Sascha RaabeSPD - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Friedhoff, was Sie zum Schluss bezüglich der Selbstentwicklung und des neuen Programms, das Sie von der AfD vorschlagen, gesagt haben, erinnert mich ein bisschen an eine andere Partei, die immer das Motto hatte: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht. – Das ist in der Entwicklungspolitik aber das falsche Motto; denn hier gibt es Menschen, die leben in Hunger und Armut und denen müssen wir helfen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Alte Zöpfe!)
– Da brauchen Sie gar nicht so zynisch und höhnisch zu lachen.
(Karsten Hilse [AfD]: Das haben wir von Ihnen gelernt!)
Wir haben vorhin gehört: 821 Millionen Menschen hungern. Das ist der höchste Stand seit zehn Jahren. Das hat gestern, passend zu dieser Debatte, die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen dargelegt. Das ist ein ganz schlimmer Wert. Deswegen reden wir auch im Haushalt nicht nur über Zahlen, sondern konkret über Menschenleben. Lassen Sie uns daher endlich genug Geld zur Verfügung stellen, damit Menschen nicht mehr hungern müssen und Fluchtursachen bekämpft werden können. Darum bitte ich Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
In diesem Sinne muss man den Haushalt natürlich auch mit Blick auf das bewerten, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Der Koalitionsvertrag, Herr Minister, hat einen Vorlauf. Wir haben in den Sondierungsgesprächen zwischen CDU, CSU und SPD erneut – dass man so vorgeht, habe ich in meiner langen parlamentarischen Zeit nie verstanden; ich finde dies auch absurd – eine mittelfristige Finanzplanung aus einer vergangenen Legislaturperiode, die noch nicht einmal parlamentarisch beschlossen wurde, sondern hier nur von der Regierung 2017 erstellt wurde, als Grundlage genommen.
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]. Es wäre nicht nötig gewesen!)
Wir als SPD haben damals unsere Zustimmung daran geknüpft – und das ist mit einer Protokollnotiz belegt –, dass in den Haushaltsberatungen der neuen Legislatur die Mittel im Verhältnis 1 : 1,5 hätten steigen müssen, also ein Anteil von 1 für die Verteidigung muss dann einem Anteil von 1,5 für die Entwicklungszusammenarbeit entsprechen. Dieser Grundsatz ist in den Sondierungen aufgegeben worden. Daraus ergab sich das Grundproblem, dass wir im Prinzip eine Finanzplanung hatten, in der bereits der Verteidigungshaushalt stark steigt und unser Haushalt auf dem gleichen Niveau bleibt, also bis 2021 immer bei 8,7 Milliarden Euro.
Dann haben wir alle zusammen im Koalitionsvertrag – wir Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker, der Minister, bei uns auch Sigmar Gabriel als Verhandlungsführer – eine dreifache Sicherung für den Fall eingebaut, dass wir zusätzliche Haushaltsspielräume bekommen, also Steuermehreinnahmen nach Abschluss des Finanztableaus in den Koalitionsverhandlungen. Schon in der vergangenen Legislatur gab es Steuermehreinnahmen. Deshalb war ich verhalten optimistisch, dass wir nachträglich noch mehr Mittel bekommen.
Was bedeutet die dreifache Sicherung? Sie steht im Koalitionsvertrag. Da brauche ich gar nicht nachzusehen, ich kenne sie auswendig. Die erste Sicherung besagt: Wenn zusätzliche finanzielle Spielräume da sind, sollen sie prioritär, also vorrangig, für Verteidigung und Entwicklung genutzt werden. Die zweite Sicherung sagt, dass die ODA-Quote nicht absinken darf. Sie soll steigen. Die dritte Sicherung ist: Wenn es Steigerungen im Verteidigungshaushalt gibt, müssen sie eins zu eins mit den Mitteln für Entwicklung und für die Erfüllung der ODA-Quote gekoppelt werden.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
– Da kann man ruhig einmal klatschen.
Damals haben uns einige NGOs gesagt: Oijoijoi! Warum koppelt ihr das daran? – Ich als Entwicklungspolitiker sage, dass ich das nicht gebraucht hätte. Ich hätte es lieber gehabt, dass das Geld auch so bereitgestellt wird. Aber ich habe dieses Vorgehen immer verteidigt, weil ich hier in fast 20 Jahren gemerkt habe: Am Ende ist für Verteidigung immer Geld da. Deswegen habe ich auch dieser Eins-zu-eins-Kopplung zugestimmt. Die Entwicklung jetzt gibt mir recht. Auf einmal werden die Mittel für den Verteidigungshaushalt über das hinaus, was im Koalitionsvertrag ursprünglich vereinbart war, noch einmal kräftig erhöht. Ich sage aber auch: Dann werde ich nicht um mehr Mittel bitten und betteln – liebe Christine, sage das auch deinem Finanzminister –
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
und nicht wieder anfangen, noch einmal einzufordern, dass keine Kürzungen vorgenommen werden, sondern Steigerungen. Denn: Eins zu eins heißt auch eins zu eins.
Der jetzige Haushaltsentwurf für 2019 mit der Finanzplanung bis 2020 und 2021 ist ein dreifacher Bruch des Koalitionsvertrages, weil wir die finanziellen Spielräume nicht prioritär für Entwicklung nutzen; denn wir bekämen demnach äußerst wenig. Da wird sogar von 2019 auf 2021 gekürzt, während der Verteidigungsetat auf 44 Milliarden Euro steigt.
In Zahlen hieße es, wenn man es fair auf der 51. Finanzplanung aufbaute, dass es 6,2 Milliarden Euro mehr für Verteidigung und nur 1,8 Milliarden Euro mehr für Entwicklung gibt. Wenn ich die Mittel vom Auswärtigen Amt dazurechne, komme ich auf maximal 2,9 Milliarden Euro für Entwicklung. Mit anderen Worten: 6,2 Milliarden Euro mehr für Verteidigung, 2,9 Milliarden Euro mehr für Entwicklung. Das ist ein Verhältnis von mehr als 2 : 1 und nicht von 1 : 1. Deswegen sage ich: Es wäre ein dreifacher Bruch. Erstens. Es ist nicht prioritär. Zweitens. Die ODA-Quote wird im Haushalt 2019 absinken; der Minister hat es geschildert. Danach wird sie noch drastischer absinken. Drittens. Das Ganze erfolgt nicht 1 : 1.
Insofern bin ich kampfbereit bis zum Gehtnichtmehr. Ich sage hier: Ich erwarte von der SPD-Fraktion – ich glaube das auch –, dass wir das verändern werden. Wir sind das übrigens auch unseren Parteimitgliedern schuldig; denn wir haben ein Mitgliedervotum über diesen Koalitionsvertrag durchgeführt. Das war anders als bei der Union. Sie muss sich vielleicht nur mit der Kanzlerin oder dem Minister streiten. Unsere 463 000 Mitglieder haben über den Koalitionsvertrag abgestimmt, in dem auch diese dreifache Sicherung beschrieben wird.
Herr Dr. Raabe, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Christoph Hoffmann?
Ja, gern.
Gut. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Raabe, ich habe eine ganz kurze Frage: Fühlen Sie sich von der Regierungsspitze hinters Licht geführt, nachdem alles, was Sie hier aufgezählt haben, darauf hindeutet?
Lieber Herr Kollege, ich sehe mich als Parlamentarier. Die Regierung bringt einen Gesetzentwurf ein, und wir sind nicht in der zweiten Beratung, sondern in der ersten. Ich mache deutlich, dass ich diesen Entwurf in der Tat für unzureichend halte, dass ich ihn auch nicht für mit dem Koalitionsvertrag vereinbar halte. Aber es geht ja nicht um die Verabschiedung des Haushalts, Herr Kollege. Deswegen – das ist der ganze Sinn der sechs Minuten Redezeit, die ich hier habe; ich freue mich, wenn Sie von der Opposition das mit unterstützen – sollten wir alle gemeinsam hier parteiübergreifend dafür sorgen, dass der Koalitionsvertrag an dieser Stelle eingehalten wird. So können Hunger und Armut endlich beseitigt werden. Das sind wir den Menschen in Afrika und auf der ganzen Welt schuldig.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Ich möchte meinen Gedanken zu unserem Mitgliedervotum noch zu Ende führen; ich bin an dieser Stelle nämlich unterbrochen worden.
Ja, aber kurz.
Ja, kurz. – Ich bin der Auffassung, dass wir es den 463 000 SPD-Mitgliedern, die über diesen Koalitionsvertrag abgestimmt haben, schuldig sind, ihn einzuhalten. Das Wichtigste aber ist, dass wir unsere Verpflichtungen den ärmsten Menschen gegenüber einhalten. Seit 1970 gibt es das Versprechen, dass die reichen Länder 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe bereitstellen. Jetzt, wo wir Steuermehreinnahmen haben, ist die Zeit dafür, das Versprechen endlich einzulösen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Dann muss es endlich auch passieren. Deswegen lassen Sie uns bis Ende November dieses Ding hier erkämpfen und rocken, damit wir das auch hinbekommen.
Danke.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Dr. Sascha Raabe. – Nächster Redner: Dr. Georg Kippels für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7271078 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 48 |
Tagesordnungspunkt | Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung |