12.10.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 56 / Tagesordnungspunkt 27

Sabine DittmarSPD - Aussetzung der Budgetierung für Ärzte

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der dünne Antrag der AfD und auch die Rede des Kollegen Schlund lassen mich als Gesundheitspolitikerin und als Medizinerin etwas ratlos zurück. So viele Fehler und Ungereimtheiten in einem so kurzen Text sind wirklich bemerkenswert.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht schon in der Überschrift los. „ Aussetzung der Budgetierung für Ärzte“ heißt es dort. Am Ende fordern Sie die Bundesregierung aber auf, die Budgetierung abzuschaffen. Also was jetzt: aussetzen oder abschaffen? Weiter schreiben Sie von einer Einschränkung der freien Berufsausübung zulasten der Patienten. Eine solche gibt es natürlich nicht; denn sie wäre im Übrigen auch verfassungswidrig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was mich wirklich richtig ärgert, ist die unsinnige Behauptung, dass es eine „ausschließlich ökonomisch begründete Einschränkung der Therapiefreiheit des Arztes“ gebe. Wollen Sie damit wirklich ernsthaft behaupten, dass Ärztinnen und Ärzte den Patienten medizinisch notwendige Leistungen und Therapien vorenthalten, weil sie zu teuer sind?

(Paul Viktor Podolay [AfD]: Sie werden gezwungen!)

Damit unterstellen Sie den Ärzten in Deutschland flächendeckend

(Karsten Hilse [AfD]: Nein, sie werden gezwungen!)

Verstöße gegen vertragsärztliche Pflichten, gegen Sozialrecht, gegen Berufsrecht und auch gegen das Strafrecht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf von der AfD: Das ist doch Unsinn!)

Ich bin selber Ärztin, und ich verwahre mich auch im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen gegen solche ungeheuerliche Unterstellungen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um Ihrem Antrag etwas Substanz zu verleihen, beziehen Sie sich auf eine Studie der Hamburger Uni, in der die Gesundheitsökonomen nachgewiesen haben, dass in den letzten Wochen des Quartals eine reduzierte Sprechstunde angeboten wird. Aber wenn Sie schon aus der Studie zitieren, dann lesen Sie sie bitte vollständig. Die Kollegin hat es getan; denn Sie hat es richtig wiedergegeben. Da ist nämlich zu lesen, dass es sich um eine Verschiebung von Routineuntersuchungen in das nächste Quartal handelt und nicht um die Verschiebung oder Abweisung von Patienten mit dringlichem Behandlungs- und Therapiebedarf. Das ist natürlich zu kritisieren. Das geht auch mit meinem Verständnis der Berufsethik nicht einher. Aber das gefährdet den Patienten nicht. Das hätten im Übrigen auch Sie erfahren, wenn Sie am Mittwoch bei dem Fachgespräch mit Professor Montgomery im Gesundheitsausschuss anwesend gewesen wären.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Karsten Hilse [AfD]: Haha!)

Aber Sie machen das, was Sie immer machen, und das, was Sie am besten können: Sie schüren Ängste beim Patienten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Abg. Dr. Robby Schlund [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Ihr Antrag wird auch dadurch nicht besser, dass Sie versuchen, eine in regelmäßigen Abständen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vorgebrachte Forderung zu instrumentalisieren.

Frau Kollegin, erlauben Sie eine – –

Ich lasse keine Zwischenfrage zu. – Aber nicht einmal das gelingt Ihnen. Ich bin mir auch sicher, dass unsere Ärzteschaft Unterstützer mit mehr Sachverstand und Kenntnis verdient hätte.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ergebnisse der Hamburger Studie sind natürlich nicht hinnehmbar. Viele von uns haben es selbst schon erlebt, dass es teilweise schwierig ist und am Ende des Quartals noch schwieriger wird, einen Termin beim Facharzt zu bekommen. Deswegen handeln wir auch in der Koalition. Ende September ging das Terminservice- und Versorgungsgesetz durch das Kabinett. Im Dezember werden wir uns hier im Plenum damit beschäftigen. Mit diesem Gesetz wird unter anderem dafür gesorgt, dass das Mindestsprechstundenangebot eines niedergelassenen Arztes mit voller Kassenzulassung von 20 auf 25 Stunden erhöht wird.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das machen doch schon die meisten!)

– Genau, Frau Kollegin. – Ich weiß, dass viele Ärzte das schon leisten, aber eben nicht alle.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: 2 Prozent nicht!)

Wer einen vollen Kassenarztsitz hat, muss seine Zeit auch überwiegend den gesetzlich versicherten Patienten zur Verfügung stellen

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das passiert doch bei 98 Prozent!)

und darf sie nicht etwa hauptsächlich mit Privatpatienten oder IGeL-Leistungen verbringen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Deswegen halte ich diese Regelung auch für zumutbar.

Die grundversorgenden Fachärzte – das sind zum Beispiel Augenärzte, die nicht operieren, Frauenärzte, Orthopäden oder auch Hals-Nasen-Ohren-Ärzte – müssen künftig fünf Stunden offene Sprechstunden anbieten. Der Patient braucht hier keinen Termin mehr und kann direkt in die Praxis kommen. Der behandelnde Arzt bekommt diese Leistungen mit einem Zuschlag – hören Sie gut zu, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD und von der FDP! – außerhalb des Budgets vergütet.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja, aber nur für diese Fälle!)

– Viel mehr Fälle, Frau Kollegin.

Im Übrigen werden dem Facharzt zukünftig alle Patienten, die vom Hausarzt direkt vermittelt werden, vollständig außerhalb des Budgets vergütet, und zwar für den kompletten Behandlungsfall.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Dann seien Sie doch mal mutig und machen es gleich für alle!)

Für neue Patienten gibt es ebenfalls die Grundpauschale mit einem Aufschlag von 25 Prozent außerhalb des Budgets. Der Kollege Krauß hat es schon gesagt: Über 40 Prozent der heute abgerechneten Leistungen sind extrabudgetär. Mit den im Gesetz anvisierten Maßnahmen wird sich das noch einmal deutlich erhöhen.

Deshalb: Wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass das, was Sie mit Ihrem Antrag fordern, liebe FDP, eigentlich schon passiert,

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Nein! Das ist nur Flickschusterei, was Sie da betreiben!)

dass wir einen langsamen Ausstieg aus dem Budget haben, weil immer mehr Leistungen herausgenommen werden, aber eben nur da, wo es nötig ist.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Aha! Andere haben es wohl nicht nötig? Das ist ja interessant!)

Aber, Kolleginnen und Kollegen: Die Herausforderungen, vor denen wir in der ambulanten Versorgung stehen und die Sie auch zu Recht angesprochen haben, Frau Kollegin Dugnus-Aschenberger, werden wir mit der Frage „Budget, ja oder nein?“ nicht lösen. In Bayern zum Beispiel bekommen die Hausärzte schon seit Jahren das volle Honorar ausgezahlt.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja, aber in anderen Ländern eben nicht!)

Die Budgetierung spielt hier überhaupt keine Rolle.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Natürlich spielt das eine Rolle!)

Trotzdem haben wir in strukturschwachen ländlichen Gebieten Probleme mit der hausärztlichen Versorgung und mit der Nachbesetzung freiwerdender Arztsitze. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Maßnahmen zur Sicherstellung der flächenärztlichen Versorgung, die wir schon in der letzten Legislaturperiode begonnen haben, weiterentwickeln und dass wir auch zusätzliche Instrumente dazufügen.

Im Versorgungsstärkungsgesetz haben wir zum Beispiel die Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin und bei den grundversorgenden Fachärzten gestärkt. Wir haben Arztgruppen und gleiche MVZ zugelassen und einen Strukturfonds bei den Kassenärztlichen Vereinigungen ermöglicht.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das wird keinen jungen Arzt dazu bewegen, sich niederzulassen!)

Der „Masterplan Medizinstudium 2020“ wird den Rahmen für die Ausbildung der künftigen Medizinerinnen und Mediziner an die Herausforderungen anpassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unstrittig ist, dass uns die Arbeit im Gesundheitsbereich ganz sicher nicht ausgehen wird. Aber ich möchte hier noch einmal explizit feststellen, dass wir in Deutschland trotz mancher Ärgernisse ein hervorragendes, gutes, qualitätsgesichertes Gesundheitssystem haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das ist richtig!)

Dies wird getragen von Ärzten, Ärztinnen, Apothekern, Apothekerinnen, den Menschen, die in der Pflege und in den verschiedenen Gesundheitsberufen arbeiten, die täglich gute Arbeit im Sinne der Patienten leisten.

Unsere Versorgung orientiert sich an medizinischer Indikation und ist evidenzbasiert; denn nicht alles, was medizinisch machbar ist, ist für den Patienten dann auch notwendig oder ratsam. Es geht also nicht darum, durch Entbudgetierung eine nicht mehr zu kontrollierende Mengenausweitung hervorzurufen,

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ach! Aha!)

sondern es geht darum, durch gezielte Maßnahmen dafür zu sorgen, dass sich die Patientinnen und Patienten unabhängig von ihrem Wohnort und ihrem Versichertenstatus darauf verlassen können, medizinisch und pflegerisch gut versorgt zu werden.

Genau. – Frau Kollegin, jetzt kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich freue mich auf die Debatte im Gesundheitsausschuss. Dann können wir auch intensiver diskutieren.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Nur für das Protokoll: Die Kollegin Dugnus-Aschenberger heißt in Wahrheit Aschenberg-Dugnus.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ich bin da ganz locker!)

Als Nächster spricht zu uns der Kollege Dr. Achim Kessler, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN – Karsten Hilse [AfD]: Hallo!)

– Oh, Herr Kollege. Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich hatte ja zugesagt, dass ich eine Kurzintervention zulasse. Der Kollege Dr. Schlund hat das Wort.

(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch keine Alleinunterhaltung hier! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr dritter Beitrag in der Debatte! Es wird nicht besser!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7281034
Wahlperiode 19
Sitzung 56
Tagesordnungspunkt Aussetzung der Budgetierung für Ärzte
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta