Svenja Schulze - Aktuelle Stunde zu notwendigen Maßnahmen zur Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Der Sonderbericht des Weltklimarats Anfang der Woche war ein Weckruf. Ich sage aber ganz deutlich: Es war ein erneuter Weckruf. Es gab nämlich schon einige davon. Das zeigt einmal mehr, dass wir keine Zeit mehr zu verlieren haben.
Dieser Bericht ist ein besonderer, weil er zwei ganz zentrale Botschaften hat. Die erste ist: Bereits bei einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad bestehen sehr große Risiken, größere als wir bisher gedacht haben. Das betrifft beispielsweise Umweltschäden und das Risiko, dass Hunderte Millionen Menschen von Armut bedroht sind. Die besondere Qualität dieses neuen Berichtes ist es, dass er die großen Unterschiede zwischen einer Welt mit einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad im Vergleich zu einer Erwärmung um 2 Grad deutlich macht. Das Zweite, was an diesem Bericht ganz besonders ist: Er besagt, dass wir eine Begrenzung auf 1,5 Grad Erderwärmung noch schaffen können, was zweifellos mit enormen zusätzlichen Anstrengungen verbunden ist. Der Bericht macht also Mut. Der Weltklimarat ist überzeugt, dass wir über die Technologien, dass wir über das Wissen verfügen, ganz besonders im Energiebereich.
Dass es genug Technologien gibt, dass wir eigentlich wissen, was man tun muss, um den Klimawandel zu begrenzen, das verdanken wir natürlich einer innovativen Umweltpolitik, wie sie gerade in Deutschland vorhanden ist. Viele der Technologien, die es heute weltweit gibt, sind made in Germany. Hier wurde erkannt, dass ökologische Industriepolitik unglaubliche Chancen bietet und dass es da um etwas geht, was für die Zukunft unserer Gesellschaft ganz entscheidend ist.
(Beifall bei der SPD)
Die neuen Forschungsergebnisse zeigen aber auch, dass Extremereignisse in allen Ausformungen bei einer globalen Erwärmung zwischen 1,5 Grad und 2 Grad noch deutlich zunehmen werden.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir alles!)
Das heißt, es käme weltweit noch häufiger zu Hitzewellen, zu Starkregen und zu extremerer Dürre. Sensible Ökosysteme wie beispielsweise die tropischen Korallenriffe oder die Arktis wären wirklich existenziell bedroht. Hinzu kommt, dass bei einer Erwärmung um 1,5 Grad im Vergleich zu einer Erwärmung um 2 Grad 50 Prozent weniger Menschen von Wassermangel betroffen wären.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie jetzt?)
Das bedeutet für uns alle: Eine Erderwärmung unterhalb von 1,5 Grad würde den Klimawandel noch deutlich besser beherrschbar machen.
Dem Bericht zufolge liegen wir jetzt bei etwa 1 Grad. Es ist unsere Verantwortung, die Verantwortung unserer Generation, es nicht so weit kommen zu lassen, dass die Erwärmung zunimmt.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann tun Sie doch endlich mal was! Sie sind doch die Regierung!)
Ich kann Ihnen versprechen: Ich werde alles tun, um den Klimawandel zu begrenzen.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie gestern in Brüssel! Blockiert haben Sie!)
Es ist vollkommen klar: Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Wir müssen den Abschied von Kohle, Öl und Gas hinbekommen. Ich sage das immer wieder – deswegen sage ich es hier jetzt noch einmal –: Jede vermiedene Tonne Kohlendioxid, jedes vermiedene Zehntelgrad Erderwärmung zählt.
Dieser Umbau bringt Veränderungen mit sich. Er bringt große Chancen mit sich, die Welt gerechter, moderner, fairer, lebenswerter zu machen.
Klimaschutzpolitik schafft Arbeitsplätze. Das können Sie immer wieder im GreenTech-Atlas nachlesen.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie doch endlich mal!)
Die grünen Technologien sind diejenigen, die Wachstumsraten haben, die wirklich beeindruckend sind. Das sind die Märkte der Zukunft.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was machen Sie denn jetzt?)
Als diejenige, die in der Bundesregierung für den Klimaschutz zuständig ist, kann ich Ihnen sagen, was ich jetzt für richtig halte: Wir müssen in der Klimapolitik verbindlicher werden. Wir müssen alle Bereiche in die Pflicht nehmen, und dafür bereiten wir das Klimaschutzgesetz vor.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Christian Jung [FDP]: Wann wollen Sie denn aus dem Gas aussteigen?)
Man muss die Umweltpolitik, den Klimaschutz und soziale Anliegen in einen wirklich fairen Ausgleich bringen; das heißt international „Just Transition“. Das ist das, was wir auch mit der Strukturwandelkommission nach vorne bringen.
Ich will aber auch etwas zum Thema „Hambacher Forst“ sagen. Lassen Sie mich grundsätzlich vorweg sagen: Die Eskalation am Hambacher Forst hätte meines Erachtens vermieden werden können. Das waren und das sind größtenteils friedliche Proteste in Hambach.
(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Besetzer sind keine friedlichen Protestler!)
Es sind ermutigende Signale, dass so viele Menschen aus der Kohle aussteigen wollen.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum waren Sie nicht da? Sie hätten sogar reden können!)
Sie stehen damit, wie Sie alle wissen, stellvertretend für einen Großteil der Bevölkerung.
Ich habe von Anfang an dafür geworben, dass die Rodung gestoppt wird, solange wir in der Kommission noch nach einem Konsens in der Kohlefrage suchen.
(Beifall bei der SPD – Dr. Christian Jung [FDP]: Das ist doch alles Dialektik! Das muss doch nicht sein! Seien Sie doch mal ehrlich! – Weitere Zurufe von der FDP)
Die schwarz-gelbe Landesregierung hat stattdessen Obrigkeit statt Diskurs praktiziert. Sie hat gespalten, statt zu versöhnen. Was wir brauchen, ist genau das Gegenteil: Wir brauchen das Gespräch und den positiven Willen, für die betroffene Region den Weg so zu bereiten, dass auch Kinder, dass auch Enkel in dieser Region Heimat und Arbeit finden.
(Dr. Christian Jung [FDP]: Das ist doch alles dialektische Rhetorik!)
Ich bin froh, dass durch das Oberverwaltungsgericht Münster jetzt diese gesellschaftliche Eskalation beendet wurde, dass die Strukturwandelkommission jetzt in Ruhe arbeiten kann.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind das nicht Ihre Freunde in NRW?)
Diese Kommission, die Arbeit dort, hat die historische Chance, den gesellschaftlichen Konflikt um die Kohle zu befrieden, einen Ausstiegspfad festzulegen und einen sozial gerechten Übergang für die Region zu gestalten.
Ich will auch etwas zu den Verhandlungen gestern bzw. heute Nacht in Luxemburg sagen. Es ist gestern eine Einigung zu den Pkw-CO 2 -Grenzwerten gelungen, die jetzt eine Erhöhung des Flottengrenzwerts 2030 auf 35 Prozent vorsieht.
(Dr. Christian Jung [FDP]: Eine Erhöhung?)
Wie Sie wissen, habe ich von Anfang an gesagt, dass ich mehr als 30 Prozent, also mehr als das, was die Kommission vorgeschlagen hat, für möglich, für geboten halte. Unser Koalitionspartner hat dagegen auf dem reichlich unambitionierten Ziel der Kommission beharrt. Ich habe das für falsch gehalten; übrigens auch die SPD-Bundestagsfraktion. Aber ich heiße Schulze und nicht Schmidt, ich bin von der SPD und nicht von der CSU, und deswegen habe ich die deutsche Position, die in der Regierung abgestimmte Position, vertreten.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber schwach!)
Das gehört für mich zu anständigem Regierungshandeln dazu.
(Dr. Christian Jung [FDP]: Sind Sie Mitglied der Bundesregierung oder Privatperson?)
Es ist uns aber im Laufe des gestrigen Tages, in den 14‑stündigen Verhandlungen, gelungen, die deutsche Regierungsposition etwas zu verändern. Wir konnten so einen Kompromiss schaffen, der jetzt zu schärferen Grenzwerten führt. Ich denke, dass wir damit Brücken gebaut haben zwischen den höchst unterschiedlichen Positionen der Mitgliedstaaten.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Brücke zu sich selbst haben Sie gebaut, oder was? Ist das peinlich!)
Wir konnten am Ende eine mehrheitsfähige Position zwischen den Ländern aufbauen, die weniger wollten, und denen, die mehr wollten. Das ist ein echter Fortschritt, den wir jetzt haben. Das ist etwas, was wir als Bundesregierung in Europa jetzt mit auf den Weg gebracht haben.
Jeder, der hier behauptet, 40 Prozent seien möglich gewesen, liegt vollkommen falsch. Das war zu keinem Zeitpunkt in den Verhandlungen möglich.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Position der Bundesregierung nicht! Das ist richtig!)
Es war möglich, dass es komplett scheitert, und es war möglich, dass wir uns auf einen Wert um 30 Prozent herum einigen. Mehr war nicht drin.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wegen der deutschen Bundesregierung war es so!)
Ich glaube, dass es wichtig war, dass wir gestern zu einem Ergebnis gekommen sind. Das ist ein gutes Stück Europapolitik. Wir haben es geschafft, die unterschiedlichen Positionen zusammenzubringen. Wir haben es geschafft, dass es nicht zu einer Ost-West-Aufspaltung kam, und wir haben es geschafft, eine mehrheitsfähige Position auf den Weg zu bringen, sodass es auch in Zukunft noch Grenzwerte geben wird. Das war die Alternative: Hätten wir uns nicht geeinigt, hätte es zukünftig keine Grenzwerte mehr für Pkws gegeben. Jetzt haben wir es geschafft, dass der Trilog beginnen kann. Mich bestärkt das sehr in meiner Haltung, dass es richtig ist, sich europaweit für solche ambitionierten Dinge einzusetzen. Sie wissen: Ich hätte mir mehr gewünscht, die deutsche Sozialdemokratie hätte sich mehr gewünscht. Aber das ist das, was heute möglich ist.
Wir haben noch acht Wochen bis zur Konferenz in Kattowitz. Ich will darauf aufmerksam machen, dass es gestern Thema war, ein klares Signal zu geben, dass Europa die Klimaschutzziele vor 2020 noch einmal überprüft. Es ist gut, dass wir dieses Signal gestern geben konnten und dass es gelungen ist, eine gemeinsame Position im Umweltrat voranzubringen.
Lassen Sie uns den IPCC-Bericht und den Konflikt um den Hambacher Forst als Ansporn nehmen, dass Deutschland auf diesen Konferenzen wieder vorangeht, dass wir diejenigen sind, die die ambitionierten Ziele setzen. Ich möchte, dass wir das hier im Bundestag tun. Ich möchte ein ambitioniertes Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun Sie es einfach!)
und setze dabei auf die Unterstützung aus dem Bundestag.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Lukas Köhler für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7279761 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 54 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu notwendigen Maßnahmen zur Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels |