28.09.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 53 / Tagesordnungspunkt 29

Susanne MittagSPD - Kriminalstatistikgesetz

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Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der letzte Periodische Sicherheitsbericht – es ist schon erwähnt worden – stammt aus dem Jahr 2006. Nur mal zur Erinnerung: Was hatten wir da vor zwölf Jahren? Das Sommermärchen der WM. Jeder weiß, dass das schon reichlich lange her ist. Und was ist alles in dieser Zeit allein im Sicherheitsbereich passiert, und wie haben sich die Sicherheitsthemen verändert, zum Beispiel, wenn man allein den Bereich der Digitalisierung sieht?

Zwölf Jahre – dass diese Unterbrechung zu lang ist, dürfte ja wohl allen klar sein. Deswegen haben wir auch schon im Koalitionsvertrag – Frau Mihalic sagte es schon – die Weiterführung des Periodischen Sicherheitsberichts beschlossen.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gute Idee!)

Damit waren vielleicht nicht alle einverstanden, aber wir finden das wichtig.

Zu Beginn der Diskussion sollten wir uns aber mal eine Frage stellen: Wozu brauchen wir wirklich einen Periodischen Sicherheitsbericht, und wie soll er am Ende genutzt werden? Ein solcher Bericht richtet sich natürlich vor allem an die Politik, an uns – die Frage ist, wie wir mit den Ergebnissen umgehen –, aber auch an die Polizei und die Wissenschaft. Das Ziel dieses Berichtes war und ist es, als Grundlage für alle Maßnahmen der präventiven Kriminalitätsbekämpfung, aber auch für die Erarbeitung zukünftiger Ermittlungsmöglichkeiten zu dienen.

Otto Schily und Herta Däubler-Gmelin schrieben im Vorwort des Ersten Periodischen Sicherheitsberichtes aus dem Jahre 2001 – mit Ihrer Erlaubnis darf ich zitieren –:

Die Bundesregierung hat sich … entschieden, einen wissenschaftlich fundierten, umfassenden Bericht über die Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland zu erstellen.

Leider ist dieses Projekt – das muss man nun mal leider sagen – unter Unionsinnenministern wieder eingeschlafen.

Um den genannten Zweck zu erfüllen, darf ein solcher Bericht keine zwölf Jahre lang Pause haben, er darf nicht so lange liegen bleiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er muss auch erheblich öfter als alle fünf Jahre erscheinen. Was passiert alles in fünf Jahren! Mit einem fünfjährigen Turnus ist es unmöglich, auf kurzfristig auftretende Phänomene zu reagieren. Ich denke, ein zwei- bis dreijähriger Turnus erscheint angemessen,

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

um kurzfristig reagieren und aktuelle Entwicklungen erkennen zu können. Wenn man allein unsere sicherheitspolitischen Diskussionen in den letzten ein, zwei Jahren anguckt, dann weiß man, dass uns ein alle fünf oder sechs Jahre erscheinender, langjähriger Bericht überhaupt nicht nützt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage zur Festlegung eines Berichtszeitraumes unterstützen wir ausdrücklich. Dann schläft es nicht wieder ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])

Beim Format des Berichtes besteht allerdings noch Handlungsbedarf; da sind wir uns nicht so ganz einig. Der erste Bericht hatte 777 Seiten, der zweite – leichte Steigerung – 830 Seiten. Mal ehrlich: Diese Größenordnung macht zwar Eindruck; aber durch die schiere Länge des Berichts und seinen allumfassenden Anspruch geht der Sinn des Berichtes – er soll Grundlage für polizeipolitische Entscheidungen sein – komplett verloren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist weder übersichtlich noch informativ, noch zeigt es am Ende das Wesentliche auf. Auch der unterrichtende und veranschaulichende Charakter des Berichtes wird dadurch vermindert, alles wird übertüncht.

Der Bericht muss maßgeblich verkürzt werden und sich spezieller mit den wichtigsten und dringlichsten Themen beschäftigen. Denn das Ziel dieses Berichts sollte sein, über aktuelle Themen gut und schnell zu informieren und einen Blick in die Zukunft zu ermöglichen, um politisch, polizeitaktisch und präventiv auf die sich schnell ändernden Kriminalitätsschwerpunkte reagieren zu können. Dafür brauchen wir keine 830 Seiten, sondern einen Bericht, der beispielsweise – so die Vorstellung – die zehn wichtigsten Themen tiefgreifender abhandelt. Die Top 10 könnten sich zum Beispiel – das muss man verhandeln – nach Fallhäufigkeit, Schadenssumme, neuen Strukturen, Vorgehensweisen von Tätern, Kriminalitätsfolgen aufgrund gesetzlicher Veränderungen im In- und Ausland oder finanziellen Zugriffsmöglichkeiten zusammensetzen. Man muss darüber reden, in welche Richtung man das macht.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Der Bericht ist für uns, die Politik, und die Polizei – für sie ist ja der Bericht – nur dann sinnvoll, wenn man sich auf bestimmte Themen konzentriert.

Schon der erste Bericht hatte ein Spezialthema, nämlich „Jugendliche als Opfer und Täter“. Im Nachgang kann man ja wohl feststellen, dass das ein wirklich wichtiges Thema ist, das uns heute noch beschäftigt. Dieser Ansatz muss weitergeführt werden. Natürlich muss dieser Bericht ausführlicher sein als eine PKS, also eine Polizeiliche Kriminalstatistik, oder auch justizielle Statistiken wie die Strafverfolgungsstatistik allein, die ja parallel laufen und überhaupt nicht miteinander verbunden sind. Es gibt also jede Menge Statistiken, die zusammengeführt werden müssen.

Das Augenmerk muss viel stärker auf den Zusammenhängen zwischen Polizei und Justiz liegen. Der Bericht darf nicht nur eine Analyse darüber sein, was passiert ist, sondern muss auf die Zukunft ausgerichtet sein: Welche Entwicklungen sind zu erwarten? Das Programm „Polizei 2020“ des BKA kann zu diesen Auswertungen auch einen wichtigen Beitrag leisten. Die Informationen der Länder- und Bundespolizeien können in den Bericht einfließen – sie können da zusammengeführt werden – und der Wissenschaft bei der Analyse, Auswertung und Weiterentwicklung der Statistiken helfen.

Für einen aussagefähigen Bericht muss den beteiligten Wissenschaftlern – natürlich unter Berücksichtigung des Datenschutzes – Zugang zu den Auszügen aus den Statistiken ermöglicht werden. Wichtig ist uns auch ein Bericht, in dem Wissenschaftler und Polizeipraktiker sich gemeinsam mit dem Thema beschäftigen. Was nützt uns die ganze Theorie, wenn die Praxis nicht funktioniert? Auf diese Art und Weise kann man zu neuen Erkenntnissen gelangen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Eine rein wissenschaftliche Arbeit halte ich nicht für praxisorientiert und zielführend; denn dafür sind die Expertisen und Einschätzungen der Polizei, die erkennt, wo Handlungsbedarf für die Politik besteht, zu zukunftsweisend. Der Bericht verlöre dann die absolut wichtigste Aufgabe, die er hat, nämlich die Politik in der Arbeit zu aktuellen Themen zu unterstützen und bezüglich der möglichen Lösungen zu informieren, damit sie nicht immer der Lage hinterherlaufen muss.

Eine Bevölkerungsumfrage halte ich in diesem Rahmen für nicht zielführend. Ich denke, der Bericht sollte sich an Fakten orientieren und weniger an gefühlten Werten. Derartig gelagerte Umfragen werden inzwischen schon von Umfrageinstituten geleistet; die Ergebnisse kann man heranziehen. Das wäre bei Präventionsmaßnahmen vielleicht hilfreich.

(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

– Ja, Frau Mihalic, wir müssen uns nicht komplett einig sein; das können wir ja noch verhandeln.

Abschließend möchte ich ganz deutlich unterstreichen, dass ich den Vorschlag grundsätzlich begrüße, die SPD-Fraktion auch.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin froh, dass dieser Antrag zum Periodischen Sicherheitsbericht vorliegt, weil das Thema damit wieder ein bisschen Anschub bekommt und besprochen wird. Ich denke, die Etablierung eines zwei- oder dreijährigen Sicherheitsberichtes hätte für alle große Vorteile. Es wäre ein gutes Zeichen, jetzt, wo Deutschland doch Ausrichter der Fußballeuropameisterschaft 2024 ist, den Grundstein für einen neuen Periodischen Sicherheitsbericht zu legen. Er würde dann sicherlich sehr dabei helfen, die Sicherheitslage zu bewerten und entsprechend zu reagieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Mittag. – Als Nächstes für die FDP-Fraktion Konstantin Kuhle.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7276834
Wahlperiode 19
Sitzung 53
Tagesordnungspunkt Kriminalstatistikgesetz
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