Sonja SteffenSPD - Besicherung von Target-Forderungen
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf der Tribüne! Wir debattieren heute über einen Antrag, der eine Änderung des TARGET2-Systems fordert.
TARGET2 ist ein System des Zahlungsverkehrs, über das nationale und vor allem grenzüberschreitende Euro-Zahlungen schnell und mit sofortiger Gültigkeit abgewickelt werden. Kurz zusammengefasst: Das TARGET2-System sorgt dafür, dass Handel und Dienstleistungen im Euro-Raum problemlos und rechtssicher möglich sind.
Jetzt gehe ich mal davon aus, dass die meisten von Ihnen – zumindest die Gäste auf der Tribüne – noch nicht viel über das TARGET2-System gehört haben. Weil mein Kollege Lothar Binding, der sonst immer wunderbar erklärt, erst nach mir drankommt, nutze ich die Gelegenheit, das TARGET2-System einmal aus der Sicht eines ganz normalen Bürgers oder einer ganz normalen Bürgerin zu erklären.
Wenn ich beschließe, meinem Vater zu Weihnachten einen Rentierpullover – natürlich nicht aus echtem Rentierfell, sondern gestrickt – in Finnland zu bestellen, dann kann ich das machen: Ich bestelle den Pullover und überweise das Geld von meinem Konto – natürlich bei der Sparkasse – auf das Konto des finnischen Händlers; so denke ich mir das als Kunde.
In Wirklichkeit funktioniert das anders im Euro-Raum. In Wirklichkeit ist es so, dass die Sparkasse mein Geld der Bundesbank überweist. Dann passiert in Finnland etwas ganz Ähnliches: Die finnische Zentralbank überweist das Geld, wenn es angekommen ist, an den Händler. Dazwischen ist die EZB. Jetzt kommt das TARGET2-System ins Spiel: Die EZB verbucht nämlich eine Forderung der finnischen Zentralbank und eine Verbindlichkeit der Bundesbank. So, bis hierhin ist alles klar. In den meisten Fällen erübrigt sich dann eine direkte Geldüberweisung, weil nicht nur ich einen Pullover in Finnland bestelle, sondern am gleichen Tag vielleicht ein Finne eine Kuckucksuhr im Schwarzwald bestellt. Und nicht nur wir beide bestellen etwas, sondern an dem Tag bestellen ganz viele Menschen. Deshalb erübrigen sich Überweisungen, die Fälligkeiten verrechnen sich. Über TARGET2 geschieht das alles täglich im gesamten Euro-Raum und vereinfacht den Geldverkehr natürlich enorm. Ohne dieses System wäre ein reibungsloser Geldverkehr zwischen den Euro-Staaten in der heutigen Form überhaupt nicht möglich.
(Beifall bei der SPD)
Eine denkbare Alternative zu diesem komplizierten Zahlungssystem wäre übrigens – so viel zur Lehrstunde „TARGET2, was steckt dahinter?“ –, wenn man die Zentralbanken der Euro-Länder abschaffen würde, wenn man also quasi nur die EZB hätte. Dann hätte man dieses komplizierte System nicht mehr. Dann würde sich auch das – angebliche – Problem erübrigen, das dem Antrag der AfD zugrunde liegt. Aber so weit – das wäre dann die Fiskalunion – sind wir im Euro-Raum noch nicht.
(Zuruf von der AfD: Gott sei Dank!)
Das ist bedauerlich; aber das wird hoffentlich irgendwann einmal kommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Halten wir also fest: TARGET2 ist ein Werkzeug der Zentralbanken und kein politisches Instrument. Läuft in der Euro-Zone alles normal, dann gleichen sich Forderungen und Verbindlichkeiten aus. So war es übrigens in den ersten Jahren der Euro-Zone. 2002, als die Euro-Zone begann, war alles ausgeglichen. Das hat sich erst im Jahre 2007 geändert, im Zusammenhang mit der europäischen Finanzkrise. Seitdem – an der Stelle ist das richtig – driften die Salden der Euro-Länder extrem auseinander und führen tatsächlich zu schwindelerregenden Zahlen im positiven und im negativen Bereich.
(Peter Boehringer [AfD]: Bei uns im Negativen!)
Ja, es gibt aktuell rechnerisch einen Saldo der Bundesbank, der sich insbesondere aus der Finanzkrise und aus deren Folgen und auch aus den Instrumenten, die dann entwickelt wurden – also insbesondere aus den Anleihekäufen –, entwickelt hat. Aber es war richtig, diese Maßnahmen zu ergreifen, wie man am Beispiel Irland, das aus der Finanzkrise nun mittlerweile endgültig raus ist, sehr gut erkennen kann.
(Beifall bei der SPD)
Ja, es stimmt: Wenn ein Land über Nacht beschließen würde, aus dem Euro-Raum auszutreten, dann wären die TARGET-Forderungen, die an diesem Tag bestehen, an diesem Tag erst einmal nicht gedeckt. Allerdings würde der Ausfall selbst in diesem fiktiven Szenario – und darauf hat mein Kollege Berghegger schon hingewiesen – nicht allein von der Bundesbank getragen werden müssen, sondern alle Staaten des Euro-Raumes müssten für den Fehlbetrag gemeinsam aufkommen. Und dazu, meine Damen und Herren, würde es wahrscheinlich gar nicht erst kommen, weil: Wenn wir uns jetzt einmal vorstellen, ein Land steigt aus dem Euro-Raum, also aus diesem TARGET2-System aus, dann wird es die Differenz begleichen müssen und auch begleichen wollen,
(Zurufe von der AfD: Aber nicht können!)
wenn es weiterhin Geschäfte machen will, damit es sich in Europa nicht komplett isoliert.
Wir fassen also noch einmal zusammen: Die TARGET2-Salden sind zwar kein Problem, aber sie weisen eine Asymmetrie im Euro-Raum auf, und das sollten wir angehen.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wie denn?)
Deshalb ist es richtig, dass wir das hier im Parlament diskutieren.
Wir von der SPD-Fraktion wollen durch europäische Zusammenarbeit dafür sorgen, dass die gesamte Euro-Zone wirtschaftlich wieder erstarkt
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wie denn?)
und sich die Leistungsbilanzen der Euro-Länder wieder angleichen.
Sie, meine Damen und Herren von der AfD, wollen aus dem TARGET2-System, das ja kein Kreditsystem ist, ein Kreditsystem machen. Ich war sehr traurig, Herr Schäffler, zu hören, dass die FDP das anscheinend auch will. Sie wollen, dass für die TARGET2-Differenzen zukünftig Zinsen gezahlt und Sicherheiten geleistet werden müssen. Sie schreiben in Ihrem Antrag sogar, dass Sie zuerst die wertvollsten Vermögensgegenstände der Zentralbanken der jeweiligen Länder verpfänden wollen. Das heißt, die von der Wirtschaftskrise besonders betroffenen Staaten sollen ihr komplettes Tafelsilber verscherbeln.
(Peter Boehringer [AfD]: Flughafen in Griechenland!)
Das ist ein perfider Versuch der Destabilisierung der europäischen Solidarität.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wollen Sie keine Sicherheiten?)
Ihr Antrag ist keiner, der aus berechtigten oder gar vernünftigen, ökonomischen Beweggründen eingebracht wurde, sondern eher einer, der Ihrer politischen Agenda folgt.
(Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD])
Ihr Vorschlag würde in keinster Weise zur Lösung der Probleme beitragen – das finde ich jetzt ganz wichtig –,
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Was haben Sie denn für einen Vorschlag?)
sondern einzig und allein die wirtschaftlich schwächeren Länder noch mehr schwächen und eine einseitige Kostenabwälzung in der Euro-Zone erzwingen. Also, das wäre das Ende der europäischen Idee. Und nicht nur das: Dann würden sich die Ängste, die Sie hier schüren, realisieren. Genau mit dem, was Sie in Ihrem Antrag wollen, würde es möglicherweise so kommen, dass Europa in eine Schieflage gerät.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das machen wir nicht mit. Wir Sozialdemokraten setzen uns für ein wirtschaftlich starkes, soziales und vor allem solidarisches Europa ein.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie haben keine Lösung!)
Der nächste Redner ist der Kollege Fabio De Masi, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7276736 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 53 |
Tagesordnungspunkt | Besicherung von Target-Forderungen |