Gerald UllrichFDP - Vereinbarte Debatte: Gleichwertige Lebensverhältnisse
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme aus Südthüringen, genauer genommen aus Floh-Seligenthal, ein Ort mit 6 000 Einwohnern, sehr ländlich; ich weiß also sehr genau, wovon ich rede.
Ich habe im Mai 1990 mit meiner Familie eine Firma im Bereich Kunststofftechnik gegründet. Wir haben damals sehr starke Förderung erfahren: durch die ERP-Förderung und die Eigenkapitalhilfeförderung. Wir haben von diesen Förderungen sehr profitiert. Vor allen Dingen haben wir davon profitiert, dass es zu dieser Zeit noch sehr wenig Bürokratie gab. In puncto Bürokratie hat sich sicherlich einiges getan; aber wir konnten uns damals einfach mehr auf die Arbeit und auf die Wertschöpfung konzentrieren, und das hat uns sehr geholfen. Um uns herum gab es damals sehr viele Neugründungen – man hätte fast schon von den prophezeiten „blühenden Landschaften“ reden können –, allerdings gab es nicht nur gute, sondern auch schlechte Zeiten.
Seitdem ist viel passiert. Wir haben demografische Probleme, nicht nur im Osten, sondern im gesamten ländlichen Raum. In meinem Ortsteil, in dem ungefähr 400 Einwohner leben, gab es in meinem Geburtsjahrgang neun Kinder. 1986 gab es vier Kinder, 1991 gab es ein Kind, und 1992 gab es null Kinder. Letztendlich gab es im Osten fast zwei Dekaden mit sehr niedrigen Geburtenraten. Die Folge davon: Es gibt heute zu wenige Mütter, die überhaupt Kinder in die Welt setzen können. Außerdem sind rund 400 000 Arbeitskräfte aus der Region abgewandert.
(Beifall des Abg. Hansjörg Müller [AfD])
Unser Problem ist: Wir werden in unserer wirtschaftlichen Entwicklung gebremst, weil es einfach keine Menschen mehr gibt, die die uns gestellten Aufgaben erfüllen können. In unserer kleinen Gemeinde mit 6 000 Einwohnern gibt es 700 Gewerbeanmeldungen – stellen Sie sich das mal vor – und kaum noch jemanden, der produktiv tätig sein kann. Das kann so nicht weitergehen.
Was ist bis heute passiert? Es gab einen extremen Bürokratie- und Regulierungsaufwuchs. Wir haben Defizite in den Bereichen Netzausbau – das weiß jeder –, ärztliche Versorgung und ÖPNV, aber vor allen Dingen auch im Individualverkehr. Darüber hinaus haben wir extreme Defizite im Bereich Bildung und Forschung. Sehr wichtig ist natürlich auch der Hinweis, dass wir gesellschaftliche und kulturelle Defizite haben. Die Ausübung eines Ehrenamtes findet so gut wie nicht mehr statt – zumindest in meiner Region –; es wird immer weniger.
Aber es gibt Lösungen; da kann man klare Aussagen treffen. Das kommunale Leben – ich glaube, da liegt einer der Hauptschlüssel – muss ausreichend finanziert werden. Das wird es zumindest im Osten nicht. Die Daseinsvorsorge auf dem Land muss deutlich verbessert werden; Ehrenämter in den Dörfern müssen gefördert werden. Es gibt auch andere Keyeffects: Dringend geboten ist Bürokratieabbau und Deregulierung; denn die Bürokratie hemmt Innovationen und vor allen Dingen auch Neugründungen, die wir nicht nur im Osten, sondern auch im Westen dringend brauchen.
(Beifall bei der FDP)
Sie hemmt unsere Entwicklung. Wir brauchen weniger Verwaltung und mehr Menschen in der direkten Wertschöpfungskette.
Wir brauchen dringend – auch wenn sich das vielleicht komisch anhört – das autonome Fahren; denn wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass die Entfernungen zwischen Wohn- und Arbeitsort verkürzt werden. Wenn derjenige, der autonom fährt, sich nicht auf den Verkehr konzentrieren muss, kann er andere Arbeiten erledigen oder Freizeit genießen.
(Beifall bei der FDP)
Was wir aber am allermeisten im Osten und im ländlichen Raum brauchen, ist, Forschung, Forschung, Forschung.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich bin gleich so weit. – In diesem Zusammenhang verstehe ich nicht, warum uns der Herr Minister erklärt hat, dass die Forschungsmittel aufwachsen sollen; denn, um genau zu sein, werden Sie sie im Bereich der IGF-Förderung um 7,7 Millionen Euro kürzen, obwohl wir eigentlich einen Aufwuchs von 30 Millionen Euro brauchen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn wir dem ländlichen Raum helfen wollen, müssen wir aufhören, ihn als urbanen Hinterhof zu sehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Als Nächstes spricht für die Bundesregierung die Bundesministerin Julia Klöckner.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7288613 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 60 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte: Gleichwertige Lebensverhältnisse |