18.10.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 58 / Tagesordnungspunkt 11

Rolf MützenichSPD - Bundeswehreinsatz zur Bekämpfung des IS-Terrors

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zurückdrängung des „Islamischen Staates“ ist keine rein militärische Aufgabe. Im Gegenteil: Korruption, Misswirtschaft, systematische Ausgrenzung ethnischer und religiöser Gruppen, schlechte Regierungsführung sind ebenfalls weltweit Nährboden für den „Islamischen Staat“. Deswegen wird es darauf ankommen, ob die neue irakische Regierung, die sich in den nächsten Tagen bildet, diese Herausforderung annimmt, die Menschen integriert, eine gute Regierungsführung zeigt und insbesondere das, was die Menschen im Irak erwarten, nämlich soziale Gerechtigkeit, auch erfüllt.

Meine Damen und Herren, wir engagieren uns deswegen insbesondere mit zivilen Mitteln. Seit 2014 hat die Bundesrepublik Deutschland, hat dieser Deutsche Bundestag 1,4 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe, für Wiederaufbau, für Beratungsleistungen zur Verfügung gestellt. Dem Irak kommt auch zugute, dass wir insbesondere die Nachbarländer in dieser Situation mit großen Summen unterstützen. Ich glaube, es ist notwendig, daran zu erinnern. Wir wollen nicht alleine mit militärischen Antworten auf diese Herausforderungen reagieren, sondern insbesondere mit zivilen und politischen Maßnahmen.

(Beifall bei der SPD)

Kollege Mützenich, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Lambsdorff?

Wenn er schon weiß, was ich sagen will, ja.

Ich habe nur eine Frage, lieber Herr Mützenich. Wir schätzen uns ja, wir kennen uns lange. Deshalb wundert mich der Einstieg in Ihre Rede. Kennen Sie in diesem Haus irgendeinen oder irgendeine, der oder die glauben würde, man könne den IS allein mit militärischen Mitteln bekämpfen? Glauben Sie wirklich, dass hier so jemand sitzt? Glauben Sie, dass in der NATO jemand das glaubt oder in der Allianz gegen den „Islamischen Staat“? Ich glaube das nämlich nicht. Ich glaube, Sie bauen hier einen Popanz auf.

Lieber Herr Kollege Lambsdorff, ich will keinen Popanz aufbauen, aber ich glaube, Reden hier im Deutschen Bundestag müssen aufklärerischer Natur sein.

(Beifall bei der SPD)

Sie dürfen sich nicht nur an die Abgeordneten wenden, sondern müssen auch zeigen, dass dieses Parlament eine hohe Verantwortung im Rahmen einer demokratischen Sicherheitspolitik hat. Ich bin stolz, dass ich der sozialdemokratischen Fraktion angehöre, die eben nicht alleine über Sicherheitspolitik debattiert, sondern auch über Friedenspolitik, über zivile Mittel. Das wollte ich mit diesem Einstieg deutlich machen.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Kennen Sie irgendjemanden?)

Ich spreche Ihnen das gar nicht ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])

Auch wenn wir uns mit zivilen Mitteln engagieren, sage ich trotzdem – auch für uns Sozialdemokraten, lieber Herr Kollege Lambsdorff –, dass der IS auch mit militärischen Mitteln zurückgedrängt werden muss.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Aha!)

Das war für uns in der SPD-Fraktion ein schwerer Lernprozess. Aber wir haben uns dazu bekannt. Sie waren noch nicht Mitglied im Deutschen Bundestag, als wir uns hier sozusagen zerrissen haben in der Frage, ob wir auch Waffen in den Nordirak liefern dürfen. Aber wir wissen: Es gibt Gewalträume, es gibt eine Bürgerkriegsökonomie, die leider eben insbesondere auch militärisch von regionalen Mächten unterfüttert wird. Deswegen haben wir uns damals zu diesem Einsatz bekannt.

Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages haben damals von Anfang an dieses Mandat parlamentarisch intensiv begleitet. Ich bin froh, dass das für ein selbstbewusstes Parlament steht. Dieses Parlament macht, seitdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, aus dieser Verantwortung des Bundesverfassungsgerichts mehr. Jetzt formulieren wir Mandate mit. Jetzt diskutieren wir. Jetzt stellen wir auch Bedingungen. Ich finde, deswegen haben wir es verfassungsrechtlich, völkerrechtlich gut begründet. Ich hätte mir gewünscht, dass zum Beispiel auch Beschlüsse der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Begründung herangezogen worden wären. Aber die Erneuerung des Beschlusses im Sicherheitsrat war auch notwendig, sodass der Deutsche Bundestag weiß, es ist völkerrechtlich und verfassungsrechtlich mandatiert.

(Beifall bei der SPD)

Kollege Mützenich, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Pflüger?

Ja. Halten Sie die Uhr dann bitte an?

Ja, natürlich.

Danke schön.

Vielen Dank. – Sie haben gerade die völkerrechtlichen Voraussetzungen beschrieben. Ich frage mich bei diesem Mandat tatsächlich: Wo sind die gegeben? Sie sagen, es sollte völkerrechtlich konform sein. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 formuliert, dass die Einsätze im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit stattfinden müssen. Wo ist dieses System kollektiver Sicherheit im Kontext dieses Irak-Einsatzes?

Lieber Herr Kollege Pflüger, Sie verwechseln Verfassungsrecht und Völkerrecht. Sie haben mich nach dem Völkerrecht gefragt. Die Vereinten Nationen haben in den letzten Jahren mehrfach einen Beschluss im Sicherheitsrat gefasst. Die internationale Staatengemeinschaft wurde aufgefordert, den bedrängten Staaten, die sich dem „Islamischen Staat“ auch militärisch erwehren müssen, beizustehen. Die Bundesrepublik Deutschland tut das unter einem Mandat der Vereinten Nationen.

(Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Wo steht das denn?)

– Es steht im Mandat. Lesen Sie es doch bitte. – Genau an dieser Stelle habe ich auch gesagt, dass ich glaube, dass zum Beispiel nicht nur der Sicherheitsrat für uns eine wichtige Plattform zur Heranziehung der Legitimation für dieses Mandat ist, sondern auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen.

Meine Damen und Herren, das Mandat war geeignet und ist aus meiner Sicht auch den Herausforderungen gerecht geworden. Deswegen, Frau Ministerin, haben wir uns darauf verständigt, dass es in dieser Form letztmalig im Deutschen Bundestag beschlossen wird. In zwölf Monaten werden die Tornados und das Tankflugzeug aus diesem Mandat zurückgezogen. Es ist eine notwendige Voraussetzung für ein selbstbewusstes Parlament, zu zeigen, dass wir Mandate beenden können.

(Beifall bei der SPD)

Der zweite Aspekt ist: Wir wollen, dass die Ausbildungsmission nur bis zum 30. April 2019 verlängert wird, weil ein selbstbewusstes Parlament wissen möchte, ob eine Nachfolgeregierung im Irak bereit ist, dieses Mandat zu erneuern.

Das zeigt, dass demokratische Sicherheitspolitik auch bei diesem Mandat zum Durchbruch kommt. Wir wollen nicht nur, dass das die Regierung tut, sondern auch ein irakisches Parlament. Sie haben gesagt, viele Kolleginnen und Kollegen sind aus dem Irak zurückgekommen und haben gehört, dass die Parteien dieses Mandat unterstützen wollen. Wenn das so ist, dann ist es ein Leichtes, dass das irakische Parlament auch diesen Auftrag, diese Einladung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland dokumentiert.

Sie dürfen nicht unterschätzen, dass das ein großer Schritt ist, den wir heute machen. Wenn ich das so sagen darf: Weder bei der Einbringungsrede noch heute, Frau Ministerin, ist erwähnt worden, dass wir das erste Mal in einem Mandat auch ein ausländisches Parlament zur Legitimierung eines Auslandseinsatzes heranziehen. Es ist doch eine Frage an die Gesellschaft, an die Volksvertreter in diesen Ländern: Wollen Sie nicht nur eine zivile, sondern insbesondere auch militärische Begleitung dieses Mandats? Ich finde, da kann ein Deutscher Bundestag sehr selbstbewusst sein, dass wir es zum ersten Mal im Deutschen Bundestag geschafft haben, dass das im Mandat steht.

(Beifall bei der SPD)

Es ist ein Durchbruch und Maßstab auch für kommende Mandate.

Meine Damen und Herren, ich habe am Anfang die Eingangsbemerkung gemacht, dass die Regierungsbildung und ‑politik im Irak die entscheidende Voraussetzung sein wird – nicht nur für dieses Mandat –, den Irak wieder als Staat zusammenzuführen, ob es gelingt, insbesondere die jungen Menschen, die heute in Basra, in Erbil, in Bagdad demonstrieren, auch in diese Regierungs-, in die Parlamentspolitik zu integrieren. Denn denen geht es nicht um religiöse und ethnische Fragen, denen es geht um soziale Gerechtigkeit, Verantwortung für das Land, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Ich glaube, das müssen wir unterstützen, gerade auch vonseiten des Deutschen Bundestages. Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns mit den Parlamentarierinnen und Parlamentariern im Irak austauschen, dass aber auch die Zivilgesellschaft zusammenkommt.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage gleichzeitig: Ob die Herrschenden in den arabischen Hauptstädten wollen oder nicht, ohne die Integration dieser jungen Demonstranten, aber auch ohne Einbeziehung des sogenannten politischen Islam in die Ordnung der arabischen Länder wird es keinen Frieden geben.

Ende August schrieb der vermutlich ermordete Journalist Jamal Khashoggi in der „Washington Post“:

Es kann keine politische Reform und Demokratie in einem arabischen Land geben, ohne zu akzeptieren, dass der politische Islam Teil davon ist.

Er hatte recht. Seine Gedanken und Überzeugungen werden weiter wirken.

Ich bitte, diesem Mandat zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Für die FDP-Fraktion spricht nun die Abgeordnete Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

(Beifall bei der FDP)

Personen

Dokumente

Automatisch erkannte Entitäten beta

Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7282601
Wahlperiode 19
Sitzung 58
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz zur Bekämpfung des IS-Terrors
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta