Marco BuschmannFDP - Deutsch-Französische Zusammenarbeit
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 11. November 1918, also fast auf den Tag genau vor 100 Jahren, beendete der Waffenstillstand von Compiègne die Kriegshandlungen des Ersten Weltkriegs. Das industrialisierte Menschenschlachten hörte endlich auf. Fast 10 Millionen Menschen hatte es das Leben gekostet.
Hätte es damals schon das Fernsehen gegeben, dann kämen uns die Fernsehbilder vom Ende dieser Verhandlungen in Compiègne vermutlich gespenstisch vertraut vor. Über mehrere Tage rang der deutsche Verhandlungsführer Matthias Erzberger um eine Einigung. Völlig erschöpft und übermüdet verließ er im Morgengrauen des 11. Novembers den Eisenbahnwaggon, in dem die französischen und deutschen Verhandler ihrer schwierigen Aufgabe nachgegangen waren. Mit Blick auf diese Bilder möchte ich hier eines sagen: Was ist es doch für ein großes Glück, dass es bei den langen, schwierigen und gewiss auch kräftezehrenden Verhandlungen in Brüssel oder Straßburg, die sich heute oft genug bis ins Morgengrauen erstrecken, nicht mehr um Krieg und Frieden oder die Beendigung des gegenseitigen Abschlachtens geht! Was ist es doch für ein großes Glück, dass der Prozess der europäischen Einigung uns mittlerweile schon sieben Jahrzehnte des Friedens gebracht hat!
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN)
Dieses große Glück währt also nun schon viel länger als die Phase des Friedens, die der Waffenstillstand von Compiègne eingeleitet hat. Mit dem Wissen von heute können wir auch rückblickend sagen, was mit dazu beigetragen hat: Die Zeit nach dem Waffenstillstand von Compiègne war geprägt von gegenseitigem Misstrauen. Es herrschte der Gedanke vor, man könne nach der Entkräftung durch den Großen Krieg selbst nur wieder stark werden, indem man die Nachbarn schwächt. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich wurden in dieser Zeit als Nullsummenspiel betrachtet, bei dem niemals beide Seiten gewinnen können.
Es gab zwar auch Annährungsversuche – ein Zeugnis dafür ist der gemeinsame Friedensnobelpreis für die Außenminister Frankreichs und Deutschlands, Aristide Briand und Gustav Stresemann –, aber es gab in dieser Zeit eben viel zu viele politische Kräfte, die gerade keine Versöhnung wollten. Für viel zu viele Politiker ging es nach Compiègne nicht um den Frieden, sondern um Sieg und Niederlage. Die berüchtigte Dolchstoßlegende, die der Herr Bundespräsident heute schon angesprochen hat, versuchte, eine Niederlage des Militärs in einen Sieg und den politischen Wunsch nach Frieden in Verrat umzudeuten. Es ging um Hass, es ging um Demütigung, und es ging um Revanche.
Wir wissen heute, was diese Krisengewinnler von damals, die aus zunehmender politischer Polarisierung Kapital schlagen wollten, angerichtet haben, und wir können diejenigen namentlich benennen, die politische Krisen als ein Geschenk betrachten. All diejenigen, die auch heute davon reden, dass politische Krisen ein parteipolitisches Geschenk sein könnten, sollten das in Zukunft vielleicht stärker beachten.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das zeigt, wie entscheidend es war, dass Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg einen völlig anderen Weg gegangen sind als nach Compiègne. Beide Länder haben sich von der Idee des Nullsummenspiels verabschiedet. Heute wissen wir, dass sich Frankreich und Deutschland gegenseitig stärken können, ohne andere zu schwächen. Diese Überzeugung ist das Fundament der deutsch-französischen Partnerschaft. Sie hat sich als Motor für ein friedliches Europa bewiesen. Sie prägt nicht nur den Élysée-Vertrag von 1963, sondern auch ganz maßgeblich die europäische Integration, die wir auch mit anderen, aber vor allem eben gemeinsam mit Frankreich vorangebracht haben. Vor dem Hintergrund der Geschichte wissen wir, dass das nicht selbstverständlich ist. Umso stärker müssen wir diese Tradition pflegen. An diese Tradition wollen wir anknüpfen, sie pflegen und mit noch mehr Leben erfüllen.
Mit unserem Antrag schlagen wir dem Deutschen Bundestag Maßnahmen vor, um die deutsch-französische Partnerschaft weiter zu stärken. Das betrifft die Abstimmung zwischen Frankreich und Deutschland in der Außen- und Sicherheitspolitik. Hier ist zwingend eine stärkere Zusammenarbeit nötig; auch damit beide Länder sich in der Europäischen Union gemeinsam für eine Außen- und Sicherheitspolitik aus einem Guss einsetzen können. Die heutige Weltlage, meine Damen und Herren, macht das unabweisbar; das sollte Konsens in diesem Haus sein.
Deutschland und Frankreich müssen aber auch gemeinsam daran arbeiten, dass die EU-Mitgliedstaaten auch in Handelsfragen mit einer Stimme sprechen. Wir müssen die multilaterale Handelsordnung und insbesondere die Regeln der Welthandelsorganisation verteidigen. Und das ist nicht nur eine Frage des Wohlstands; es ist eine Frage des Friedens. Denn: „Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann“; so hat es Immanuel Kant in seiner Denkschrift „Zum ewigen Frieden“ geschrieben. Er hat damit als Erster die friedensstiftende Wirkung von freiem Welthandel beschrieben.
Deutschland und Frankreich müssen sich in der EU gemeinsam für ein praktikables europäisches Asylrecht starkmachen. Dazu gehört, dass wir Frontex von der jetzigen zwischenstaatlichen Struktur zu einem echten Grenzschutz ausbauen. Denn ein effektiver Schutz der Außengrenzen sichert die Errungenschaften des Schengener Abkommens, also die Freizügigkeit, die uns allen so lieb und teuer ist.
(Beifall bei der FDP)
Der Waffenstillstand von Compiègne hat den Krieg beendet; aber er hat keinen dauerhaften Frieden gestiftet. Genau das, einen dauerhaften Frieden, haben wir der deutsch-französischen Partnerschaft nach dem Zweiten Weltkrieg zu verdanken. Diese Partnerschaft, diese Freundschaft mit Frankreich ist nicht selbstverständlich, sie fällt nicht vom Himmel. Sie bedarf der ständigen Pflege und Neubegründung. Dazu möchte unser Antrag einen Beitrag leisten. Daher werbe ich über die Grenzen der Fraktionen hinweg – das sollte uns einen –: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Stimmen Sie für die deutsch-französische Freundschaft.
(Beifall bei der FDP)
Vielen Dank, Dr. Buschmann. – Nächster Redner: Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7289796 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 62 |
Tagesordnungspunkt | Deutsch-Französische Zusammenarbeit |