im Bereich von Forschung und Bildung! Stattdessen fahren Sie die Sozialausgaben hoch und glauben, dass Sie damit Vertrauen in den Rechtsstaat und den Sozialstaat schaffen.

(Beifall bei der FDP – Kerstin Tack [SPD]: Freuen Sie sich gar nicht?)

Ich merke an Ihrem Unverständnis, dass Sie glauben, dass Sie diesen Staat nach vorne bringen, indem Sie den Bereich Soziales stetig ausweiten. Wenn dann auch nur die kleinste Wirtschaftskrise kommt und wenn es dann auch nur einmal beim Wachstum nicht so gut läuft, dann passiert das, was Gerhard Schröder von dieser Stelle aus vertreten hat. Das gilt insbesondere für die Rente. Herr Weiß, Sie wissen das ganz genau. Ich erinnere an den Nachhaltigkeitsfaktor in der Rente. Man hatte damals eine Wahl gewonnen, indem man gesagt hat: Es gibt mehr. – Dann hat man mehr ausgegeben, um ein paar Jahre später festzustellen: Es geht nicht. – Was war dann die Lösung? Man macht eine Agenda 2010 mit der Folge, dass die SPD gerade noch drei Plätze in der ersten Reihe des Plenums hat. Liebe Union, nicht denselben Fehler machen! Denn beim nächsten Mal, wenn das Geld nicht mehr reicht, werden Sie diejenigen sein, die das Opfer einer solchen Reform sind. Das ist unverantwortlich für die Zukunft unseres Landes.

(Beifall bei der FDP – Kerstin Tack [SPD]: Wem wollen Sie jetzt Geld wegnehmen?)

Ich empfehle als Sommerlektüre eine sehr gute Studie, die das ifo-Institut erarbeitet hat. Wie Sie reagieren, zeigt mir: Sie glauben, dass Sie durch das, was Sie tun, das Land voranbringen. Sie meinen das sicherlich gut; das will ich fast niemandem absprechen. Wir wollen dafür sorgen, dass sich die Bürger in unserem Staat sicher, gut und wohl fühlen und ihm vertrauen. Aber Sie müssen irgendwann einmal anerkennen, dass Sie durch ständige Ausweitung der Leistungen nicht das erreichen, was Sie wollen, im Gegenteil.

(Kerstin Tack [SPD]: Welches Geld meinen Sie denn? – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das denn?)

Zum Schluss. Die ifo-Studie besagt ganz genau: Vertrauen in unseren Staat, liebe sozialdemokratischen Umverteiler, schaffen Sie nicht dadurch, dass Sie den Sozialstaat immer mehr ausbauen, sondern dadurch, dass Sie den Rechtsstaat, Forschung, Bildung und Ausbildung sichern. Sie dürfen sich nicht nur auf diesen Haushalt fokussieren, sondern müssen sich auf das konzentrieren, was den gesamten Staat ausmacht. Nur das ist ein zukünftiger Haushalt und kein Haushalt der Vergangenheit.

Danke.

(Beifall bei der FDP)

Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Susanne Ferschl.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7252145
Wahlperiode 19
Sitzung 46
Tagesordnungspunkt Arbeit und Soziales
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