08.11.2018 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 61 / Tagesordnungspunkt 15

Helge LindhSPD - Änderung des Asylgesetzes

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke Ihnen, Herr Herrmann, erst einmal für Ihre wiederholte Erläuterung Ihrer deskriptiven Nutzung des Ausdrucks „Ausländer“. Darf ich daraus schließen, dass Sie damit sagen wollen, dass Ihre Fraktionskollegen den Begriff standardisiert, normativ, diffamierend verwenden? Ich weiß es nicht; aber das könnte ja ein Schluss aus dieser Erklärung sein.

(Jürgen Braun [AfD]: Sie sprechen in Rätseln, Herr Lindh!)

– Ja, zu viele Fremdwörter, ich weiß. Das schadet Ihrem Deutsch.

(Lachen des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Ich wollte mich eigentlich nicht ärgern. Ich tue es jetzt aber schon wieder. Ich habe mich besonders geärgert über Ihren Antrag zur Altersfeststellung.

(Zuruf von der AfD: Einzelschicksal!)

Ich wollte heute aber – und ich bleibe meinen Prinzipien treu – Furor und Empörung

(Zuruf von der AfD: Was so ungefähr das Gleiche ist!)

in der Frage der Integration zurückfahren.

Gerade weil ich Sie aufgrund Ihrer Positionierung besonders wertschätze, Frau Jelpke, muss ich gestehen, dass ich mich besonders geärgert habe, dass Sie in der Debatte über sichere Herkunftsstaaten heute Morgen ausführten, dass wir mit unserem Gesetzentwurf – ich zitiere – „eine eklatante Missachtung der Lehren aus der deutschen Geschichte“ begingen. Ich finde, soweit Sie für sich beanspruchen können, Lehren aus der Geschichte zu ziehen, können wir das auch tun. Wir können das sowohl zu dem Gesetzentwurf zu den sicheren Herkunftsstaaten tun, aber auch zu dem Gesetzentwurf, um den es jetzt hier geht. Ich denke, wir müssen uns nicht gegenseitig belehren, wer die besseren Lehren aus der Geschichte zieht. Wenn jemand meint, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, ohne jeden Zweifel, ist mir das fremd. Ich nehme für uns in Anspruch, dass wir auch Zweifel haben und dass wir nicht immer alles richtig machen. Ich würde mich freuen, wenn wir auch in Fragen der Integration interfraktionell zu dieser Haltung kämen.

Unabhängig davon sind wir aber der Überzeugung, dass dieser Gesetzentwurf ein guter ist. Wir sehen uns darin durch die Anhörung bestätigt. Manche mögen eine andere Interpretation haben. Die Anhörung hat uns aber gezeigt: Das ist ein vernünftiger Gesetzentwurf. Ein solches Gesetz bedeutet in der Verwaltungspraxis konkret Beschleunigung, aber – das ist ein nicht unerheblicher Grund – eine solche Beschleunigung kann auch eine Zumutung darstellen; das ist gar nicht zu leugnen. Sie bedeutet nämlich einerseits eine zusätzliche Belastung für die Betroffenen, kann andererseits aber auch eine Vereinfachung für die Betroffenen darstellen. Herr Mazanke aus Berlin hat das deutlich geschildert. In der Praxis sieht es dort nämlich so aus, dass viele Verfahren zur Erteilung von Niederlassungserlaubnissen oder zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nicht weiterbehandelt werden können, weil Widerruf- und Rücknahmeverfahren nicht beendet werden können. Er hat anschaulich dargelegt, dass durch dieses Gesetz eine Beschleunigung des Verfahrens möglich ist.

Wenn es uns gelingen kann, sowohl die Verwaltungspraxis zu verbessern als auch eine Verbesserung für die Betroffenen herbeizuführen, die nichts befürchten müssen, wenn sie glaubhafte und wahrhafte Angaben gemacht haben, dann ist das, glaube ich, eine Leistung. Wir sollten also alle daran arbeiten, die Verwaltungspraxis zu beschleunigen und auch in der Hinsicht Lehren aus der Vergangenheit ziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Linda Teuteberg [FDP])

Wir haben auch Veränderungen vorgenommen, indem wir maßvoll die Ratschläge des Bundesrates in Bezug auf die Datennutzung und in Bezug auf die erkennungsdienstliche Behandlung aufgenommen haben. Wir haben sie aber nur insoweit aufgenommen, wie sie nicht über das Ziel hinausschießen.

Wir haben ebenfalls – auch das kann man deutlich sagen, weil es sonst unehrlich wäre – in der Anhörung erkannt, dass die Möglichkeit besteht, dass eine Welle von Klagen den Gegeneffekt erreicht, nämlich keine Beschleunigung, sondern eine Verlangsamung. Genau aus diesem Grund ist die aufschiebende Wirkung ausgeschlossen, und es greift das einstweilige Verfahren, das sogenannte Eilverfahren.

Sehr geehrte Damen und Herren, Sie können, wenn Sie den Gesetzentwurf ablehnen, für sich in Anspruch nehmen – ich habe es vorhin geschildert –, dass Sie die Maßnahmen für nicht verantwortbar, für ethisch fraglich halten. Ich würde aber behaupten, dass wir als regierungstragende Koalition dasselbe tun können; denn wir gehen davon aus, dass es eben nicht selbstverständlich ist, dass das Asylrecht von der Bevölkerung angenommen wird,

(Zuruf der Abg. Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

sondern wir dafür werben müssen, dass möglichst viele Menschen dieses humanitäre Asylrecht und unseren Ansatz eines humanitären Pragmatismus – ich werde das so oft wiederholen, bis Sie es nicht mehr hören können; denn dann habe ich es oft genug gesagt – mittragen. Wenn es uns gelingt, Unklarheiten auszuräumen, das Gefühl und die Überzeugung zu wecken, dass wir das, was 2015/2016 in der Schnelligkeit an Unklarheiten entstanden ist, dass wir Unsicherheiten, Verunsicherung, die populistisch genutzt werden könnten, beseitigen, ist das allein schon ein Mehrwert dieser Gesetzgebung, den man nicht unterschätzen sollte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Linda Teuteberg [FDP])

Einen weiteren Punkt wage ich zu erwähnen: Sie wollen ja – das wurde auch schon bei den Anhörungen im Ausschuss gesagt – skandalisieren und erwecken den Eindruck – ich halte das für einen falschen Eindruck –, gegenüber allen anerkannten Asylbewerbern, subsidiär Schutzberechtigten, Genfer Konventionsflüchtlingen werde ein Generalverdacht ausgesprochen und deshalb werde jetzt plötzlich das Widerrufsverfahren eingeführt. Das ist aber nicht der Fall. Es ist bereits standardisiert.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anlasslos!)

– Wenn Sie jetzt „anlasslos“ dazwischenrufen, haben Sie dem Vertreter des BAMF vielleicht nicht genau zugehört.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, habe ich!)

In der Praxis wird es keineswegs immer so sein, dass in jedem Fall ein ausgedehntes Widerrufsverfahren stattfinden wird.

(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum gibt es dann das Gesetz? Warum machen Sie dann das Gesetz, wenn es keiner braucht?)

Nein, wenn keine Verdachtsmomente und Argumente vorliegen, wird nach Aktenlage entschieden und die Akte geschlossen. Nur wenn es hinreichende Argumente und Fragepunkte gibt, wird überhaupt dieses Verfahren umfassend ausgelöst.

(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann bräuchte es das Gesetz nicht!)

Es ist also mitnichten eine Masse von Widerrufen zu erwarten. Ich finde, dies können wir in aller Ehrlichkeit und Klarheit aussprechen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Linda Teuteberg [FDP])

Ich komme aber nun, nachdem ich versucht habe, zu schildern, warum wir aus ganz pragmatischen Gründen dieses Gesetz vertreten können und es als gutes Gesetz empfinden, doch noch zu dem Zusatzpunkt, der hier mitdebattiert wird – jetzt muss ich wieder zu meinem Ärger kommen –, nämlich der Frage der obligatorischen Altersfeststellung und dem Antrag der AfD.

Ich verstehe gar nicht, warum Sie diesen Antrag stellen;

(Stephan Brandner [AfD]: Das glaube ich Ihnen!)

denn wir haben eine Gesetzesgrundlage. § 42f SGB VIII sieht ein dreistufiges Verfahren vor: Prüfung von Dokumenten, dann qualifizierte Inaugenscheinnahme und erst als dritte Stufe in besonderen Fällen die medizinische Untersuchung. Das gibt es bereits.

(Tino Chrupalla [AfD]: Das wird aber nicht gemacht!)

Es gibt – heiß diskutiert – verschiedene Verfahren, so in Hamburg und im Saarland; das wissen Sie auch. Es gibt zugleich Stimmen – diese muss man ernst nehmen – von Medizinern, von Kinderärztinnen und Kinderärzten, die mit gutem Recht keine erzwungene medizinische Untersuchung wollen. Wollen Sie ernsthaft alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge verpflichten,

(Tino Chrupalla [AfD]: Ja!)

eine schamhafte Untersuchung, die, wenn geröntgt wird, belastend ist oder die beim Zeigen der Genitalien zutiefst in die Integrität der Persönlichkeit eingreift, durchführen zu lassen? Ich halte das für keine sinnvolle Maßnahme.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Darüber hinaus – das wissen Sie auch – ist die Altersfeststellung ohnehin eine Thematik, die in dem gesamten Zusammenhang zu sehen ist.

Noch verwerflicher aber als dieses standardisierte Verfahren, das Sie vorschlagen, ist aus meiner und aus unserer Sicht die Unterstellung, die Sie damit verbinden und die auch in Ihrem Antrag erkennbar ist. Sie unterstellen im Prinzip allen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, dass sie gar nicht unbegleitet oder zumindest nicht minderjährig seien. Sie unterstellen ihnen allen, potenziell kriminell zu sein. Ihr Hauptargument sind die Kosten. Ich möchte Ihnen aber eins mitteilen: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, ob sie nun tatsächlich minderjährig sind oder doch nicht minderjährig sind, sind zuerst eines – das ist unsere Rede –: Es sind Menschen, die menschenwürdig behandelt werden müssen. Deshalb lehnen wir selbstverständlich Ihren Antrag ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Linda Teuteberg.

(Beifall bei der FDP)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7289654
Wahlperiode 19
Sitzung 61
Tagesordnungspunkt Änderung des Asylgesetzes
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