27.09.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 52 / Tagesordnungspunkt 3

Thomas KemmerichFDP - Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2018

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Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Liebe Zuhörer und Zuschauer!

Wir werden die Probleme anpacken, welche die Menschen in ihrem Alltag bewegen, und setzen uns mutige Ziele für die nächsten vier Jahre. Wir arbeiten für Stabilität und Zusammenhalt, für Erneuerung und Sicherheit und für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in unserem Land. Die besonderen Herausforderungen in Ostdeutschland erkennen wir als gesamtdeutschen Auftrag an.

Ein Absatz aus dem Koalitionsvertrag. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Herr Staatssekretär Hirte, sagte gestern, man müsse aufpassen, nicht ganze Regionen im Osten zu stigmatisieren oder in Misskredit zu bringen. Sie können selber beurteilen, wie zurzeit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Es wird Zeit, zu den politischen Prioritäten zurückzukehren und der Bevölkerung zu zeigen, dass wir ihre Sorgen und Nöte wirklich ernst nehmen, natürlich auch in Bezug auf die Verwirklichung der deutschen Einheit.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier auch die wirtschaftlichen Aspekte reflektieren. Leider haben sich meine Vorredner überwiegend damit zufriedengegeben, die Situation zu beschreiben. Es kamen wenig Konkretes, wenige Handlungsaufforderungen, erst recht keine Programme, die wirklich umgesetzt werden könnten und die den Aufholprozess zu anderen Regionen weiter vorantreiben würden. Der Bericht der Bundesregierung zeigt wieder einmal, dass der Aufholprozess stagniert. Die Wirtschaftskraft in den neuen Ländern bleibt schwächer, wobei man hier sehr differenziert zwischen den Regionen unterscheiden muss. Regionale Unterschiede bleiben. Auch das haben meine Vorredner gesagt. Aber mit einem Irrglauben, meine Damen und Herren, sollten wir hier einmal aufräumen, und zwar mit der sogenannten Arbeitslosenquote als Indikator. Sie kann nicht länger zum Gradmesser von wirtschaftlichem Erfolg gemacht werden. Herr Minister Altmaier sagte kurz nach seinem Amtsantritt, er strebe Vollbeschäftigung im Land an. Wir haben Vollbeschäftigung, wenn ich das als Volkswirtschaft insgesamt sehe. Das Fachkräfteproblem ist das Kernproblem dieser Zeit, umso mehr noch in den Regionen in Ostdeutschland. Hier haben wir insbesondere deshalb ein Strukturproblem, weil aufgrund der Abwanderung von jungen Frauen in den 90er-Jahren heute eine große demografische Lücke klafft, die wir kaum schließen können. Deshalb ist es umso wichtiger, hier Prozesse zu akzeptieren und auch zu moderieren, die unausweichlich sind. Ich nenne einmal zwei Beispiele.

Anhand der Beispiele von Siemens und Opel kann man sehen, welche Anpassungsprozesse wir haben. Opel Eisenach ist seit Jahren tatsächlich nur die Werkbank eines französischen Konzerns. Und was machen aktive Wirtschaftsminister? Sie kommen hin und versprechen Milderung und Salbung mit Steuermillionen. Das Gegenteil müsste passieren: Wir müssen Lust auf Veränderung wecken. Wir müssen die Qualität der Veränderung begreifen und sagen: Beharrt nicht auf dem, was ihr habt, sondern habt Lust darauf, dass die Prozesse auf euch zukommen. Gestaltet den Wandel, und wartet nicht ab, bis der Wandel euch gestaltet.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb sollten wir die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen und die notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen ergreifen, damit den Leuten nicht vorgegaukelt wird: „Es bleibt ewig so, wie es ist“, sondern ihnen gesagt wird: „Es wird sich ändern, und ihr seid Teil der Veränderung, ihr könnt Anteil daran nehmen“. Nur dann werden wir viele Probleme lösen, über die wir heute reden, zum Beispiel indem wir aus heute einfacheren Arbeiten höher qualifizierte Arbeiten machen, die natürlich besser entlohnt werden können.

Wir werden alleine in Thüringen in den nächsten Jahren 300 000 Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt verlieren. Das ist überproportional viel im Vergleich zu den Verlusten, die wir in Westdeutschland erwarten können. Hier besteht also großer Handlungsbedarf. Deshalb: Lassen Sie uns nicht mehr feiern, dass die Arbeitslosenquote so niedrig ist. Mein Kollege hat es gesagt: Auch in Süd­thüringen haben wir keine nennenswerte Zahl an Arbeitskräften mehr zur Verfügung.

Wir haben Leuchttürme in Ostdeutschland wie Jena, Dresden, Leipzig. Wir haben viele Hidden Champions. Hier sollten wir uns eher die Frage stellen: Wie können wir diese Erfolgsmodelle adaptieren, duplizieren und zum Vorbild machen? Die ländlichen Räume in Ostdeutschland sind vor allen Dingen durch eins geprägt: durch einen starken Mittelstand, durch kleine und mittelständische Unternehmen. Deshalb, meine Damen und Herren: Lassen Sie uns unsere Kraft darauf verwenden, diese zu stärken.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das geht aber kaum mit der FDP!)

Wir müssen den Menschen Lösungen anbieten und nicht steuerfinanzierte kurzfristige Beruhigungspillen. Wir brauchen ganz konkrete Maßnahmen.

In einem Antrag, den wir dem Hause vorstellen werden, sagen wir: Wie können wir die handwerkliche Ausbildung stärken? Wir brauchen mehr Meister statt Master. Wir brauchen ein Anreizsystem, damit wir mehr Lehrlinge bekommen und nicht Studenten, die in einer hohen Zahl ihr Studium abbrechen und vielleicht auf ihrem Lebensweg scheitern. Wir brauchen einen „War for Talents“, gewinnbringende, vielversprechende Konzepte, wie wir Talente nach Deutschland, insbesondere aber auch zu uns nach Ostdeutschland locken. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, was wir seit Jahren propagieren, was abgelehnt wird von diesem Haus, um nach Deutschland einzuladen, um Menschen die Möglichkeit zu geben, hier am Arbeitsmarkt teilzuhaben. Andere Regionen und Länder machen uns das vor. 63 Prozent der ostdeutschen Firmen sagen: Unser größtes Problem ist Fachkräftemangel. – Nehmen Sie das endlich ernst.

(Beifall bei der FDP)

Private Innovationen in Ostdeutschland müssen wir fördern. Nur 2 von 26 geförderten Universitäten liegen in Ostdeutschland. Ich halte es für sehr begrüßenswert, dass wir Bundesbehörden in Ostdeutschland ansiedeln wollen. Aber das wird das Problem letztlich nicht lösen, weil die Wirtschaft andere Impulse braucht. Wir haben leider an den Universitäten, nicht wie in Stuttgart, nicht wie in München, keine große Zahl von Drittsponsoren, die uns in dieser Form unterstützen können. Auch hier brauchen wir steuerliche Anreizsysteme.

Ich komme zu der Idee „Sonderwirtschaftszone“. Das begrüßen wir ausdrücklich.

Herr Kollege, Sie sollten vor allen Dingen zum Schluss kommen.

Wir schlagen das seit fast 30 Jahren vor. Es wird höchste Zeit, sich vielleicht einmal das Beispiel von Estland vorzunehmen. Ganz Ostdeutschland könnte wie Estland sein: klein, fein und digital.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Claudia Müller, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7276088
Wahlperiode 19
Sitzung 52
Tagesordnungspunkt Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2018
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