27.09.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 52 / Zusatzpunkt 5

Susann RüthrichSPD - Aktuelle Stunde zum Agieren der Bundesregierung in Sachen Chemnitz und in der Causa Maaßen

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was in Chemnitz geschehen ist, kann keiner rückgängig machen. Erlebt haben wir Vereinnahmungen durch Menschen, die scheinbar nur auf einen Anlass gewartet haben, um eine ganze Stadt in den Ausnahmezustand zu versetzen. Und was hören wir dann von rechts außen? Na ja, mal die Kurzfassung: „Merkel muss weg“ und „Ausländer raus“. Wissen Sie was? Es hängt mir so zum Hals raus!

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage mich stattdessen: Wie geht es denn den Leuten in Chemnitz jetzt, und was hat das eigentlich mit uns hier zu tun?

Werfen wir einen Blick zurück: Welches Mitglied der Bundesregierung war denn da, als es besonders schwierig war? Richtig, unsere Familienministerin Franziska Giffey. Sie hat getan, was zu tun ist, wenn ein Mensch zu Tode gekommen ist: innehalten, in sich gehen, Beileid zeigen. So zeigt man Trauer und Mitgefühl.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Danach hat sie sich mit Menschen getroffen, die sich für das friedliche Zusammenleben engagieren, und mit Menschen, die in ihrer Stadt leider Angst erleben müssen, weil sie aufgrund von Äußerlichkeiten bedroht werden. Die hat sie bestärkt, weil das Leute sind, die etwas für ihre Stadt tun wollen. Denn sie wissen: Wir haben die internationalste Uni in ganz Sachsen – ein Drittel ausländische Studierende. Insgesamt bleiben etwa 57 Prozent der Studierenden nach dem Studium in der Stadt. Es sind also noch 43 Prozent übrig, die fürs Bleiben gewonnen werden können; denn die meisten werden bei knapp 7 Prozent Arbeitslosigkeit gebraucht.

Etwa 115 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze gibt es in Chemnitz, und davon werden alleine in den nächsten zehn Jahren 30 000 durch die Verrentung derjenigen, die da jetzt arbeiten, frei. Das sind gute Jobs, vor allem in der Industrie. Diese Betriebe brauchen Leute, die bei ihnen in Chemnitz arbeiten wollen. Diese Betriebe brauchen Weltoffenheit, weil sie weltweit wirtschaften und exportieren. Deswegen machen die Betriebe – genauso wie die Kammern und die Gewerkschaften – bei Initiativen wie „Chemnitz ist weder grau noch braun“ mit.

(Beifall bei der SPD)

Die erwarten auch etwas von uns, nämlich dass wir den Leuten, die zu uns kommen, und deren möglichen Arbeitgebern keine Steine in den Weg legen. Einwanderungsgesetz, Anerkennung von Abschlüssen, „Spurwechsel“: So etwas haben wir hier zu tun, anstatt irgendwelche Scheindebatten um Überschriften eines Videos oder über die Frage zu führen, wer denn nun Mutter oder Vater irgendwelcher Probleme ist.

(Beifall bei der SPD)

Der größte Arbeitgeber in Chemnitz ist übrigens das Städtische Klinikum. Menschen aus 45 Nationen arbeiten da. Die brauchen eine weltoffene Stadt; sonst kann das Krankenhaus dichtmachen, und die Patientinnen und Patienten gucken in die Röhre.

Es geht aber nicht nur um Wirtschaft und Arbeit. Schauen wir einmal auf die Kultur. Klar, „Kraftklub“ kennt man. Die besingen die Seele der Stadt sehr treffend, nämlich stolz: „Ich komm aus Karl-Marx-Stadt.“ Die Industriestadt Chemnitz hat aber auch eine Industriekultur zu bieten, die einfach faszinierend ist. Oder eine Kunstsammlung. Oder ein Fünfspartentheater. Oder – ich liebe es besonders – das internationale Kinder- und Jugendfilmfest „Schlingel“. Oder die beeindruckende Gedenkstätte auf dem Kaßberg, das Kaßberg-Gefängnis – und, und, und. Damit wird sich Chemnitz um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt 2025 bewerben, und zwar unter dem Motto „Aufbrüche“.

(Beifall bei der SPD)

Das klingt in Ihren Ohren jetzt vielleicht total absurd – „Kulturhauptstadt“ –, aber das ist es nicht. Der Titel ist nämlich kein Schönheitspreis für die möglichst perfekte Stadt. Die Idee der Kulturhauptstadt und das Wissen um die Brüche, das lebt Chemnitz.

Im Sieben-Punkte-Plan der Oberbürgermeisterin steht dazu:

Die Antwort auf die Frage, wie wir in Zukunft miteinander leben wollen, wird im Prozess der Kulturhauptstadtbewerbung … mit den Chemnitzern erstritten und erarbeitet. Wir reden … darüber, wie Chemnitz wurde, was es heute ist. Mit allen Höhen und Tiefen, Stärken und Schwächen.

Ich würde mich riesig freuen, wenn das mit dem Titel klappen würde, gerne mit der Unterstützung aus Land und Bund.

Brüche: Ja, die haben wir in den vergangenen Wochen in dieser Stadt wie unter einer Lupe gesehen. Aber die gibt es nicht nur da, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir tun gut daran, die Brüche zu lindern, statt sie zu vertiefen, bei uns zu Hause, aber auch im ganzen Land und in der Stadt Chemnitz selbst. Deswegen wird die Stadtgesellschaft am 3. Oktober zusammen mit der Bundesregierung als eine von vielen Veranstaltungen im Rahmen der aktuell laufenden Interkulturellen Wochen ein Fest geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, es gibt in Chemnitz seit Jahren gewachsene rechte Netzwerke, es gibt Hass und Hetze, es gibt Angriffe auf Menschen und auf unsere Demokratie, und es gibt alles andere eben auch. Ich lade Sie ein: Kommen Sie uns besuchen, sehen Sie, was ist, und erzählen Sie dann, dass Sachsen vielfältig und trotzdem eigen ist, genauso wie Ihre eigene Heimat auch.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Susann Rüthrich. – Nächster Redner: Armin Schuster für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7276362
Wahlperiode 19
Sitzung 52
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zum Agieren der Bundesregierung in Sachen Chemnitz und in der Causa Maaßen
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