Aydan ÖzoğuzSPD - Menschenrecht auf Religionsfreiheit
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute mehr denn je müssen wir uns die Frage stellen, wie es um die Freiheit von Menschen bestellt ist, Religion oder ihre Weltanschauung frei wählen und ausüben zu dürfen oder gar zu können. Dabei schauen wir hinaus in die Welt, aber wir schauen auch auf uns selbst: Wie steht es nun um diese Freiheit? Genau in dieser Eingangsfrage sehen wir schon einen elementaren Unterschied des Koalitionsantrages und übrigens auch des Grünenantrages zum AfD-Antrag. Christenverfolgung ist abzulehnen und zu verurteilen, wo immer sie stattfindet; das ist zweifelsohne richtig.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der Kontext ist aber größer. Das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit geht weit darüber hinaus. Es betrifft jeden einzelnen Menschen, ganz unabhängig davon, welche Religion oder Weltanschauung er oder sie vertritt.
(Beifall bei der SPD)
Überall dort, wo Weltanschauungsfreiheit, also sowohl die Freiheit, keiner Religionsgemeinschaft angehören zu wollen, als auch die Religionsfreiheit, also die Freiheit, sich seine jeweilige Religion selbst aussuchen zu dürfen, eingeschränkt oder verletzt wird, müssen wir uns dem entgegenstellen, dies deutlich benennen und klar für die Menschen eintreten, denen dieses Recht in irgendeiner Weise beschnitten wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir stellen in unserem Antrag fest, dass dieses Menschenrecht vielerorts massiv beschnitten wird. Mit 31,4 Prozent der Weltbevölkerung sind die Christen nicht nur die größte Glaubensgemeinschaft; sie sind auch die am häufigsten von Einschränkungen und Verletzungen der Religionsfreiheit betroffene Gruppe, und zwar dort, wo sie eine Minderheit darstellen; denn in der Regel geht es hier um das Verhältnis von Mehrheiten und Minderheiten. Gleichzeitig drehen sich sogenannte religiöse Konflikte selten wirklich um religiöse Inhalte. In den allermeisten Fällen geht es um Macht, um Dominanz und Unterdrückung zwischen Mehrheiten und Minderheiten.
Zudem ist auch folgende Tatsache zu beachten: Die wenigsten, auch von uns, suchen sich ihre Religion selbst aus. Man wird zunächst einmal in eine Familie hineingeboren und ist meist auch erst einmal – oftmals ohne dies zu hinterfragen – Mitglied der dort gelebten Religion oder Weltanschauung. Das gilt für Mehrheiten und Minderheiten in gleicher Weise. Ein gewisses Zufallsprinzip lässt sich kaum leugnen, wenn wir ehrlich sind. Wenn wir uns das klarmachen, ist es doch umso bemerkenswerter, wie schnell einige gegen andere Religionen sich auszusprechen bereit sind und gleichzeitig zugeben, dass Religion in ihrem Leben gar keinen großen Stellenwert hat.
Noch bemerkenswerter ist es, dass einige bereit sind, ganze Gruppen von Menschen aufgrund ihrer geografischen Herkunft Religionen zuzuordnen, ohne zu wissen, welche Bedeutung die Religion überhaupt im Leben dieser Menschen hat, und ohne zu wissen, wie und ob sie jeweils ihre Religion leben. Es ist schon fast ein gewisser Kategorisierungswahn dabei.
Von Einschränkungen der Religionsfreiheit sind nahezu alle – Christen, Muslime, Juden, Bahai, Jesiden, Buddhisten, Aleviten und viele mehr – betroffen. Wer glaubwürdig für Religions- und Weltanschauungsfreiheit eintreten will, der darf diese Gruppen eben nicht gegeneinander ausspielen, sondern muss sie ernsthaft als gleichwertig behandeln.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist einer unserer Werte. Sie ist ein Menschenrecht, und dieses gilt es zu schützen, gerade auch in unserem Land und übrigens unabhängig davon, ob es andernorts missachtet wird.
Bedauerlich ist die Logik, die mir häufig entgegenschlägt, und deswegen möchte ich sie hier einmal ansprechen: „Gehen Sie mal in die Türkei und bauen dort eine Kirche; Sie werden das nicht überleben“, hat mir gerade wieder jemand geschrieben. Ich glaube, dass hier der Kern des Problems verfehlt wird. Vielleicht sage ich doch einmal etwas dazu, weil ich mittlerweile den Eindruck habe, dass es manche nicht wissen: Es gibt Kirchen in der Türkei. Allein vom früheren Wohnhaus meiner Eltern konnte man fußläufig zwei armenische Kirchen, eine griechisch-orthodoxe und eine katholische Kirche erreichen.
Aber es gab zum Beispiel auch einmal das Projekt, in Alanya eine Kirche zu bauen, weil viele Deutsche dort mittlerweile ihre Wintermonate verbringen. Auch dort könnte es ja eine Kirche geben – das habe ich persönlich unterstützt –, aber dies ist leider gescheitert, was eben zeigt: Wir haben trotz aller existierenden Kirchen in vielen Ländern ein großes Problem mit der Religionsfreiheit; das ist richtig. Aber falsch ist der Umkehrschluss. Wir wollen doch nicht ernsthaft den zentralen Wert der Religionsfreiheit bei uns einschränken, weil dies andere tun.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen uns doch nicht mit Ländern wie Saudi-Arabien auf eine Stufe stellen. Das ist doch Irrsinn. Uns ist das individuelle Recht auf Weltanschauungsfreiheit und Religionsfreiheit sehr wichtig, und das sollten und wollen wir ja auch klar und deutlich zeigen und leben. Nur dann sind wir auch glaubwürdig in unserem Wunsch, dass Religionsfreiheit für alle und überall Gültigkeit haben soll.
Man liest auch in einem Parteigrundsatzprogramm vom uneingeschränkten Bekenntnis zur Glaubensfreiheit, welches dann im nächsten Satz direkt wieder eingefangen wird, indem dort geschrieben wird, der Religionsausübung seien Grenzen zu setzen. Wir haben diese Debatte hier in ähnlicher Form schon letzte Woche geführt. Deswegen möcht ich nur eins noch einmal sehr klar sagen: Dieses Land hat ganz klare Grenzen für alle Arten von Überschreitungen, nämlich unser Grundgesetz. Darin finden alle Bewohner unseres Landes sehr genau, was sie machen dürfen und was nicht. Wenn sie die Grenzen des Gesetzes überschreiten, dann können sie sich weder auf das Alte Testament noch auf den Koran oder etwas anderes berufen. Wenn man sich nicht an die Gesetze hält, bekommt man ein Problem. Und Religion hin oder her: Strafmildernde Urteile für frauenverachtende Taten sind meiner Meinung nach immer vollkommen fehl am Platz.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte an dieser Stelle einen wichtigen Punkt wiederholen: Dieses Menschenrecht schützt nicht Religionen, auch nicht einzelne; daraus ließe sich sonst ja ableiten, dass bestimmte Glaubensrichtungen weniger schützenswert seien als andere. Dieses Recht schützt das Individuum, es schützt jeden Einzelnen und jede Einzelne, frei zu entscheiden, ob er oder sie zu einer Gemeinschaft gehören möchte, zu welcher er oder sie gehören möchte oder ob er oder sie sich zu keiner solchen Gruppe zugehörig fühlt. Niemand, keine Gruppe, keine Partei in diesem Land, hat das Recht, Menschen in Gruppen einzuteilen und diesen eine Wertigkeit zuzusprechen oder ihnen individuelle Freiheitsgrenzen aufzuzeigen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wer das nicht begriffen hat, hat das Konzept der Religionsfreiheit nicht verstanden oder weigert sich, dies zu tun.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Nun geht es ja meistens leider um Muslime, wenn wir über dieses Thema in diesem Hohen Hause sprechen. Deswegen möchte ich schon noch Folgendes bemerken: Das Aufkommen extremistischen Terrors, die Menschenrechtslage in bestimmten islamischen Ländern, gewaltsame Konflikte im Nahen Osten – das nehmen manche leider gleich zum Anlass, die Religionsfreiheit und -gleichheit in unserem Land in Zweifel zu ziehen. Diejenigen, die friedlich leben, werden mit allen in einen Topf geworfen, die kriminell oder terroristisch sind. Das ist für viele ein sehr schwer zu ertragender Zustand, besonders, wenn solche Debatten sehr unverhohlen in diesem Hause geführt werden; wir haben ein solches Beispiel gerade erlebt. Ich möchte noch einmal allen Rednerinnen und Rednern, die dies sehr deutlich zurückgewiesen haben, einen ganz herzlichen Dank aussprechen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zum Schluss: Leider wurde es viele Jahrzehnte nicht so richtig kommuniziert, wie sich Minderheitsreligionen in Deutschland organisiert haben. Es wurde in Hinterhöfen, Garagen oder Gewerbegebieten gebetet, es wurde damals vielleicht das angelegt, wovor heute viele Angst haben. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns dem erneut zuwenden. Wir erleben leider viel Kritik an Muslimen in unserem Land, der nicht einmal ein Halbwissen zugrunde liegt – übrigens auch bei vielen Muslimen nicht; auch das muss man sagen. Um das zu ändern, brauchen wir eben eine gute Ausbildung, eine gute islamisch-theologische Ausbildung;
(Zuruf von der AfD: Nein, die brauchen wir nicht!)
denn nur so kann, wie ich glaube, gewährleistet werden, dass wir auch deutsche Imame in den Moscheen haben, dass auch einmal auf Deutsch gepredigt werden kann, dass man eben nicht dieses Gefühl haben muss: Wir wissen nicht, was dort passiert.
Wir haben auch Hunderttausende Schülerinnen und Schüler, die sich für einen entsprechenden Religionsunterricht interessieren könnten. Ich finde – das habe ich auch letztes Mal schon gesagt – den dialogischen Religionsunterricht besser,
(Zuruf von der LINKEN: Das finde ich auch!)
in dem allen Schülerinnen und Schülern Grundkenntnisse über mehrere Religionen an den Schulen vermittelt werden, in dem sie über ihre religiösen und weltanschaulichen Positionen diskutieren können und in dem geklärt wird, wie gutes Zusammenleben geht.
Mein Kollege Frank Schwabe wird gleich noch weiter zum Antrag sprechen. Ich hoffe erst einmal, dass wir es schaffen werden, diese Debatte ordentlich zu führen, dass wir nicht wieder einzelne Gruppen ausgrenzen.
Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Nächster Redner ist Jürgen Braun für die AfD.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7282987 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 59 |
Tagesordnungspunkt | Menschenrecht auf Religionsfreiheit |