Jürgen MartensFDP - Islam
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns gefragt, warum dieser Antrag erst so spät eingebracht worden ist, in der Tat ungebührlich spät eingebracht worden ist. Da kommt man ins Überlegen: Wann ist dieser Antrag wohl formuliert worden? Ich will das nicht zeitlich, sondern inhaltlich eingrenzen: Dieser Antrag kommt aus finsterster Nacht.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir hören Aussagen: Der Koran als solches gefährdet den inneren Frieden. – Lassen Sie mich einmal etwas doch Antikeres entgegenhalten: Du sollst nichts Falsches gegen deinen Nächsten aussagen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Antrag reißt willkürlich Zitate aus dem Koran und reiht sie nebeneinander, ohne irgendeine Erklärung, ohne Kontext, ohne Bezug und ohne historische Erläuterung, und das mit 1 500 Jahre alten Textteilen, die aus einem anderen kulturhistorischen Hintergrund kommen. Es ist schon gewagt, meine Damen und Herren, wenn man damit aktuell ernsthaft Politik betreiben möchte.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU])
Das Ganze soll dann das Wesen des Islam und das Verhalten aller gläubigen Muslime belegen. Aber das hat mit den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Land und auch in Europa nichts zu tun.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Jede Religion hat es verdient, nach ihrem tatsächlichen Erscheinen und Handeln, nicht nach irgendwelchen Zitaten aus ihren grundlegenden Schriften beurteilt zu werden.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU])
Ansonsten können wir das auch mit dem Christentum machen. Das ist seit 1 500 Jahren reichlich gewalttätig gegen Andersgläubige unterwegs. Das wird sich nicht bestreiten lassen. Da gibt es Zitate zu Gewaltverherrlichung, Frauenfeindlichem und Homophobem en masse.
So spricht der Herr: Siehe, ich will Unglück über dich bringen in deinem eigenen Hause und will deine Weiber nehmen vor deinen Augen und will sie deinem Nächsten geben, dass er bei deinen Weibern schlafen soll an der lichten Sonne.
2. Samuel, Kapitel 12, Vers 12.
Oder etwas Homophobes:
Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben.
3. Buch Mose, Kapitel 20, Vers 13.
Meine Damen und Herren, wollen Sie deswegen vielleicht eine Inhaltsbereinigung der Bibel verlangen? Natürlich nicht, sondern Sie beschränkten sich hier auf den Koran. Sie betreiben islamophobe Demagogie, wenn etwa Herr Dr. Curio hier davon spricht, der Islam sei Hintergrund kulturell eingeübter Kriminalität.
Herr Kollege Martens, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Wir müssen den Islam nicht nach dem Koran bewerten, sondern wir können auch danach gehen, wie er sich in der Welt zeigt. Es gibt 57 Staaten, die mehrheitlich muslimisch sind. In welchen davon würden Sie gerne leben, und in welchem davon ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder von Homosexuellen oder Heterosexuellen so hergestellt wie hier?
(Beifall bei der AfD – Konstantin Kuhle [FDP]: Die wollt ihr ja heute wieder abschaffen! Die wollen die Gleichberechtigung von Homosexuellen abschaffen!)
Es gibt in der Tat Länder, in denen erhebliche Fortschritte gemacht wurden, auch im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit und die Verfassungsmäßigkeit. Es gibt einige Länder, in denen ich bestimmt nicht leben wollte. Es gibt aber genügend christlich-abendländisch geprägte Länder, in denen ich auch nicht leben möchte.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Wir unterhalten uns heute über unser Land, über die Bundesrepublik, und die möchte ich so sehen, wie sie unser Rechtsstaat und unsere Verfassung gestaltet haben und nicht in dem Sinne verändert, wie Sie sich das vorstellen,
(Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
indem wir religiöse Schriften staatlicherseits eingrenzen, verändern oder am besten verbieten lassen.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und noch eins – Herr Kollege, Sie müssen stehen bleiben, solange ich Ihnen antworte –: Der Rechtsstaat, von dem Sie hier gesprochen haben, muss sich, ja er darf sich nicht in der von Ihnen gewünschten Weise betätigen. Religionsfreiheit bedeutet, dass du glauben kannst, was du willst.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Glauben ja, aber nicht handeln!)
Aber handeln darfst du nur in den Grenzen des Rechts.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Welches Recht? Der Scharia?)
Es ist völlig egal, ob ein Moslem seine Ehefrau unter Berufung auf den Koran schlägt oder ob ein evangelikaler Christ seine Kinder unter Hinweis auf ein biblisches Züchtigungsrecht verprügelt. Beide bekommen es mit dem Rechtsstaat zu tun, und zwar in Gestalt des Staatsanwalts.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und das wissen Sie. Deswegen kommt am Ende des Antrags nur die hilflose Forderung, die Bundesregierung solle geeignete Maßnahmen ergreifen, die Verbreitung von im Koran enthaltenen gesetzwidrigen Inhalten und Aufrufen zu unterbinden. Vulgo: Sie fordern ein Koranverbot, meine Damen und Herren. Aber das wäre so offenkundig verfassungswidrig, dass Sie sich gar nicht trauen, das auszusprechen. Sie vertrauen stattdessen darauf, dass das bei Ihrer Kundschaft als Metatext unausgesprochen ankommt.
(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)
Lassen Sie sich eines sagen: Angesichts der in Bayern kurz bevorstehenden Wahlen wollen Sie noch mal einen Kracher zünden – meinetwegen –, aber Sie zünden keinen Kracher, Sie werfen einen Brandsatz mitten in unsere Gesellschaft, und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Sie lösen keine Probleme, Sie spalten, Sie diffamieren.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren von der AfD, Sie haben eine Verantwortung als Abgeordnete, und zwar für das gesamte Volk.
(Jürgen Braun [AfD]: Sie verwechseln Anlass und Ursache! Sie verwechseln Täter und Opfer!)
Dieser Verantwortung – das zeigen Sie überdeutlich – werden Sie in keiner Weise gerecht.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7280212 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 55 |
Tagesordnungspunkt | Islam |