08.11.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 61 / Tagesordnungspunkt 5

Christoph MatschieSPD - Global Compact for Migration

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Umgang mit einer weltweit wachsenden Zahl von Flüchtlingen, von Migranten gehört sicherlich zu den größten Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaften stehen. Unser Land hat das in den letzten Jahren auch in besonderer Weise erlebt. Wir haben dazu eine sehr intensive, auch emotionale Debatte gehabt. In dieser Debatte sind mindestens zwei Dinge klar geworden:

Erstens. Wir brauchen einen offenen und ehrlichen Umgang mit diesem Thema.

Zweitens. Wir können die Probleme, die sich mit weltweiter Migration verbinden, nur international gemeinsam lösen. Nationale Regelungen allein helfen hier nicht weiter.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zuerst zur offenen und ehrlichen Debatte. Die AfD hat nicht nur heute im Parlament beantragt, diesen internationalen Vertrag abzulehnen, sondern sie hat eine Kampagne im Internet

(Ulli Nissen [SPD]: Eine ganz fiese!)

und in den sozialen Medien gestartet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Fabian Jacobi [AfD]: Hallo? Das nennt sich öffentliche Diskussion!)

Sie behauptet darin, dass der Pakt zu einer massenhaften Zuwanderung nach Deutschland führt. Sie behauptet, mit dem Pakt werde die nationale Souveränität unseres Landes

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sagt Herr Kurz!)

und unser Selbstbestimmungsrecht ausgehebelt.

(Jürgen Braun [AfD]: Herr Roth sagt, es sind nicht 82 Millionen! Ihr Staatsminister!)

Schaut man in den Text dieser Vereinbarung, so wird eines ganz schnell klar: Ihre Behauptungen sind frei erfunden.

(Zuruf von der AfD: Nein!)

Oder auf Deutsch: Die AfD verbreitet Lügen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jürgen Braun [AfD]: Es sind keine 80 Millionen!)

Und warum verbreitet die AfD Lügen? Weil sie glaubt, je größer die Angst vor Migranten in diesem Land ist, desto größer der politische Vorteil für die AfD.

(Jürgen Braun [AfD]: Sie spalten wieder Europa, Herr Matschie!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist schäbig, und das ist verantwortungslos.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Herr Kollege Matschie, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Renner?

Nein, gestatte ich nicht. – Worum geht es in dem Pakt wirklich? Warum liegt der Pakt in unserem deutschen Interesse? Die Zahl der Menschen, die ihr Land verlassen, wächst.

(Zuruf von der AfD)

Nach Angaben der Vereinten Nationen leben mittlerweile etwa 260 Millionen Menschen außerhalb der Grenzen ihrer Heimatländer.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die AfD gewandt: Das ist in der Diskussion das billigste Argument!)

Und deshalb haben sich die Staaten in den Vereinten Nationen vor zwei Jahren gemeinsam auf den Weg gemacht, einen solchen internationalen Pakt zu erarbeiten. Die Ziele, die Grundsätze dieses Paktes finden sich jetzt genau in dem Text wieder. Es geht also nicht darum, Tor und Tür zu öffnen, sondern es geht darum, Migration besser zu regulieren. Das ist der Kern dieser Vereinbarung.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD)

– Schauen Sie in die Ziele hinein, Nummer 2, lesen bildet.

Dazu gehört auch ausdrücklich, „nachteilige Triebkräfte“ für Migration – so steht es im Pakt – zu verringern. Mit anderen Worten: Der Druck, die eigene Heimat zu verlassen, soll abgebaut werden. Das führt nicht zu mehr Migration, das soll zu weniger Migration führen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD)

Zu den Zielen gehört auch der verstärkte Kampf gegen Schleuser – Ziel Nummer 9 –, gegen Menschenschmuggel – Ziel Nummer 10. Dazu gehört ein sicheres und koordiniertes Grenzmanagement – Ziel Nummer 11. Im Gegensatz zu den Behauptungen der AfD geht es also darum, illegale Migration einzudämmen. Der Pakt fordert eine bessere internationale Zusammenarbeit für eine geordnete und reguläre Migration.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der AfD)

Im Gegensatz zu den Behauptungen der AfD legt der Pakt ausdrücklich fest, dass jedes Land weiterhin souverän bleibt. Zu den leitenden Prinzipien gehört – ich darf zitieren –:

Der Globale Pakt bekräftigt das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen ...

(Fabian Jacobi [AfD]: Ja!)

Die AfD versucht jetzt, die Vereinbarung gegen den ausdrücklichen Vereinbarungstext auszulegen.

(Jürgen Braun [AfD]: Im Rahmen des Paktes!)

Sie liest das Gegenteil heraus, und das ist so grotesk wie unsinnig. Was Sie machen, ist Verschwörungstheorie pur, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Braun [AfD]: Immer mehr Länder in Europa, die das nicht mehr mitmachen! Immer mehr Regierungen, die das nicht mehr mitmachen!)

Der Vertrag redet auch über die positiven Seiten von Migration; denn es gibt neben der ungewollten, neben der erzwungenen Migration auch gewollte Migration. Es gibt wirtschaftlich starke Regionen, die Fachkräfte brauchen. Es gibt Menschen, die neue Herausforderungen suchen. Es gibt Menschen, die ihre Lebensbedingungen selbst verbessern wollen. Das ist nichts Neues. Das zieht sich auch durch unsere deutsche Geschichte immer wieder. Dazu gehört auch unser wirtschaftlicher Erfolg. Das kann man auch in anderen Regionen der Welt beobachten. Schauen Sie einmal ins Silicon Valley! Dort sind 50 Prozent aller Gründer von Start-ups nicht in den USA geboren, sondern eingewandert.

(Jürgen Braun [AfD]: Hochqualifiziert! Keine Wirtschaftsmigration! Hochqualifizierte Migration!)

Zuwanderung, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Innovation gehören eben auch zusammen, werte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das alles macht klar: Der Pakt für eine geordnete und sichere Migration liegt in unserem deutschen Interesse. Deshalb hat die Bundesregierung intensiv an diesem Pakt mitgearbeitet.

(Jürgen Braun [AfD]: Sie lassen ja jeden rein, Herr Matschie! Bei Ihnen können die Millionen ja kommen, ohne Prüfung kommen!)

Deshalb wird Deutschland auch im Dezember diesem Pakt zustimmen. Da können Sie hier noch so laut schreien, wie Sie wollen.

(Beifall bei der SPD)

Der AfD geht es nicht um unser Land. Mit Ihrer verleumderischen Kampagne wollen Sie nur eines: Angst und Hass schüren in diesem Land.

(Jürgen Braun [AfD]: Schauen Sie einmal in den Spiegel! Sie wissen Bescheid, Herr ­Matschie!)

Dagegen setzen wir uns zur Wehr.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Gestatten Sie mir einen letzten Gedanken. Morgen werden wir hier im Bundestag an den 9. November erinnern und damit auch an die Reichspogromnacht 1938.

(Jürgen Braun [AfD]: Herr Matschie, das hat mit dem Thema überhaupt nichts zu tun!)

Es begann damit, dass Bürger, dass jüdische Bürger als andersartig, als fremd diffamiert wurden.

(Jürgen Braun [AfD]: Lenken Sie nicht ab von der antisemitischen Friedrich-Ebert-Stiftung! Lenken Sie nicht ab von den Maßnahmen der Ebert-Stiftung!)

Es begann damit, dass Menschen ausgegrenzt wurden. Es begann damit, dass Menschen für alle Probleme im Land verantwortlich gemacht wurden.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist peinlich! – Weitere Zurufe von der AfD)

Und dann brannten jüdische Geschäfte, brannten jüdische Häuser, brannten Synagogen. Und am Ende stand millionenfacher Mord.

(Zurufe von der AfD)

Das ist die Geschichte, an die wir morgen erinnern.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun [AfD]: Sagen Sie etwas zu Herrn Schulz!)

Und heute leben in diesem Land 20 Millionen Menschen, die eine Zuwanderungsgeschichte haben, 20 Millionen Menschen, die unsere Nachbarn sind, manche seit Generationen, manche erst neu.

(Jürgen Braun [AfD]: Hören Sie auf mit der Heuchelei!)

Was die AfD mit ihrer Hetzkampagne tut, ist im wahrsten Sinne des Wortes Feuer legen. Sie hetzen Menschen gegeneinander auf.

(Jürgen Braun [AfD]: Das ist peinlich, was Sie da erzählen!)

Die Lehre aus dem 9. November und der daraus folgenden schrecklichen Geschichte steht in Artikel 1 unseres Grundgesetzes:

Die Würde des Menschen ist unantastbar.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das muss unser Grundsatz bleiben, bei allem, was wir tun.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin in der Debatte ist die Abgeordnete Sevim Dağdelen von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7289120
Wahlperiode 19
Sitzung 61
Tagesordnungspunkt Global Compact for Migration
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