28.09.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 53 / Tagesordnungspunkt 22

Christian LindnerFDP - Änderung des GG - Bildung, Bau, Verkehr

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung schlägt vor, das Grundgesetz in den Bereichen Bildung, Verkehr und Bauen zu ändern. Der Minister hat hier vorgetragen, Kollege Rehberg hat vorgetragen. Sie beide als Sprecher der Regierung bzw. der Koalition haben aber auf einen Umstand nicht hingewiesen – Ihre Reden hatten auch nicht diesen Charakter –: CDU/CSU und SPD haben gemeinsam keine verfassungsändernde Mehrheit. Sie sind auf andere, auf die Unterstützung des Hauses angewiesen. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass auch Argumente, die andere vorgetragen haben, bereits hier zur Sprache gekommen wären; denn wir müssen gemeinsam zu einer Lösung kommen.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Verkehrsbereich, Herr Minister Scholz, sind wir aufgeschlossen für das, was Sie vorgetragen haben, wenngleich wir hinsichtlich der Förderbedingungen noch Fragen an Sie zu stellen haben. Sie haben viel Augenmerk darauf gelegt, was im Baubereich passieren soll. Hier muss ich für die Fraktion der FDP Zweifel an Ihrem Vorhaben anmelden. Der soziale Wohnungsbau war in den vergangenen Jahrzehnten nicht zielsicher. Im sozialen Wohnungsbau wurden auf lange Zeit auch jene gefördert, die eigentlich längst einer Bedürftigkeit entwachsen waren. Deshalb halten wir andere Instrumente wie das Wohngeld, also eine Förderung der bedürftigen Personen, für zielführender und für besser. Vor allen Dingen, Herr Minister, haben Sie geklagt, die hohen Baukosten seien ein Problem für den sozial sensiblen Wohnungsbau. Aber wer treibt denn die Preise, die Kalt- und die Warmmiete? Die Warmmiete wird getrieben durch eine Energiepolitik, die nicht mehr vernünftig ist, und die Kaltmiete wird getrieben zum Beispiel durch eine Ministerin wie Barbara Hendricks, die vier Jahre nichts unternommen hat, um die Baustandards wieder auf ein verhältnismäßiges Niveau zurückzuführen.

(Beifall bei der FDP)

Ich will mich aber konzentrieren auf den Bereich der Bildung; denn hier haben die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Freien Demokraten einen eigenen Vorschlag vorgelegt. Es ist schon für sich genommen eine Besonderheit, wenn Grüne und Liberale einen gemeinsamen Vorschlag unterbreiten.

(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist wohl wahr!)

Das kommt nicht zu oft vor.

(Johannes Kahrs [SPD]: Zu Beginn der Legislaturperiode erst recht nicht! – Michael ­Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hätten Sie haben können, aber Sie wollten nicht!)

Wir wollen auch nicht den Eindruck erwecken, in jedem bildungspolitischen Aspekt könnten Grüne und Freie Demokraten einer Meinung sein. Aber eines ist für uns klar: Bildung ist die wichtigste gesellschaftspolitische Aufgabe. Deshalb darf der Bund Länder und Kommunen bei dieser Frage auf Dauer nicht alleine lassen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das dokumentieren wir durch unseren gemeinsamen Antrag.

Der Bildungsföderalismus wurde in Deutschland lange gesehen als Ausdruck landsmannschaftlicher Eigenarten und der Autonomie der Länder. Ich selber war im Unterschied zu dem Kollegen der AfD 15 Jahre Landtags­abgeordneter und habe in der Praxis gesehen, was das bedeutet. 15 Jahre lang habe ich mit Eltern gesprochen, die geklagt haben, wie schwierig es ist, zwischen Bundesländern den Wohnort oder den Arbeitsplatz zum Beispiel als Lehrende zu wechseln. Sie haben dokumentiert, wie Sie das sehen: Uralt! Wir sehen das ganz anders. Hessen steht nicht im Wettbewerb mit Bremen, und Bayern nicht im Wettbewerb mit Sachsen. Aber Deutschland steht im Wettbewerb mit Nordamerika und Asien. Deshalb ist der Bildungsföderalismus, wie wir ihn praktizieren, nicht mehr Teil der Lösung, sondern ist selbst zu einem Problem geworden.

(Beifall bei der FDP)

Die Bundesregierung erkennt das dankenswerterweise – ich sage: endlich – an. In der Vergangenheit gab es eine große Sperre, irgendetwas zu tun. Herr Minister, Sie selbst haben heute das Problem beschrieben. Sie haben gesagt, es sei nur ein ganz kleiner Beitrag, den die Koalition nun leisten wolle. Aber dieser kleine Beitrag ist zu klein, um einen wirklichen Unterschied zu machen. Sie öffnen die Tür zu einer Reform des Bildungsföderalismus einen ganz kleinen Spaltbreit. Grüne und Liberale wollen diesen Spalt ein Stück vergrößern und das Kooperationsverbot auf den Prüfstand stellen, und zwar aus drei Gründen.

Erstens. Sie konzentrieren sich mit Ihrem Vorschlag im Bildungsbereich auf Bestandsimmobilien und die technische Infrastruktur. Wir haben in diesem Bereich wirklich einen großen Sanierungs- und Reformstau. Die Länder sind in einer finanziellen Problematik aufgrund der steigenden Pensionslasten in den nächsten Jahren. Da kann das Kooperationsverbot möglicherweise bei der Investition in Gebäude und Technik für Bund und Länder der Strick werden, an dem die Bildungsqualität aufgehängt wird. Aber Sie lassen ausgerechnet das Wichtigste aus, worum es in der Bildung geht. Bildung ist keine Frage von Tablets und Whiteboards in der Schule. Bildung ist keine Frage der Qualität der Gebäude. Sicherlich trägt das alles dazu bei. Das Wichtigste in der Bildung ist aber die Beziehung zwischen Menschen. Deshalb muss auch in Köpfe investiert werden können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Sie wollen das Geld – more or less – den Ländern und Kommunen rüberschieben. Das ist aus unserer Sicht nicht richtig. Der Bund muss auch über Fragen der Qualität und der Mittelverwendung sprechen dürfen; der Kollege der Union hat eben Gründe dafür genannt. Es geht nicht darum, ein Bundeskultusministerium einzurichten. Das wäre völlig überzogen. Das möchte niemand. Das wäre auch mit dem Grundgesetz und der Garantie der Eigenstaatlichkeit der Länder unvereinbar. Aber die entscheidende Frage lautet, ob es nicht einen Impuls, ausgehend vom Bund, gibt, sodass Bund und Länder bzw. die Länder untereinander Vereinbarungen treffen können. Liebe Kollegen von der AfD, ich muss noch einmal auf Sie zu sprechen kommen – Sie haben mir eine so schöne Steilvorlage gegeben –, um zu zeigen, wie Sie aus der Zeit gefallen sind. Selbst die Musterföderation der Welt, die Schweiz, hat seit dem vergangenen Jahrzehnt nicht mehr ein Kooperations ver bot bei den Kantonen, sondern ein Kooperations ge bot. Wenn selbst die Schweiz erkennt, dass man gemeinsame Qualitätsstandards und Qualitätsvorgaben im 21. Jahrhundert braucht, dann sollten wir in Deutschland dem nicht nachstehen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Bemerkung nebenbei: Es kann jetzt nur der erste Schritt sein, über die Frage der Qualitätsentwicklung zu Vereinbarungen zu kommen. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass sich die Abiturnoten so stark unterscheiden, dass gar kein gerechter Hochschulzugang zu organisieren ist. Da ist sehr viel mehr an Vergleichbarkeit erforderlich, wenn man Familien und Lehrende tatsächlich ernst nimmt.

Mein dritter und abschließender Gedanke, warum wir in diesem Punkt der Koalition zu folgen nicht imstande sind: Beim Wohnungsbau sind die Mittel, die Sie zur Verfügung stellen, unbegrenzt. Bei der Bildung sind sie degressiv und zeitlich begrenzt. Warum dieser Bewertungsunterschied? Da wird gesagt: Wir wollen die Länder für Versäumnisse der Vergangenheit nicht bestrafen. – Entschuldigung, aber was für eine funktionärische Denke! Bestraft werden dann die Familien, die sich dauerhaft mit schlechten Bildungseinrichtungen konfrontiert sehen. Deshalb muss der Bund selbstverständlich auf Dauer Verantwortung in dieser Frage übernehmen.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7276707
Wahlperiode 19
Sitzung 53
Tagesordnungspunkt Änderung des GG - Bildung, Bau, Verkehr
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