11.10.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 55 / Tagesordnungspunkt 5

René SpringerAfD - SGB II - Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Minister Heil, alles, was Sie sagen, alles, was im Gesetzentwurf steht, und alles, was die Bundesregierung in den letzten 30 Jahren unternommen hat, um Langzeitarbeitslose zu integrieren, erinnert mich an ein Zitat von Kurt Tucholsky, der einmal sagte:

Erfahrung heißt gar nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre lang schlecht machen.

(Beifall bei der AfD)

Seit Jahren strebt der Arbeitsmarkt von Rekord zu Rekord. Doch an vielen Langzeitarbeitslosen geht dieser Boom weiterhin völlig vorbei. Deswegen legt die Bundesregierung heute den Entwurf eines Gesetzes zur Schaffung eines sozialen Arbeitsmarkts vor. Langzeitarbeitslose sollen bei privaten oder öffentlichen Arbeitgebern sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden. Diese Beschäftigung soll bis zu fünf Jahre mit Steuergeldern finanziert werden. Am Ende soll so die Integration von Langzeitarbeitslosen in den allgemeinen Arbeitsmarkt gelingen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um soziale Teilhabe!)

– Dann sollten Sie den Gesetzentwurf lesen. Dort steht nämlich etwas anderes drin.

Sozialminister Heil beruft sich in seinem Gesetzentwurf auf die Erfahrungen vergangener Beschäftigungsprogramme. In der Tat können wir auf eine Vielzahl von Programmen zur Integration von Langzeitarbeitslosen zurückschauen. Für all diese Programme gibt es Erfahrungsberichte, die im Auftrag der Bundesregierung erstellt wurden, im Auftrag Ihres Ministeriums, Herr Heil. Wenn ich mir aber den vorliegenden Gesetzentwurf anschaue, dann interessiert mich schon einmal, ob Sie, Herr Minister, überhaupt nur einen einzigen dieser Erfahrungsberichte gelesen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Denn keines dieser Programme brachte irgendeinen Nutzen, sondern verbrannte stattdessen Unsummen an Steuergeld.

(Katja Mast [SPD]: Oh Gott!)

Ich will Ihnen drei Beispiele nennen. Nehmen wir als Beispiel das Bundesprogramm Kommunal-Kombi, ein Projekt Ihres SPD-Parteigenossen Franz Müntefering.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Parteigenossen heißen nur Nazis!)

Mit dem Kommunal-Kombi sollten seit 2008 bis zu 100 000 Langzeitarbeitslose eine öffentlich geförderte Beschäftigung erhalten, um im Anschluss auf dem regulären Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Der abschließende Evaluationsbericht ist ein politischer Offenbarungseid. Darin heißt es, dass die Teilnehmer des Programms ihre Bemühungen um Arbeitsplatzsuche auf dem ersten Arbeitsmarkt einstellten. So kam es, dass sich die Integrationsquote bei den Programmteilnehmern, also bei denjenigen, die Sie fördern wollten, kaum entwickelte, während bei Nichtteilnehmern, die überhaupt nicht gefördert wurden, die Erfolgsaussicht zunahm, eine Stelle zu bekommen. Sie fanden also eher einen Job. Diese politische Glanzleistung kostete den Steuerzahler 632 Millionen Euro.

2010 versuchte sich dann Münteferings Nachfolgerin Ursula von der Leyen am Modellprojekt Bürgerarbeit. „ Aktiv zu sein, ist besser, als zu Hause auf ein Jobangebot zu warten“, verkündete von der Leyen damals und stellte rund 50 000 staatlich finanzierte Bürgerarbeitsplätze für Langzeitarbeitslose zur Verfügung. Das Modellprojekt endete vier Jahre später mit dem nächsten politischen Offenbarungseid, diesmal nur noch drastischer. Obwohl 40 000, also 80 Prozent, dieser Teilnehmer vorher durch 1-Euro-Jobs oder andere Maßnahmen gefördert wurden, wies das Modellprojekt im Abschlussbericht erheblich negative Effekte auf. In Zahlen ausgedrückt: Langzeitarbeitslose, die nicht am Programm teilgenommen hatten, fanden zweimal häufiger einen regulären Job als diejenigen, die durch die Bürgerarbeit gefördert wurden.

(Beifall bei der AfD)

Für diese politische Fehlleistung bezahlten die Steuerzahler 1,1 Milliarden Euro.

Aber 1,1 Milliarden Euro für erheblich negative Effekte schrecken bei den Altparteien niemanden ab, schon gar nicht Minister von der SPD. Und so startete Andrea Nahles als Nachfolgerin von Ursula von der Leyen einen weiteren Versuch zur Integration von Langzeitarbeitslosen. Mit dem Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ sollten ab 2015 deutschlandweit 20 000 Arbeitslose eine öffentlich geförderte Beschäftigung erhalten, um ihnen den Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern.

(Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie auch eigene Vorschläge?)

Eine abschließende Evaluation gibt es bislang nicht. Aber es gibt zwei Zwischenberichte und eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion.

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Uh!)

Danach sind von den Teilnehmern, die das Programm im vergangenen Jahr verlassen haben, über 80 Prozent wieder in Hartz IV gelandet oder in der nächsten Fördermaßnahme oder, wenn sie Glück hatten, in der Rente. Das ist erneut eine vernichtende Bilanz, vor allem wenn man weiß, dass 70 Prozent der Programmteilnehmer zuvor schon in einer Fördermaßnahme waren.

(Beifall bei der AfD)

Ende dieses Jahres wird das Programm „Soziale Teilhabe“ auslaufen. Die Kosten für die Steuerzahler belaufen sich dann auf 711 Millionen Euro.

Trotz all dieser dokumentierten Erfahrungen des Scheiterns stehen Sie, Herr Minister Heil, heute vor uns und der deutschen Öffentlichkeit und wollen uns erklären, dass Ihr Beschäftigungsprogramm nun aber die beste Idee aller Zeiten ist

(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Sie haben ja keine!)

und Langzeitarbeitslose auch ganz sicher eine Chance auf reguläre Beschäftigung haben. Da kommt mir unweigerlich Albert Einstein in den Sinn, der einmal feststellte:

Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.

(Beifall bei der AfD)

Der festgestellte Wahnsinn der Bundesregierung ist steigerungsfähig; denn das Programm ist nun noch größer, läuft noch länger und soll noch teurer sein als alle bisherigen Programme:

(Katja Mast [SPD]: Es ist ein Gesetz und kein Programm!)

4 Milliarden Euro für 150 000 staatlich finanzierte Arbeitsplätze.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Quatsch! – Zuruf von der CDU/CSU: Was ist Ihr Konzept?)

Das sind pro Arbeitsplatz 26 600 Euro. Um auch nur einen dieser Arbeitsplätze zu finanzieren, muss in meiner Heimat Brandenburg ein Durchschnittsverdiener sechs Jahre lang hart arbeiten und Lohnsteuer zahlen.

(Katja Mast [SPD]: Sie wollen die Arbeiterklasse spalten! Das haben auch schon welche in Deutschland gemacht!)

Nach all den Erfahrungen mit den bisherigen Beschäftigungsprogrammen können wir eines schon heute sicher sagen: Mit dem hart erarbeiteten Steuergeld entstehen höchstens Förder- und Maßnahmekarrieren, aber keine Arbeitsmarktkarrieren. Was für ein sozialpolitischer Irrsinn!

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren, Deutschland braucht dieses Gesetz nicht, Deutschland braucht die SPD nicht, und Deutschland braucht auch keine Bundesregierung,

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die AfD nicht!)

die dauerhaft gegen Erfahrungen und ökonomische Zusammenhänge anregiert und am Ende auf Kosten der Steuerzahler einfach nur Förder- und Maßnahmekarrieren erzeugt.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch mal was! – Katja Mast [SPD]: Haben Sie auch Vorschläge?)

Danke sehr.

(Beifall bei der AfD – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Vorschlag! Keine Idee!)

Das Wort hat der Kollege Hermann Gröhe für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7280239
Wahlperiode 19
Sitzung 55
Tagesordnungspunkt SGB II - Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta