28.09.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 53 / Tagesordnungspunkt 22

Eckhardt RehbergCDU/CSU - Änderung des GG - Bildung, Bau, Verkehr

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Grundgesetz ist kein Modellbaukasten, an den man mal so eben rangeht. Eine Frage ist zum Beispiel: War es notwendig, die Höhe der Gemeindeverkehrsfinanzierung ins Grundgesetz aufzunehmen? Jetzt müssen wir bei einer Betragserhöhung das Grundgesetz ändern. Aus meiner Sicht hätte hier eine einfachgesetzliche Regelung gereicht; aber das passierte damals auf Druck der Länder.

Artikel 143e des Grundgesetzes ist ein Restant des Themas Infrastrukturgesellschaft. Deswegen will ich mich auf die Änderungen beim sozialen Wohnungsbau und bei der Bildungsinfrastruktur konzentrieren. Ich möchte zunächst festhalten, dass in beiden Fällen die Verantwortung bei den Ländern verbleibt: Für Schule/Hochschule und für den sozialen Wohnungsbau sind weiterhin die Länder verantwortlich. An der Stelle wird das Grundgesetz nicht geändert. Das ist auch gut und richtig so.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD])

Ich möchte noch einen Punkt ansprechen – das mache ich nicht zum ersten Mal von dieser Stelle aus, liebe Kolleginnen und Kollegen –: Diese Reform wird ihren Zweck nicht erreichen, wenn wir in der Formulierung der Grundgesetzänderung nicht dafür sorgen, dass das Geld – Stichwort „sozialer Wohnungsbau und Bildungsinfrastruktur“ – auch wirklich vor Ort ankommt und nicht durch die Länder zweckentfremdet eingesetzt wird. Das ist doch eines der Kernprobleme.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über viel Geld. Und Herr Minister Scholz, es sind nicht nur die 5,5 Milliarden Euro. Sie müssen hinzurechnen, was wir schon alles gemacht haben: Die Länder tragen nicht mehr die Last für das BAföG. Der Hochschulpakt des Bundes umfasst allein über 14 Milliarden Euro. Ein anderes Stichwort ist der Qualitätspakt Lehre; ich könnte mit der Aufzählung fortfahren.

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Um 35 Milliarden Euro haben wir in der letzten Legislaturperiode einschließlich des Jahres 2018 die Länder und Kommunen allein im Bildungsbereich entlastet, liebe Kolleginnen und Kollegen; das muss auch gesagt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Thema Entflechtungsmittel. Wenn wir vor Ort sind, dann gucken uns die Menschen komisch an. Die Mittel dafür waren bis 2013 für Investitionen in den kommunalen Straßenbau und den ÖPNV, für Hochschulbau und sozialen Wohnungsbau gebunden. Ab 2014 bis 2019 sind diese Mittel nur noch investiv verwendbar. Nur zwei Drittel der Länder haben in einem Entflechtungsgesetz die Zweckbindung beibehalten. Ich könnte jetzt bis Mitternacht Fälle und Beispiele dafür aufzählen, wo die Mittel für den sozialen Wohnungsbau gehortet werden, wo sie in Rückstellungen der Länderhaushalte fließen oder komplett zweckentfremdet eingesetzt werden. Deswegen ist es ganz richtig, dass wir dem Vorschlag des Bundesrechnungshofes folgen, wonach diese Mittel zusätzlich eingesetzt werden müssen und die Länder sie nicht substituieren dürfen und die Mittel, die sie in ihrer eigenen Zuständigkeit zu verantworten haben, zurückfahren. Nicht das Ob ist aus meiner Sicht an dieser Stelle das Kernproblem, sondern das Wie.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben eine sehr bunte Mischung von politischen Verantwortlichkeiten in Deutschland. Ich will ein Beispiel herausnehmen, Frau Göring-Eckardt: Thüringen. Ich könnte auch fünf, sechs oder sieben andere Länder nehmen.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Thüringen ist das beste!)

– Nein, ich kann auch mein eigenes Heimatland nehmen; kein Problem, das habe ich drauf. – Thüringen hat in den letzten vier Jahren 230 Millionen Euro an Mitteln für den sozialen Wohnungsbau bekommen. Davon hätte man rund 6 500 Wohnungen bauen können. Gebaut wurden 194 Wohnungen.

Ich könnte weitere Beispiele anführen. Ich könnte auch Mecklenburg-Vorpommern nennen. Unser Land bekommt 52 Millionen Euro an Förderung für den sozialen Wohnungsbau, davon werden 18 Millionen Euro ausgegeben. Und die Landesregierung unter SPD und CDU hat entschieden, dass die Mittel nicht in Dörfer mit kleinen Wohnungsgesellschaften fließen dürfen. Ich halte das für schizophren, und deswegen ist mir das auch wirklich ein Anliegen. Hier stellt sich auch die Demokratiefrage. Wir aus Berlin sagen Milliarden Euro für bestimmte Zwecke zu, und die Menschen dort zeigen mir den Piepmatz und sagen: Rehberg, hier kommt kein Geld an. – Das muss aufhören. Wenn wir an dieser Stelle eine Änderung des Grundgesetzes vornehmen, gehen wir nach meinem Dafürhalten eines der Kernprobleme an.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Herr Kollege, der Kollege Dr. Frömming möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Ja, gerne.

Vielen Dank, Herr Kollege Rehberg, dass Sie die Zwischenfrage gestatten. – Um Ihren Vortrag verstehen zu können, muss ich an einer Stelle nachfragen. Sie sagten eben zu Recht, dass die Länder in der Vergangenheit Mittel nicht dort eingesetzt hätten, wo sie sie eigentlich hätten einsetzen sollen. Nun soll die Verwendung des Geldes vom Bund sozusagen mit einem Passus versehen werden, sodass es in der Bildung nicht zweckentfremdet eingesetzt werden darf. Wie wollen Sie aber gewährleisten, dass die Länder die zusätzlichen Mittel, die sie für Bildung bekommen, nicht an anderer Stelle im Bildungsbereich einsparen? Sie müssten ja dann sozusagen den gesamten Länderhaushalt unter Kuratel stellen.

Herr Kollege, ein Blick ins Grundgesetz, so wie wir es geändert haben – ich bedanke mich an dieser Stelle insbesondere bei meinem Kollegen Carsten Schneider –: Artikel 104b und Artikel 114 Grundgesetz machen dies möglich. Wenn es um eine Mittelzuweisung an die Länder durch Änderung des Anteils an den Einnahmen aus der Umsatzsteuer geht, dann sind es Steuermindereinnahmen beim Bund und Steuermehreinnahmen bei den Ländern. Aber wenn wir Zuweisungen vornehmen, dann sind wir nach Artikel 104b Grundgesetz in der Lage, dies mit den Ländern einvernehmlich zu vereinbaren. Und dann kann – jetzt kommt der entscheidende Punkt; diese Regelung haben wir nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil korrigiert – der Bundesrechnungshof die Verwendung prüfen. Das ist uns damals sehr wichtig gewesen; wir haben das vorausschauend gemacht.

Das heißt: Wenn wir heute beim sozialen Wohnungsbau und bei der Bildungsinfrastruktur eine Einigung hinbekommen und der Vorschlag des Bundesrechnungshofes greift, dann sind wir in der Lage, erstens eine Vereinbarung mit den Ländern zu finden – das ist im Bundesrat zustimmungspflichtig, das ist richtig – und zweitens – jetzt komme ich auf Ihren Punkt – durch den Bundesrechnungshof die Länderhaushalte und die Verwendung der entsprechenden Fördermittel prüfen zu lassen. Ich bin ganz offen: Ich glaube, wir brauchen diese Stellschraube. Wir brauchen auch diesen Hebel, damit das Geld, das wir für die Bildungsinfrastruktur vorsehen, auch dort ankommt, wo es hingehört, nämlich bei unseren Kindern, bei den Schülerinnen und Schülern. Ansonsten verfehlt es seinen Zweck.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort zu den Sozialausgaben; da müssen wir zwischen Brutto und Netto unterscheiden. Zum Beispiel übernimmt heute der Bund komplett die Kosten für die Grundsicherung im Alter in Höhe von über 7 Milliarden Euro. Das ist in den letzten fünf Jahren eine Entlastung von mehr als 20 Milliarden Euro gewesen. Gucken Sie sich die Kosten der Unterkunft an. Ich nenne hier nur das Entlastungspaket; auch darüber, glaube ich, muss hier geredet werden. Die Kommunen und die Länder werden in diesem Jahr um 5 Milliarden Euro entlastet, ohne eine einzige Gegenleistung. Da muss man denen, die sagen: „Die Länder und Kommunen haben hier die Verantwortung“, schon einmal die Frage stellen, warum das Geld nicht eingesetzt wird.

Eine nächste Frage muss an dieser Stelle gestellt werden. Es ist den Menschen vor Ort natürlich egal, wer die Zuständigkeit hat, ob Bund, Länder oder Kommunen. Aber wenn die Länder schon in der Verantwortung sind – bei manchen Ländern habe ich das Gefühl, sie meinen, dass nur noch der Bund in der Verantwortung ist – und klagen, dass sie zu wenig Geld haben – es wird sogar von einem Solidarpakt III geredet –, dann ist doch die Frage zu stellen: Warum wird man bei einem Überschuss – 13 Länder haben einen Überschuss von über 14,2 Milliarden Euro – der eigenen Verantwortung in diesen Bereichen nicht gerecht?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt an einem Punkt, an dem man sagen kann: Wir drehen die Föderalismusreform zurück. – Ja, in Teilen ist das richtig. Ich bin übrigens 15 Jahre im Landtag und immer ein überzeugter Föderalist. Aber glauben Sie mir: So kann es nicht weitergehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es kann nicht sein, dass der Bund massiv Mittel in die Hand nimmt, aber das Geld vor Ort nicht ankommt.

Ich schließe an dieser Stelle den Reigen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen verstehen dann den Föderalismus nicht. Die Menschen verstehen an dieser Stelle auch nicht mehr die Demokratie. Deswegen ist meine herzliche Bitte – ich habe das hier über Fraktionsgrenzen hinweg schon einmal gesagt –, gründlich über den Vorschlag des Bundesrechnungshofes nachzudenken, Steuerungs- und Kontrollrechte sowie die Zusätzlichkeitsklausel einzuführen. Nur das ist hier zielführend. Glauben Sie mir: Wenn wir die Mittel über eine Erhöhung des Anteils an den Umsatzsteuereinnahmen vergeben würden – ich kann Ihnen viele Beispiele aus der Vergangenheit erzählen; das habe ich auch versucht – oder wenn wir die Mittel ungebunden weiterreichen, dann werden die Mittel ihren Zweck verfehlen.

Letzte Bemerkung, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal zu den Entflechtungsmitteln. Gehen Sie mal vor Ort. Die Bürgermeister fordern: Bund, tu ab 2020 was für den kommunalen Straßenbau. Bund, tu was für den sozialen Wohnungsbau. – Das Problem des Finanzministers bei der Erstellung des Haushalts für das Jahr 2018 ist gewesen, dass die 3 Milliarden Euro heute Investitionen sind. Ab 2020 sind diese Mittel Steuermindereinnahmen beim Bund und Steuermehreinnahmen bei den Ländern. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ja, Vertrauen ist gut. Aber gelegentlich ist die eine oder andere Stellschraube notwendig.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nächster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der FDP, Christian Lindner.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7276705
Wahlperiode 19
Sitzung 53
Tagesordnungspunkt Änderung des GG - Bildung, Bau, Verkehr
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