18.10.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 58 / Tagesordnungspunkt 6

Hubertus Heil - Qualifizierungschancengesetz

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! An diesem Rednerpult ist schon des Öfteren über die Lage am Arbeitsmarkt gesprochen worden. Sie ist im Moment ausgezeichnet. Wir haben den höchsten Stand sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und die zweitniedrigste Erwerbslosenquote in der Europäischen Union. – Herr Präsident, ich glaube, ich brauche ein bisschen mehr Saft fürs Mikro.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oder mehr Kraft in der Stimme!)

– Ich brauche manchmal eine Zweitstimme, Herr Kollege;

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Von mir gibt es die nicht! – Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: In die Zeiten wollen wir nicht kommen, Hubertus!)

aber ich habe es auch schon mit der Erststimme geschafft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Präsident, darf ich noch mal anfangen?

Bitte sehr.

Ich habe eben darüber gesprochen, dass wir eine ausgezeichnete Lage am deutschen Arbeitsmarkt haben. Monat für Monat bekommen wir tolle Zahlen aus Nürnberg: den höchsten Stand sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, die zweitniedrigste Erwerbslosenquote in der Europäischen Union.

Das ist allerdings kein Grund, sich zurückzulehnen. Deshalb legen wir Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, der eine vernünftige Balance schafft, der beispielsweise dafür sorgt, dass wir für konjunkturell schwierigere Zeiten die notwendigen Rücklagen bei der Bundesagentur für Arbeit haben. Wir alle erinnern uns, wie es vor zehn Jahren war, als wir in der Finanzkrise einen Einbruch der Wirtschaftsleistung von minus 5 Prozent hatten und mein Amtsvorgänger Olaf Scholz mit veränderten Regeln der Kurzarbeit mitgeholfen hat, Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland zu sichern. Wir hatten keinen Tsunami am Arbeitsmarkt.

Die gute Nachricht ist, dass die Rücklagen bei der Bundesagentur für Arbeit 0,65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprechen – spare in der Zeit, dann hast du in der Not –, um im Zweifelsfall, falls weltwirtschaftliche Risiken eintreten, das Richtige tun zu können. Das ist vorsorgende Arbeitsmarktpolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir nutzen auch die Entlastungsspielräume, die wir durchaus haben. Wir senken den Arbeitslosenversicherungsbeitrag, wie in der Koalition jetzt miteinander vereinbart, gesetzgeberisch um 0,4 Prozentpunkte und dann noch mal um 0,1 Prozentpunkte per Verordnung, um die Lohnnebenkosten, die Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland stabil zu halten. Das ist vernünftig. Es hilft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern; es hilft auch Unternehmern. Damit entlasten wir ab dem 1. Januar in diesem Bereich tatsächlich um 5,8 Milliarden Euro jährlich.

Aber, meine Damen und Herren, mir ist am wichtigsten, dass wir mit diesem Gesetz vor allen Dingen die Zukunft der Arbeit in den Blick nehmen. Die gute Nachricht ist: Nach allem, was wir wissen, wird uns auch in Zukunft in Deutschland die Arbeit nicht ausgehen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit weist darauf hin, dass der Strukturwandel in der Arbeit – vor allen Dingen durch technologischen Fortschritt, durch Digitalisierung – dazu führen wird, dass in vielen Branchen in den nächsten Jahren Automatisierung auf uns zukommt und dass gleichzeitig in anderen Branchen neue berufliche Fähigkeiten gebraucht werden.

Mein Motto ist, dass wir in diesen Zeiten Chancen und Schutz im Wandel organisieren müssen. Schutz nicht vor dem Wandel, aber im Wandel. Im Kern geht es darum, dabei mitzuhelfen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von heute auch die Arbeit von morgen machen können. Das, meine Damen und Herren, ist an dieser Stelle wichtig. Wir werden zur Fachkräftesicherung und zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jetzt das Richtige tun und in Weiterbildung und Qualifizierung investieren. Auch das ist in diesem Gesetzentwurf enthalten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Damit Sie mich richtig verstehen: Ordnungspolitisch ist es erst mal Aufgabe der Unternehmen selbst, in Qualifizierung und Weiterbildung zu investieren. Aber wir schaffen mit diesem Gesetz die Möglichkeit, Unternehmen, die dem Strukturwandel unterliegen, die im technologischen Wandel sind, durch die Bundesagentur für Arbeit bei der Qualifizierung zu unterstützen. Investitionen in die Weiterbildung sind der Hebel dazu, meine Damen und Herren. Das ist der richtige Weg.

Ich will auch noch sagen: „Vorsorgende Arbeitsmarktpolitik“ heißt, dass wir Arbeitslosigkeit im digitalen Wandel verhindern, also tätig werden, bevor sie entsteht, und zwar durch Qualifizierung. Das heißt: Chancen und Schutz im Wandel.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Jens Beeck [FDP])

Wir führen mit dem Gesetz den Rechtsanspruch auf Weiterbildungsberatung durch die Bundesagentur für Arbeit ein, damit die Beschäftigten auch Orientierung dazu bekommen, in welche Richtung Qualifizierung geht.

Wir sorgen auch dafür – Stichwort „Schutz im Wandel“ –, dass kurzzeitig Beschäftigte, die immer in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, zum Beispiel weil sie in IT-Projekten befristet gearbeitet haben, aber nie Leistungen der Bundesagentur für Arbeit bekommen haben, in Zukunft gesichert sind, weil wir die Rahmenfrist tatsächlich verlängern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zusammenfassend, meine Damen und Herren: Ich bin sehr dankbar, dass uns dieses Gesetz, das im Koalitionsvertrag noch gar nicht vereinbart war, in der Diskussion der Koalition gemeinsam gelungen ist. Wir müssen die Zukunft der Arbeit gestalten. Durch Digitalisierung haben wir Riesenchancen zur Humanisierung der Arbeitswelt in Deutschland. Ja, aber wir haben auch einen rasanten Wandel, der vielen Menschen Sorgen macht. Es gilt, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten mitkommen können, dass sie die Chancen zur Humanisierung nutzen können, dass es die Möglichkeit der Weiterbildung gibt.

Mit diesem Qualifizierungschancengesetz liefern wir jetzt einen ersten Baustein für das, was die Bundesregierung insgesamt im Rahmen der nationalen Strategie für Weiterbildung zu tun hat. Meine Kollegin Anja Karliczek und ich haben den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag aufgenommen. Es geht um die Finanzierung von Weiterbildung, es geht um die Institutionen von Qualifizierung und Weiterbildung, und es geht auch, meine Damen und Herren, um die Kultur von Weiterbildung in Deutschland.

Die meisten Beschäftigten, die uns 2030 am Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, haben bereits jetzt ihre berufliche Erstausbildung, ob im dualen System oder an der Universität oder Hochschule, hinter sich. Deshalb ist es wichtig, dass wir in Zukunft dafür sorgen, dass die Menschen die Chancen des digitalen Wandels für sich nutzen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Vision, die hinter diesem Gesetz, dem Qualifizierungschancengesetz, steht, ist, dass wir langfristig die Bundesagentur für Arbeit zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung weiterentwickeln. Es geht um den Weg von der Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsversicherung, und das ist der richtige Weg, weil wir in den nächsten Jahren erleben werden, dass uns der digitale Wandel, der technologische Wandel in vielen Regionen und Branchen in Deutschland herausfordert.

Den Menschen die Chance zu schaffen, durch ihrer eigenen Hände Arbeit, durch das, was sie im Kopf haben, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, dafür zu sorgen, dass Beschäftigungsfähigkeit da ist, das ist der wesentliche Schritt, um unsere Gesellschaft in diesem Wandel zusammenzuhalten. Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung für das Qualifizierungschancengesetz, das wir Ihnen heute vorgelegt haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7282492
Wahlperiode 19
Sitzung 58
Tagesordnungspunkt Qualifizierungschancengesetz
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