14.09.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 50 / Tagesordnungspunkt 1 Epl 11

Johannes VogelFDP - Arbeit und Soziales

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat kann man nicht in der ersten Debatte zu Arbeit und Soziales nach der Sommerpause und erst recht nicht in einer Haushaltsdebatte sprechen, ohne auf das Schauspiel einzugehen, das Union und SPD in diesem Sommer in der Rentenpolitik veranstaltet haben.

(Katja Mast [SPD]: Welches Schauspiel? Das war kein Schauspiel!)

Das Rentenpaket der Großen Koalition ist noch nicht einmal durch den Bundestag, da will ausgerechnet der Bundesfinanzminister die milliardenschweren Mehrausgaben der Großen Koalition, die Gießkannenpolitik, die Sie in der Rente machen, auch noch dauerhaft festschreiben, ohne zu sagen, wie er das finanzieren will. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das zeigt, dass Ihre Politik Ansprüche schafft, die dauerhaft unfinanzierbar sind. Unfinanzierbar ist in der Rentenpolitik aber unverantwortlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr Kollege, das ist komplett falsch!)

Die SPD will damit übrigens eine Rentenformel dauerhaft zulasten der Jungen manipulieren, die sie selber einmal eingeführt hat.

(Katja Mast [SPD]: Das stimmt überhaupt nicht!)

Gerade der Bundesfinanzminister weiß – oder er müsste zumindest wissen –, über welches Volumen wir hier reden. Allein im Jahr 2035 – da sind wir noch nicht einmal bei 2040 – reden wir über 80 Milliarden Euro zusätzlich Jahr für Jahr.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie hoch ist dann das Bruttoinlandsprodukt?)

Wie soll das finanziert werden? Soll der Rentenbeitragssatz zulasten der Jüngeren explodieren, was gerade Geringverdiener überfordern würde? Setzen Sie auf wundersame Brotvermehrung im Steuertopf? Wollen Sie die Steuern erhöhen? Um das Volumen einmal klarzumachen: Das wäre eine Mehrwertsteuersatzerhöhung in Höhe von 6 Prozentpunkten oder das vierfache Volumen des heutigen Solis. Diese Fragen müssen Sie beantworten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition.

(Andrea Nahles [SPD]: Das tun wir auch, keine Sorge!)

Das tun Sie aber nicht,

(Andrea Nahles [SPD]: Doch, gerne!)

und das ist erschreckend; denn „Wünsch dir was“ ist kein Politikkonzept, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP – Andrea Nahles [SPD]: Was ist denn Ihr Konzept? Was wollen Sie denn? Sagen Sie lieber, was Sie wollen!)

Kommen Sie mir nicht mit der Begründung, die der Bundesfinanzminister in den letzten Wochen in einem Zeitungsinterview gegeben hat. Da hat er nämlich gesagt: Ja, der Bundeshaushalt steigt im Schnitt um etwa 3 Prozent Jahr für Jahr, und damit könnte man die Mehrausgaben finanzieren. – Er hat vergessen, zu erwähnen, dass auch in den letzten Jahren der Rentenzuschuss ohnehin jedes Jahr um 3 Prozent gestiegen ist, weil die Löhne steigen und wegen Ihrer allgemeinen Rentenpolitik. Dasselbe Geld zweimal ausgeben, geht nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Für neue Rentenausgaben können Sie das nicht verwenden. Vom Bundesfinanzminister erwarte ich mehr, nämlich ein Konzept und keine Milchmädchenrechnung.

(Beifall bei der FDP)

Nicht besser als die SPD – das muss ich allerdings auch sagen – ist die Union.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das sehe ich aber anders!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben über den Sommer ein bisschen auf mich gewirkt wie der Zauberlehrling: die Geister, die ich rief. Wir haben immer gefragt: Wie sollen die Ansprüche, die Sie in Ihrem Rentenpaket jetzt postulieren, dauerhaft finanziert werden? Sie haben gesagt: Ja, bis 2025 ist das kein Problem. – Die Debatte über den Sommer zeigt, dass man so schnell nicht von Ansprüchen runterkommt, die man einmal in die Welt gesetzt hat.

Liebe Kollegen, was macht in der Lage ausgerechnet die CSU? Die nutzt den Sommer auch, um schon wieder neue versicherungsfremde Leistungen zu fordern. Da fragt man sich doch: Was für ein Gedanke steht eigentlich hinter Ihrer Sozialpolitik?

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Gerechtigkeit!)

Wissen Sie: Was mich am meisten stört, ist, dass all diese Vorschläge, die im Wochentakt von Ihnen kommen, nicht zielgerichtet gegen Altersarmut helfen, sondern Sie vielmehr das Geld mit der Gießkanne auskippen.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen in der Rentenpolitik endlich wieder in Jahrzehnten denken und nicht in Legislaturperioden.

Wirklich erschreckend ist – das ist mir wichtig, weil ich finde, dass das die Ebene ist, über die wir hier in der Debatte sprechen müssen – die Begründung des ganzen Vorschlags, das – so haben wir gelesen – verhindere einen deutschen Trump. Ähnliches haben wir übrigens auch schon vom Bundesinnesminister, von Horst Seehofer, in den letzten Monaten gehört. Ich finde es wirklich besorgniserregend, wenn das der Stand der Analyse der Bundesregierung in der Frage ist, wie man auf die Herausforderungen durch Populisten reagiert, und es ist auf mehreren Ebenen abwegig.

Erstens. Wir haben ja schon in der letzten Legislaturperiode eine beispiellose Leistungsausweitung in der Sozialpolitik erlebt – so stark wie in den letzten Jahrzehnten nicht –, und nach dieser Legislaturperiode sitzt eine neue rechtspopulistische Kraft hier im Parlament. Also offenbar funktioniert das Konzept nicht.

Zweitens. Wir müssen doch einmal gemeinsam überlegen: Was macht Populisten stark? Ich glaube, es sind in erster Linie Ängste, weil sie die Ängste dann in Richtung Minderheiten lenken oder an beiden Rändern des politischen Spektrums einfache Antworten für komplexe Probleme versprochen werden können.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Stop! Bei uns gibt es komplexe Antworten auf komplexe Probleme!)

Ängste schüren aber auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition. Lieber Hubertus Heil, ich habe eben auch von dir wieder gehört, die Rente würde schrumpfen. Wir können ja auch einmal eine Umfrage machen, wie viele Menschen glauben, dass ihre ganz konkrete individuelle Rente schrumpft, wenn Sie von sinkendem Rentenniveau reden.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Vergleichen Sie einmal die Zugangsrenten! Dann werden Sie sehen, wie die Rente sinkt!)

Die Wahrheit ist aber: Die Renten steigen auch künftig – nur etwas weniger stark als die Löhne. Einen anderen Eindruck zu kreieren, halte ich, gerade angesichts der Herausforderungen durch Populisten, für fatal.

(Beifall bei der FDP – Andrea Nahles [SPD]: Es hat nie jemand etwas anderes behauptet!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer glaubt, dass er bei Herausforderungen durch Populisten einfach nur das Portemonnaie zücken muss, der wird scheitern. Ein Scheitern können wir uns hier aber nicht erlauben.

(Beifall bei der FDP)

Ich will zum Abschluss noch auf einen Punkt eingehen, den ich eben vom Kollegen Peter Weiß gehört habe. Lieber Peter Weiß, ich finde schon bemerkenswert, dass die Große Koalition sich hierhinstellt und sagt: Wir sind stolz darauf, dass wir die Menschen durch die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags um 0,5 Prozentpunkte entlastet haben. – Das ist – zurückhaltend formuliert – irreführend.

(Otto Fricke [FDP]: Genau!)

Sie beschließen zum einen eine Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags um 0,5 Prozentpunkte. Auf der anderen Seite kündigen Sie an, dass Sie genau im selben Zeitraum den Pflegeversicherungsbeitrag um 0,5 Prozentpunkte heben werden.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wir wollen doch eine bessere Pflege!)

Gleichzeitig sorgt Ihre Rentenpolitik dafür, dass der Rentenbeitrag schneller und stärker steigen wird als ursprünglich geplant.

(Katja Mast [SPD]: Was will denn die FDP?)

Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sind vielleicht mit dem Ziel einer Entlastung der Bürgerinnen und Bürger gestartet, sind aber bei einer perspektivischen Mehrbelastung der Bürgerinnen und Bürger angekommen. Da sollten Sie auch keinen anderen Eindruck erwecken. Das ist unehrlich.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie wollen doch nur die Beiträge der Arbeitgeber niedrig halten!)

Herr Kollege Vogel, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ich hatte mit dem Kollegen Fricke vereinbart, dass die Zeit bei ihm entsprechend abgezogen wird.

Der Arme.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben Sie der Sozialpolitik eine ganz andere Richtung! Helfen Sie durch Maßnahmen in der Rentenversicherung zielgerichtet gegen Altersarmut! Modernisieren Sie die Rente, zum Beispiel durch flexiblen Renteneintritt, und machen Sie die kapitalgedeckte Vorsorge, die wir in einer alternden Gesellschaft brauchen, endlich besser!

(Pascal Meiser [DIE LINKE]: Weil die ja funktioniert! – Andrea Nahles [SPD]: Das funktioniert ja hervorragend!)

Das wäre moderne Rentenpolitik.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7271878
Wahlperiode 19
Sitzung 50
Tagesordnungspunkt Arbeit und Soziales
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