05.07.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 46 / Tagesordnungspunkt I.17

Gero Clemens HockerFDP - Ernährung und Landwirtschaft

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Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verehrte Frau Ministerin, nachdem Sie mittlerweile ja seit fast vier Monaten im Amt sind, ist jetzt die Karenzzeit von 100 Tagen, die man jedem Regierungsmitglied und jeder neuen Regierung zugesteht, vorbei. Der Welpenschutz – sozusagen – ist vorüber. Deswegen will ich Ihnen ganz offen sagen, welchen Eindruck wir von den ersten Monaten gewonnen haben.

Unser Eindruck ist, dass Sie in den ersten Monaten auf der Suche nach einem Thema gewesen sind, das für Sie und Ihre Amtszeit identitätsstiftend sein kann, und bis das gefunden ist, lautet Ihre Strategie, möglichst wenig anzuecken und sich möglichst wenig den eher unangenehmen Themen zu widmen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Verehrte Frau Kollegin, das mag für eine Landespolitikerin funktionieren, für eine Bundesministerin grenzt diese Tatenlosigkeit allerdings an unterlassene Hilfeleistung angesichts der prekären Situation von Tausenden Höfen, die wir in Deutschland haben.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Frau Ministerin, Sie sollten die entschlossenste Fürsprecherin unserer landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland sein und nicht darauf warten, dass das Thema, das Ihnen vielleicht in den Kram passt, quasi vom Himmel fällt. Sie sollten täglich eine Lanze brechen für die Hunderttausende Betriebe in Deutschland, die im Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlicher Ächtung, zwischen immer höheren Auflagen und immer niedrigeren Verbraucherpreisen tagtäglich irgendwie ihre Existenz sichern müssen. Sie sollten, sehr verehrte Damen und Herren, Frau Ministerin, es nicht einfach achselzuckend hinnehmen, dass in einigen Regionen Kinder aus landwirtschaftlichen Familien weinend aus der Schule oder Kita nach Hause kommen, weil sie in der Schule gehänselt worden sind und ihre Eltern als Tierquäler oder Brunnenvergifter bezeichnet werden. Das ist tatsächlich Ausdruck des gesellschaftlichen Klimas unserer Landwirtschaft gegenüber im Jahr 2018, und das dürfen Sie nicht einfach akzeptieren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Ich gebe Ihnen drei Beispiele, wo Sie jetzt handeln müssen.

Erstens. In Deutschland dauert es im Schnitt 700 Tage, fast zwei Jahre, bis innovative Pflanzenschutzmittel endgültig eine Zulassung erhalten. Während dieser langen Frist haben wir die Situation, dass für die Ökologie kein Fortschritt erreicht werden kann, gleichzeitig die Landwirtschaft von relevanten, vielleicht sogar existenziellen technologischen Innovationen abgeschnitten ist. Statten Sie die Genehmigungsbehörden bitte so mit Finanzen und Personal, Human Resources, aus, dass sie in der Lage sind, solche Verfahren schneller abzuschließen!

(Beifall bei der FDP)

Zweitens. Sie wollen den sogenannten Ökolandbau mit 50 Prozent mehr Mitteln ausstatten im Vergleich zum Vorjahr, weil Sie glauben, dass es einen gesellschaftlichen Wunsch nach mehr Öko gibt. Der Wunsch, den Sie zu erkennen glauben, ist überhaupt nicht gedeckt durch das tatsächliche Konsumverhalten, das die Menschen an den Tag legen. Einer von zehn Konsumenten greift wirklich zum Biolabel, während neun von zehn zu konventionell erzeugten Lebensmitteln greifen. Sie sind nicht die Nanny der 80 Millionen Menschen da draußen, die Sie zu einem besseren oder anderen Ernährungsportfolio erziehen müssen. Die Menschen wissen sehr wohl selber, zu welchem Produkt sie greifen und wie sie sich ernähren möchten.

(Beifall bei der FDP)

Drittens: staatliches Tierwohllabel. Sehr geehrte Frau Ministerin, wenn Sie wirklich in der Breite ein Mehr an Tierwohl erreichen möchten, wobei wir Sie gern konstruktiv begleiten, dann tun Sie nicht gut daran, wenn Sie sozusagen die Daumenschrauben für Nutztierhalter in Deutschland zusätzlich anziehen und noch höhere Standards bei der Nutztierhaltung definieren. Die Standards sind in Deutschland so hoch wie wahrscheinlich in keinem anderen Land dieser Welt. Gleichzeitig sind auch die Kontrollinstanzen – auch wenn es immer noch etwas zu verbessern gibt – bei uns gut aufgestellt. Wenn Sie die Daumenschrauben weiter anziehen, führt das zu nichts anderem, als dass die Produktion ins Ausland geht, nach Osteuropa, vielleicht nach Polen, Tschechien, Ungarn oder noch weiter nach Osten, wo deutlich niedrigere Standards gelten, die auch weitaus laxer kontrolliert werden, als das bei uns der Fall ist. Deswegen sollte das Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ nicht Maxime Ihrer Politik sein.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Kees de Vries [CDU/CSU])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte Frau Ministerin, es reicht unserer Meinung nach für eine Bundeslandwirtschaftsministerin nicht aus – das meine ich voller Wertschätzung –, charmant aufzutreten, ohne Frage,

(Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oh!)

bei Bauerntagen die Sprechzettel vorzulesen, die von Mitarbeitern Ihres Hauses verfasst werden, und dabei immer eine gute Figur zu machen,

(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist ja unverschämt! – Rainer Spiering [SPD]: Me too!)

aber eben immer auch zu wissen, wo die Kamera steht und wie man die Inhalte, von denen Sie glauben, dass sie öffentlichkeitswirksam sind, vermarkten kann. Frau Ministerin, es ist Ihre Aufgabe, sich auch für die unangenehmen Themen der Landwirtschaft zu verwenden, auch wenn die auf den ersten Blick vielleicht nicht so leicht zu vermarkten sind. Sie sind Bundesministerin und nicht mehr Weinkönigin in Rheinland-Pfalz.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Unverschämtheit!)

Herr Kollege Hocker, ich danke Ihnen für den Beitrag. Ich erspare mir jede Bemerkung zu einer Ausführung.

(Rainer Spiering [SPD]: Das war Sexismus! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN)

– Also, die Tatsache, dass man sagt: „Die Ministerin tritt charmant auf“, empfinde ich momentan nicht als Angriff auf ihre Persönlichkeit.

(Widerspruch bei der SPD und der LINKEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist unglaublich!)

– Das ist unglaublich? Stellen Sie sich mal vor, er hätte gesagt: „Sie tritt uncharmant auf“, das wäre noch viel unglaublicher.

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das werden die alten Männer auch noch lernen!)

Jetzt hat als Nächstes das Wort Frau Kollegin Amira Mohamed Ali, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7252170
Wahlperiode 19
Sitzung 46
Tagesordnungspunkt Ernährung und Landwirtschaft
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