Ulli NissenSPD - Aktuelle Stunde zu Drei Jahre Abgasskandal - Jetzt für saubere Luft sorgen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahren sind Dinge passiert, wo ich vorher gedacht hätte: Das kann doch nicht passieren! Dabei denke ich unter anderem an den Brexit und an die unsägliche Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA. Und: Ich hätte auch nie damit gerechnet, dass unser „Vorzeigeunternehmen“ VW seine Kundschaft so massiv betrügen könnte, wie es vor drei Jahren bekannt wurde. Da habe ich als Erstes an die Belegschaft von VW gedacht. Allein in Deutschland sind das 270 000 Menschen. Viele von denen arbeiten schon in dritter oder vierter Generation im Betrieb. Sie waren stolz auf ihr Unternehmen. Wie musste es ihnen bei der Nachricht gehen? Für den Betrug waren aber 99,9 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht verantwortlich.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Die haben gute Autos gebaut!)
Der Belegschaft gilt nach wie vor meine große Solidarität, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD)
Später stellte sich zusätzlich heraus, dass andere Autohersteller ähnlich ungut mit der Gesundheit der Bevölkerung umgegangen sind. Dies war für mich als Umweltpolitikerin natürlich besonders empörend. Allein in Deutschland gehen wir von etwa 7 000 Toten durch Verkehrsabgase aus.
Frühzeitig haben wir von der SPD gefordert, dass neben einem Softwareupdate auch eine technische Nachrüstung auf Kosten der Hersteller erfolgen muss.
(Daniela Kluckert [FDP]: Völlig unseriös!)
Ich erinnere mich noch, wie der ehemalige Verkehrsminister Dobrindt kräftig bestritten hat, dass überhaupt technische Nachrüstungen machbar sind. Ich habe ihm damals gesagt: Wir sind vor 50 Jahren auf den Mond geflogen, aber eine technische Nachrüstung ist nicht machbar? – Er hat darauf bestanden.
Das Gutachten vom ADAC hat bewiesen, dass technische Nachrüstungen nicht nur möglich, sondern auch hochwirksam sind. Die Untersuchungen ergaben, dass sich der Schadstoffausstoß innerorts bis zu 70 Prozent und außerorts bis zu 90 Prozent durch Nachrüstungen reduzieren lässt. Das kann in besonders belasteten Gebieten zu einer Reduzierung von 25 Prozent führen. Die hätten vielleicht ausgereicht – wenn wir es frühzeitig gemacht hätten –, um Fahrverbote zu vermeiden.
(Beifall der Abg. Kirsten Lühmann [SPD])
Die Umrüstung muss natürlich auf Kosten der Autohersteller erfolgen. Es gilt auch hier das Verursacherprinzip.
Ein großer deutscher Autokonzern erzielte trotz 20 Milliarden Euro Strafen in den USA im Jahr 2017 einen Gewinn von 11 Milliarden Euro. Wie will ich da einem Autobesitzer vermitteln, dass er für seinen entstandenen Schaden selbst vollständig oder auch nur teilweise aufkommen soll? Wie soll ich ihm das vermitteln?
Das harte Urteil vom Verwaltungsgericht Wiesbaden gegen meine Stadt Frankfurt hat doch wohl viele aufgeschreckt. Jetzt scheint sich auf einmal einiges zu bewegen. Die Bundeskanzlerin trifft sich mit den Spitzen der entsprechenden Ministerien. Ich bin gespannt. Ich vermute, auch die kommenden Wahlen spielen da eine wichtige Rolle.
Viele befürchten, dass ähnliche Urteile auch gegen ihre Städte erlassen werden. Falls die eingelegte Berufung scheitert, dürfen zum 1. Februar 2019 keine Diesel der Klasse 4 und niedriger mehr nach Frankfurt hineinfahren. Ab 1. September 2019 – also ganz knapp – gilt das Fahrverbot auch für Euro-5-Diesel. Ausnahmeregelungen soll es nicht geben. Selbst mehr als 60 Prozent der städtischen Linienbusse wären davon betroffen. Wir können bis zum 1. September 2019 gar nicht so viele entsprechende Elektrobusse kaufen, weil sie am Markt nicht verfügbar sind.
Frankfurt ist Deutschlands Pendlerhauptstadt Nummer eins; das ist schon gesagt worden. 362 000 Menschen pendeln täglich nach Frankfurt ein. Da können Sie sich vorstellen, wie viele Menschen vom angekündigten Fahrverbot betroffen sind. Da können Sie sich vorstellen, wie viele Menschen jetzt Angst haben, ihr Fahrzeug nicht mehr nutzen zu können.
Menschen haben mir von ihrer Verzweiflung berichtet. Sie haben einen Euro‑5-Diesel gekauft, in dem Glauben, ein gutes, umweltfreundliches Fahrzeug zu haben. Viele haben den Kredit für das Fahrzeug noch längst nicht abbezahlt. Ihnen muss es wie Hohn erscheinen, wenn man ihnen jetzt anbietet, ein neues Auto vergünstigt zu kaufen. Das geht doch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD)
Wovon sollen sie das bezahlen? Wer kauft ihnen ihr altes Auto ab, ohne dass hohe Verluste entstehen?
Leider hat die seit 19 Jahren regierende Hessen-CDU es mehrfach versäumt, genug gegen Fahrverbote zu tun. Anders als die SPD in Bund und Land hat sich die Hessen-CDU nicht frühzeitig für Hardwarenachrüstungen auf Kosten der Hersteller eingesetzt.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ist jetzt schon wieder Wahlkampf?)
Das Urteil gegen die Stadt dokumentiert daneben das schwere Versagen des schwarz-grünen Luftreinhalteplans für Hessen. Das Gericht hat festgestellt, dass dieser Plan nichts taugt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen jetzt die Verpflichtung der Autohersteller, dass auf deren Kosten die technische Nachrüstung zu erfolgen hat. Außerdem muss durch das Kraftfahrt-Bundesamt umgehend die Zulassung der nachgerüsteten Fahrzeuge erfolgen. Natürlich müssen auch die Luftreinhalteprogramme deutlich intensiviert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Maßnahmen sind dringend nötig, um etwas für die Gesundheit und auch für die betroffenen Autofahrer zu tun. Ich bitte dafür um Ihre Unterstützung.
Danke schön.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7276871 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 53 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu Drei Jahre Abgasskandal - Jetzt für saubere Luft sorgen |