Michael BrandCDU/CSU - Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Tragt Chinas Stimme überall hin. Man muss dem Westen die globale Diskursmacht streitig machen.
So zitiert Kai Strittmatter, einer der besten China-Kenner Deutschlands, der aus Peking berichtet, den Chef der Kommunistischen Partei Xi Jinping. Das tut er in dem gerade neu erschienenen Werk „Die Neuerfindung der Diktatur – Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert“.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau darum geht es: Die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang haben etwas mit uns hier zu tun, und sie fordern uns hier.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie fordern uns deswegen hier, weil wir kapieren müssen, dass es China nicht allein um wirtschaftliche Dominanz geht, sondern um eine Herausforderung des freiheitlichen westlichen Systems. Mit neuen Abhängigkeiten versucht China, Länder gefügig zu machen, um auch auf internationaler Ebene und bei internationalen Organisationen kritische Stimmen verstummen zu lassen. Die EU braucht auch eine Strategie beim Thema „Neue Seidenstraße“, vor allem wegen ihrer langfristigen wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen auf Europa. China macht mit neuen und verfeinerten Methoden im eigenen Land Repression im Jahr 2018 zu einer Negativ-Perfektion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unerschrockenen Menschenrechtsaktivisten zu verdanken oder NGOs, wie zum Beispiel der Gesellschaft für bedrohte Völker, der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte oder Human Rights Watch, dass die Welt überhaupt von der Existenz der Internierungslager in der Provinz Xinjiang in China erfahren hat. Mehr als 1 Million Uiguren – Frau Bause hat es angesprochen – werden dort interniert. Die Zahl wird noch einmal bedrückender, wenn man sie herunterbricht. In dieser Provinz Chinas leben 10 Millionen Uiguren. Über 1 Million – vielleicht sind es 1,3 Millionen – sind interniert, das heißt, ungefähr 10 Prozent der Uiguren. Auf Deutschland übertragen wären das 8,2 Millionen Menschen, die interniert wären. Das entspricht der Größe von Niedersachsen – damit man eine Dimension von dem hat, was dort passiert.
Menschen werden dort ohne richterlichen Beschluss hinter Mauern und Stacheldraht festgehalten, in Lagerkleidung und von Bewaffneten beaufsichtigt. Wir haben gestern, Frau Kollegin Bause, gemeinsam mit Aktivisten, mit Uiguren gesprochen, die uns berichtet haben von Willkür, Isolation, Trennung von Familien. Künstliche Intelligenz wird eingesetzt. Diese Lager – das kann man auch sagen – sind zu Versuchslabors der chinesischen Hightechindustrie geworden. In den Lagern gibt es Überwachung 24 Stunden lang, bei Träumen wird geweckt und diejenigen werden zur Rede gestellt, um festzustellen, ob die Gehirnwäsche denn wirklich funktioniert hat. Häuser außerhalb werden mit QR-Codes ausgestattet, damit Sicherheitskräfte die Informationen, die gesammelt wurden, sofort auf einen Blick bekommen. Das ist die Perfektion des brutalen Überwachungs- und Kontrollstaates.
Wenn man sich anschaut, dass die chinesische Führung erst vor kurzem die Existenz nicht mehr leugnen konnte, ist die heutige Antwort der Offiziellen umso perfider und zynisch. Man gesteht ein, es gibt solche Orte, aber die, die dort interniert sind, sind „Nutznießer“ eines angeblich „kostenlosen Berufsbildungsprogramms“. Dank des „Fortbildungsprogramms“ seien die „Auszubildenden nun in der Lage, ihre Fehler zu erkennen“. Wer anderes behauptet, betreibt angeblich Propaganda; es seien nur Missverständnisse, oder man würde eine antichinesische Agenda verfolgen. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung gibt es brutale Repression und Menschenrechtsverletzungen. Im Übrigen: Schon der Kontakt zu Freunden und Verwandten im Ausland oder regelmäßiges Beten reichen aus, um interniert zu werden.
Der lokale Regierungschef ist so weit gegangen, die Lager als Maßnahme „zum Schutz der Menschenrechte“ zu bezeichnen. Ja, es ist so: Das Schweigen des Westens ist angesichts ernstzunehmender Berichte über Umerziehungs- und Zwangsarbeitslager sowie über Organhandel und den Tod auf Bestellung ziemlich laut. Das Schweigen ist ziemlich laut! Wahr ist auch: Deutschland gehört zu den wenigen Ländern in der Europäischen Union, die offen Kritik äußern. Aber ich will schon sagen: Das wird nicht reichen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das wird im Übrigen auch nicht vor dem UN-Menschenrechtsrat reichen. Ich begrüße, was die Bundesregierung dort vor zwei Tagen vorgetragen hat; man hat ja für dieses Statement nur eine Minute Zeit. Aber, ich glaube, wir müssen neue Zeiten im Umgang mit China einläuten, nämlich deswegen, weil ein Menschenrechtsdialog, den wir ja nur mit China führen, seit über einem Jahr überhaupt nicht stattfindet. Dass er jetzt im Dezember stattfinden soll, finde ich prima. Aber ein Menschenrechtsdialog darf nun wirklich nicht zu einem Feigenblatt werden; denn bislang wird in den letzten Jahren Kritik zwar geäußert, aber es gibt keine Konsequenzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Dialog ohne echte Konsequenzen ist wirkungslos.
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wenn die stille Diplomatie im Falle Chinas angeblich so zielführend ist, dann muss man schon die Frage stellen, warum eigentlich die Menschenrechtslage in China immer dramatischer wird. Deswegen will ich abschließend sagen: Wir und auch ich beurteilen diesen Antrag der Grünen, der mit vielen Fakten und viel Empathie verfasst worden ist, als einen guten Antrag. Ich will ausdrücklich anbieten – wir als CDU/CSU haben im Menschenrechtsausschuss unser Schwerpunktthema für das nächste Halbjahr festgelegt: „Religionsfreiheit: Die Menschenrechtslage religiöser Minderheiten in China“; der Religionsbeauftragte der Bundesregierung ist bei der Debatte heute auch dabei –, vielleicht einen fraktionsübergreifenden Antrag zu formulieren.
Herr Kollege.
Ich glaube, wir müssen neben der dramatischen Lage der Uiguren auch die Lage der Tibeter, der Kasachen, der Mongolen, weiterer Turkvölker und die religiösen Minderheiten, also die Buddhisten, die Muslime, die Christen, einbeziehen.
Ich will schließen mit dem Zitat einer Wissenschaftlerin, die mir heute zu dieser Debatte gemailt hat. Sie ist deutsche Staatsbürgerin, keine Uigurin, die sich mit China beschäftigt und aus Angst ihren Namen nicht veröffentlicht wissen will.
Das können Sie gerne tun, Sie sprechen aber inzwischen auf Kosten der Redezeit Ihrer Kollegen.
Sie schrieb – das ist mein letzter Satz –: „Wer sein Gesicht nicht verlieren möchte, soll auch keinen Anlass zu Gesichtsverlust geben.“
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Jürgen Braun für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7289638 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 61 |
Tagesordnungspunkt | Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang |