Metin HakverdiSPD - Finanzkrisenprävention
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zehn Jahren begann die Finanzkrise. Im Verlauf dieser Krise verloren viele Tausend Menschen ihren Arbeitsplatz, ganze Volkswirtschaften in Europa drohten zu kollabieren. Nur unter Einsatz erheblicher Steuermittel konnte der Absturz globaler Finanzmärkte abgewendet werden.
Die Finanzkrise hat uns damals kalt erwischt. In der Euro-Zone hatten wir weder den institutionellen noch den rechtlichen Rahmen, um mit der Krise fertigzuwerden. Die erste und wichtigste Lektion der Finanzkrise lautet heute: Der einzelne Nationalstaat kann in einer globalisierten Finanzwelt nicht allein Krisen vorbeugen oder diese im Fall ihres Ausbruchs allein beherrschen. Der schnellen und engen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, aber auch mit den USA – hier insbesondere der amerikanischen Zentralbank – ist es zu verdanken, dass es damals nicht zu einer Kernschmelze des Finanzmarktes gekommen ist.
Die Bewältigung der Finanzkrise ist für mich deshalb, trotz der Schwierigkeiten und der vielen Probleme, die bis heute wirken, auch eine Erfolgsgeschichte europäischer und darüber hinaus globaler Zusammenarbeit. Mir ist wichtig, dass wir den Blick auf diesen Aspekt nicht verlieren. Wenn heute Populisten weltweit umherrennen und behaupten, globale Herausforderungen könnten auf nationalstaatlicher Ebene bewältigt werden, dann wissen wir heute, dass das Unsinn ist.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Hätte es seinerzeit keinen globalen Zusammenhalt gegeben, hätten wir seinerzeit in Europa nicht schnell multilaterale Entscheidungen getroffen, dann hätte es noch schwerwiegendere Folgen gehabt, dann hätten noch mehr Menschen ihren Arbeitsplatz oder ihr Vermögen verloren.
Wir haben wegen dieser Krise innerhalb der vergangenen zehn Jahre wichtige europäische Institutionen geschaffen: eine gemeinsame Aufsicht und die gemeinsame Sanierung und Abwicklung systemrelevanter Banken, die sogenannten Europäischen Autoritäten, die die Aktivitäten auf dem Banken-, Finanz- und Versicherungsmarkt überwachen, und den ESM, den Europäischen Stabilitätsmechanismus, mit dem wir heute die Auswirkungen von Krisen eindämmen können.
Die Notwendigkeit dieser europäischen Institutionen wird heute niemand, niemand Vernünftiges bestreiten. Niemand Vernünftiges fordert heute, diese Institutionen zu renationalisieren. Wenn heute solche politische Einigkeit über die Notwendigkeit dieser Institutionen besteht, um die europäischen Finanz-, Banken- und Versicherungsmärkte zu überwachen, dann müssen wir uns heute ehrlicherweise die Frage stellen: Warum war das nicht 2008 möglich? Warum hatten wir nicht vor der Krise solche Systeme? Wir hätten viele Verluste nicht haben müssen, hätten wir diese Institutionen schon vor 2008 geschaffen. Warum waren wir dazu nicht in der Lage? Die Antwort ist einfach wie frappierend: Damals wie heute wurden politische Notwendigkeiten von einem nationalstaatlichen Diskurs überlagert. Damals wie heute wurden politische Mehrheiten innerhalb nationalstaatlicher Grenzen organisiert. Damals wie heute gelang es nicht allen politischen Akteuren, zu erkennen, dass es uns nur mit starken europäischen Institutionen gelingen kann, unseren eigenen, nationalen deutschen Interessen international Gehör zu verschaffen. Damals wie heute.
Das bringt mich zur aktuellen Debatte über die Weiterentwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem Europäischen Währungsfonds. Ich habe auch hier heute den Eindruck, dass erneut nationalstaatliche Diskurse rationale europäische Lösungen hemmen. Das Gleiche gilt für die Debatte über die Einrichtung eines Euro-Zonen-Budgets. Wir werden nicht die notwendigen europäischen Institutionen schaffen, wenn wir von „Geldpipelines nach Brüssel“ sprechen, wenn wir von „Vergemeinschaftung von Schulden“ reden oder von „Souveränitätsverlust“ sprechen. Europa ist unser gemeinsames Haus. Mit Europa gewinnen wir, ohne Europa verlieren wir; so einfach ist das.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank Schäffler [FDP]: Was es kostet!)
Kolleginnen und Kollegen, bei der Regulierung des Bankenmarktes dürfen wir heute nicht nachlassen! Wir müssen das Notwendige tun, damit Banken nicht auf Kosten der Steuerzahler gerettet werden müssen. Die SPD lehnt es ab, dass Gewinne privatisiert, aber Verluste sozialisiert werden.
(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Frank Schäffler [FDP])
Unser finanzpolitisches Denken darf nicht mit Überlegungen zur Krisenfestigkeit von Banken und Staaten enden,
(Frank Schäffler [FDP]: Das habt ihr doch fortdauernd gemacht!)
wir müssen immer den einzelnen Menschen im Zentrum unserer Überlegungen sehen, auch und gerade auf dem Finanzmarkt. Deshalb ist es richtig, dass in der Meseberg-Erklärung der Finanzminister auch über eine europäische Arbeitslosenrückversicherung nachgedacht wird. Dafür bin ich unserem Finanzminister Olaf Scholz außerordentlich dankbar. Diese würde natürlich auch der Finanzmarktstabilität dienen. Deshalb läge sie natürlich auch in unserem eigenen, nationalen Interesse.
Zutreffend wird in den Anträgen der Grünen bzw. der Linken auf die wohnungsbaupolitische Dimension der Finanzpolitik oder deren Einfluss auf die sozialen Sicherungssysteme hingewiesen. Kolleginnen und Kollegen, unsere sozialen Sicherungssysteme müssen in Hinblick auf Konjunkturentwicklungen gedacht und weiterentwickelt werden.
Es ist nicht in unserem nationalen Interesse, wenn auf den Finanzmärkten auf Kosten der Umwelt und auf Kosten des Klimas Gewinne gemacht werden; denn das bedeutet nichts anderes, als dass Gewinne privatisiert, aber die Kosten der Allgemeinheit, dem Steuerzahler auferlegt werden.
Es ist nicht in unserem eigenen, nationalen Interesse, wenn durch zu niedrige Löhne etwa Transferzahlungen im Rentenalter trotz jahrelanger Arbeit notwendig sind. Auch das bedeutet nichts anderes, als dass Gewinne privatisiert, aber die Kosten der Allgemeinheit, dem Steuerzahler auferlegt werden.
Green Finance im Sinne von nachhaltigem Finanzmarkt und nachhaltigem Wirtschaften bedeutet heute: wirtschaftliche Nachhaltigkeit, also nachhaltige Profitabilität, genauso wie ökologische Nachhaltigkeit,
(Frank Schäffler [FDP]: Das definieren Sie?!)
aber eben auch soziale Nachhaltigkeit.
Wenn wir heute zehn Jahre zurückblicken, können wir hoffentlich sagen, dass wir das Kind noch einmal geschaukelt haben, obwohl nicht alle mit einem blauen Auge davongekommen sind. Für die kommenden zehn Jahre sollte uns aber klar sein: Wir müssen auf europäischer Ebene noch enger zusammenarbeiten, gerade in Bezug auf den Finanzmarkt. Wer heute nur dem Wettbewerb um niedrigere Löhne und niedrigere Umweltstandards folgt und wer heute Finanzstabilität nur national denkt und nicht in multilateralen Zusammenhängen, insbesondere in der Euro-Zone, wer so denkt, der hat nicht nur die Lektionen der letzten zehn Jahre nicht verstanden, wer so denkt, kann auch nicht die Zukunft gestalten.
(Beifall bei der SPD)
Die SPD will nachhaltige Investitionen, Klimaschutz und Sozialstaat miteinander verknüpfen. Wir sollten heute auf gar keinen Fall einen Schlussstrich unter die Debatte um die Weiterentwicklung der Finanzmärkte ziehen. Es geht gerade erst richtig los. Ich freue mich auf die Debatte.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Und nun Frank Schäffler für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7276775 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 53 |
Tagesordnungspunkt | Finanzkrisenprävention |