27.09.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 52 / Zusatzpunkt 5

Wolfgang KubickiFDP - Aktuelle Stunde zum Agieren der Bundesregierung in Sachen Chemnitz und in der Causa Maaßen

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Bilder in der Geschichte, die mehr ausgesagt haben, als Worte es je fassen können. Dazu gehören beispielsweise das junge, von Napalm zerfetzte Mädchen in Vietnam oder die Mutter, die am Zaun der Prager Botschaft steht und sich von ihrer Tochter verabschiedet, weil sie nicht über den Zaun kommen kann. Das waren Aufforderungen an die Politik: So etwas darf sich nicht wiederholen; das wollen wir nicht wieder sehen. Und es gab ein Bild in Chemnitz, wo grölende Neonazis mit Hitlergruß und nationalsozialistischen Parolen durch die Gegend gelaufen sind; ich will über die Anzahl gar nicht diskutieren. Ob das nun Hunderte oder Tausende waren:

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Ob das Provokateure waren?)

Sie mahnen uns, dass wir solche Bilder nicht wieder sehen wollen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, Herr Gauland, dass die AfD eine besondere Verantwortung hat, und zwar deshalb, weil die AfD den Resonanzboden dafür abgegeben hat, dass diese Leute glaubten, sich öffentlich so präsentieren zu dürfen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Völliger Unsinn!)

Sie haben zu einem Trauermarsch aufgerufen. In Wahrheit ging es Ihnen gar nicht um das Opfer.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wissen Sie doch nicht!)

Es ging Ihnen nicht um das Opfer. Es ging Ihnen darum, dass Täter ausländischer Herkunft dieses Opfer produziert haben. Es ging Ihnen um die Täter und nicht um das Opfer. Der Inhalt der Botschaft, die Sie senden wollten, war: Ein Deutscher ist von Ausländern getötet worden.

(Jürgen Braun [AfD]: Der ist schon lange abgeschoben, der Täter!)

Ich erinnere daran, Herr Gauland – viele in Ihrer Partei haben keine Geschichtskenntnisse; Sie haben sie; ich weiß das, wir haben darüber miteinander diskutiert –, dass am 9. November 1938 die Nazis die Reichspogromnacht damit begründet hatten, dass ein Deutscher in Paris von einem Ausländer, von einem Juden, erschossen worden sei. Deshalb ist mein Appell an Sie: Beachten Sie die Geschichte, und passen Sie auf, was Sie tun;

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Völlig entgleister Vergleich! – Jürgen Braun [AfD]: Sie betreiben Geschichtsklitterung!)

denn Sie untergraben mit dem, was Sie momentan tun, wesentliche Grundlagen unseres Gemeinwesens.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit sage ich nicht, dass Sie an den Ausschreitungen schuld sind. Damit sage ich nur, dass Sie eine besondere Verantwortung haben, der Sie sich gerecht erweisen müssen, wenn Sie weiter im politischen Diskurs mit uns bleiben wollen.

(Jürgen Braun [AfD]: Unglaublich ist das! Sie missbrauchen die Nazizeit, Herr Kubicki! Sie missbrauchen die Nazizeit für plumpe Vergleiche! Das ist ein Missbrauch der deutschen Geschichte!)

– Es ist kein Vergleich mit der Nazizeit, Herr Braun. Wenn Sie das nicht begreifen, tut es mir leid. Es ist der Hinweis auf Ihre besondere Verantwortung, der Sie bisher nicht gerecht geworden sind.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als sei das nicht genug, dass wir uns insgesamt mit der Frage beschäftigen, wie wir diesen rechtsradikalen Pöbel wieder zurückdrängen können,

(Jürgen Braun [AfD]: Erschreckende Show von Ihnen! Das ist eine peinliche Show, die Sie hier abliefern!)

leisten wir uns eine Debatte über die Frage, was denn eine Hetzjagd ist. Es ist doch völlig egal, ob jemand 3, 15 oder 20 Meter laufen muss, ob es einer ist oder ob es mehrere sind.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Braun [AfD]: Eine peinliche Show, die Sie hier abliefern!)

Es gibt Bilder, die wir nicht sehen wollen.

Bevor meine sozialdemokratischen Freunde zu euphorisch klatschen: Ich habe einige der anschließenden Verhaltensweisen bis heute nicht verstanden. Ich verstehe, dass die auseinanderfallende Sozialdemokratie als Klammer den Kampf gegen rechts braucht. Das verstehe ich gut. Aber dass man deshalb besonders schrill sein muss, verstehe ich nicht. Man kann über Herrn Maaßen diskutieren, wie man will. Er hat viele Anlässe geboten, ihn zu entlassen.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ja, das ist wahr!)

Das Gute ist, dass man gar keine Begründung braucht für die Entlassung eines politischen Beamten. Das geht einfach so. Man kann ihn in den einstweiligen Ruhestand versetzen. Das muss der Dienstherr entscheiden.

Aber dass die Causa Maaßen so aufpoppen konnte, wie sie aufgepoppt ist, zeigt mir, dass der politischen Spitze der SPD der Instinkt verloren gegangen ist, was sie ja selbst eingestanden hat.

(Beifall bei der FDP – Uli Grötsch [SPD]: Das war ja nicht unser Verschulden! Das war doch der Innenminister!)

– Moment. – Drei Parteivorsitzende treffen sich – man muss sagen: die Dilettantengruppe war unter sich –, um die Causa Maaßen zu erörtern. Andrea Nahles fordert die Entlassung von Herrn Maaßen, und alle drei einigen sich darauf, dass er nicht nur entlassen, sondern auch noch befördert wird zum Staatssekretär im Innenministerium. Ohne Zustimmung von Andrea Nahles an diesem Dienstag hätte es gar nicht zu einer solchen Lösung kommen können. Wer anderes erzählt, verdummt die Bevölkerung.

Jetzt geht es weiter: Nun merken alle drei, dass die Bevölkerung – nicht nur die SPD-Mitglieder, sondern auch die Bevölkerung – auf der Zinne ist, weil sie es nicht mehr verstehen kann, einen Mann, von dem man sagt, man habe kein Vertrauen zu ihm, anschließend noch zu befördern. Die Einkehr ist dann: Man trifft sich erneut. Dazu will ich sagen: Horst Seehofer hat schon am vergangenen Freitag, also vor dem Sonntag, erklärt, dass es einen dritten Vorschlag gegeben habe, nämlich den, Herrn Maaßen als Sonderbeauftragten ins Innenministerium zu holen, und dass das von Andrea Nahles abgelehnt worden sei, nachzulesen in der „Bild“-Zeitung vom Samstag, den 22. September.

(Burkhard Lischka [SPD]: Das muss aber nicht stimmen!)

– Es geht ja weiter. Mensch, ich bin ja so froh, dass ihr euch mal einmischt.

Dann treffen sich die drei und kommen jetzt zu der Lösung, die Horst Seehofer bereits in der „Bild“-Zeitung veröffentlicht hat. Der sagt am selben Tag: Ich verstehe die ganze Aufregung gar nicht. Das habe ich doch schon einmal vorgeschlagen, und Nahles ist dagegen gewesen. – Was sagt die SPD? Ein solcher Vorschlag habe nie auf dem Tisch gelegen, es habe nur zwei Vorschläge gegeben. Und am Dienstag kommt mein besonderer Freund Ralf Stegner und erklärt in der „taz“: Alles völliger Quatsch. Dieser Vorschlag komme von Andrea Nahles, er habe schon Dienstag auf dem Tisch gelegen, nur die anderen beiden, Merkel und Seehofer, seien dagegen gewesen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ihr müsst euch mal entscheiden, liebe Sozialdemokraten, was denn nun richtig ist. Die Wirklichkeit zu stutzen, je nachdem, welche Zielgruppe angesprochen werden soll, ist keine richtige Herangehensweise.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Freunde, was wir machen müssen, ist – das sage ich in allem Ernst –, bei unserem Kampf gegen rechts nicht glauben zu dürfen, Haltung allein sei eine Problemlösung. Wir müssen den Rechten argumentativ den Boden entziehen. Es ist unsere Aufgabe, die Menschen zu überzeugen. Insofern bin ich froh, dass Herr Brinkhaus, der neue Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, der mit dem „System Merkel“, Konflikte auszusitzen statt auszutragen, aufhören will, gesagt hat: Wir müssen auf die Menschen zugehen, die sich in ihrem Wahlverhalten von den demokratischen Parteien abgewandt haben. Wir dürfen nicht den Rechten nachlaufen, sondern müssen mit den anderen diskutieren; denn es ist unsere Aufgabe als Demokraten, möglichst viele Menschen in den demokratischen Diskurs zurückzubringen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank, Wolfgang Kubicki. – Nächster Redner: Uli Grötsch für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7276353
Wahlperiode 19
Sitzung 52
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zum Agieren der Bundesregierung in Sachen Chemnitz und in der Causa Maaßen
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