Alexander Graf LambsdorffFDP - Türkei
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Nach Auffassung meiner Fraktion ist die Türkei eine stolze Nation mit einer großen Geschichte, die es verdient hat, mit Respekt behandelt zu werden. Deswegen sind wir sehr dafür, dass der Dialog geführt wird, sehr dafür, dass wir das Gespräch suchen. Aber gibt es nicht andere Gelegenheiten als einen Staatsbesuch? Hatten wir nicht gerade einen NATO-Gipfel? Läuft nicht gerade in New York die Generalversammlung der Vereinten Nationen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs? Gibt es nicht Möglichkeiten, mit Präsident Erdogan in einen produktiven Dialog einzutreten über Dinge, die man konkret hier oder da verbessern kann? Nein, es muss ein Staatsbesuch sein, ein Staatsbesuch mit rotem Teppich, militärischen Ehren, Kronleuchtern und dem besten Silber der Republik im Palais Bellevue.
Meine Damen und Herren, in der Türkei gibt es ein ausgeprägtes Gespür für Gastfreundschaft und die Bedeutung von Protokoll. Ganz klar werden diese Bilder das Signal senden: Es ist der Segen dieser Bundesregierung für die Politik von Präsident Erdogan in der Folge des Verfassungsreferendums, mit der er die Türkei zu einem autoritären Regime umwandelt. Das ist falsch.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN)
Was sind denn die Maßnahmen, die jetzt im Rahmen seiner Politik umgesetzt werden? Gesetze kann er per Dekret erlassen, Beamte kann er ohne Anhörung entlassen, Ausreisesperren willkürlich verhängen, Menschen in langen Polizeigewahrsam nehmen, alle Regelungen aus der Notstandsgesetzgebung sind jetzt reguläre Gesetzgebung geworden. Meine Damen und Herren, so etwas muss man doch hier im Hohen Hause debattieren!
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Machen wir ja gerade!)
Da wundere ich mich schon sehr, wenn die SPD sagt, so eine Debatte nütze ja gar nichts. Das wird der großen Tradition der Sozialdemokratie als Menschenrechtspartei nicht gerecht. Natürlich nützt eine solche Debatte! Die Menschen dort, die drangsaliert werden, die inhaftiert werden, die ins Exil gejagt werden, die müssen wissen, dass sie nicht vergessen sind, die müssen wissen, dass dieser Deutsche Bundestag an sie denkt – ihre Namen sind hier zum Teil genannt worden –: Can Dündar, der hier bei uns im Exil ist, Yavuz Baydar, Demirtas. Für sie und all die anderen, auch die weniger prominenten, gilt: Free them all! Sie müssen alle freigelassen werden. Es kann nicht sein, dass in einem Land, das NATO-Partner, das EU-Beitrittskandidat ist, politische Gefangene gemacht werden, Journalisten wegen journalistischer Tätigkeit inhaftiert werden. Wir rufen Präsident Erdogan zu: Lassen Sie diese Menschen frei! Lassen Sie freie Debatte in der Türkei endlich wieder zu!
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das gilt übrigens auch für deutsche Staatsbürger. 35 deutsche Staatsangehörige sind zurzeit mit einer Ausreisesperre belegt. Ich hätte nichts dagegen, wenn Präsident Erdogan diese heute in sein Flugzeug setzen und mitbringen würde. Das wäre ein Gastgeschenk, nicht das Freischalten einer Spionage-App gegen türkische Migrantinnen und Migranten, türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger hier bei uns.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Lassen Sie mich einen letzten Punkt sagen. Cem Özdemir hat hier gesagt, man solle die EU-Verhandlungen nicht abbrechen. Die Grünen sind in dieser Hinsicht total konsequent. Das respektiere ich. Wir haben einfach unterschiedliche Auffassungen. Was ich überhaupt nicht verstehen kann, ist die Haltung der CDU, die in all ihren Programmen beschlossen hat, sie sei gegen eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Union, aber nicht den Mut hat, zu sagen, dann müssten wir den vergifteten, im Grunde völlig überholten Verhandlungsprozess endlich beenden, uns ehrlich machen und die Beziehungen zur Türkei, zu diesem großen und stolzen Land, auf die Grundlage eines neuen Vertrages stellen, in dem wir die Zusammenarbeit auf den Gebieten Wirtschaft, Kultur, Umwelt usw. regeln. Machen Sie sich endlich ehrlich, meine Damen und Herren von der CDU!
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bis auf Ihren letzten Satz war das gar nicht so schlecht!)
Vielen Dank, Herr Graf Lambsdorff. – Nächster Redner in der Debatte: Dr. Nils Schmid für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7276108 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 52 |
Tagesordnungspunkt | Türkei |